Sex und Gesetz

Nur „Ja“ heisst „Ja“!

Zwei Menschen kommen sich näher. Die Umstände, unter denen so etwas geschieht, sind vielfältig. Ein Kennzeichen von menschlichem Leben ist die Vielfältigkeit. Weder Wissenschaft, noch Politik, noch Juristerei sind in der Lage, die Vielfältigkeit menschlichen Lebens zu erfassen. Bevor wir irgendetwas in diesen Dingen erfassen, ordnen oder regeln wollen, ist eigentlich schon klar: Es wird nur Stückwerk bleiben, auch wenn wir natürlich von uns selbst davon ausgehen, dass wir höchste Präzision, höchste Qualität und nur Spitzenleistungen bringen. Es wird den gewünschten Zweck gar nicht vollständig erfüllen. Auch da haben wir von uns selbst natürlich ein ganz anderes Bild. Das ist eine unsichtbare Begrenzung menschlicher Möglichkeiten, derer wir uns gar nicht klar sind oder die wir gar nicht kennen (wollen) und falls wir eine Ahnung davon haben, dann gilt sie auf jeden Fall nur für die Anderen, aber nicht für uns.

Menschliches Leben ist gekennzeichnet durch Mehrdeutigkeit. Wir kennen unser Verständnis von „Ernst“, aber auch von „Witz“, von „Humor“, von „Ironie“, von „Halb Ja und halb Nein“. Wenn Sie unsere Sprache und unsere Begriffe betrachten und hinterfragen, dann werden Sie feststellen, dass wir an ganz vielen Stellen Mehrdeutigkeit verwenden. Unsere Sprache ist sehr oft sehr mehrdeutig, weil wir selbst mehrdeutig sind, Sie und ich. Das ist ja ein Problem der Digitalisierung, die uns mit einem theoretischen mathematischen System die menschliche Kommunikation ersetzen oder ergänzen will. Das theoretische mathematische System verwendet aber eine Methode, die relativ eindeutig ist. Mit solch einem System werden Sie menschliches Leben langfristig (also das, was wir heute „nachhaltig“ nennen) vermutlich mehr behindern als bereichern. Das aber sehen wir erst viel später im Rückblick, meist, wenn es schon lange zu spät für Korrekturen ist. Immer wieder lesen wir, das grosse Firmen und Verwaltungen daran gescheitert sind. Trotzdem sehen wir in der Digitalisierung alles Heil. „Diese Programmierer und IT-Fachleute können es einfach nicht. Das könnte ich aber besser!“ Sind Sie sich da so sicher?
Ich fürchte, da stehen uns ganz andere Gründe im Wege, die sich die meisten von uns gar nicht klar machen (können), weil ihr eigenes Weltbild und ihr eigenes Bild von sich selbst das gar nicht zulässt.

Die Zwei haben sich gefunden. Das glauben sie zumindest von einander. Der veränderte menschliche Stoffwechsel in dieser Situation führt dazu, dass sie sich gegenseitig trotz aller Unwägbarkeiten und trotz aller Differenzen begehren. Wenn die Evolution zwei verschiedene Geschlechter entwickelt hat, dann werden Sex und seine Einleitung Beide auch unterschiedlich erfahren und erleben. Sie werden unterschiedliche Vorstellungen haben und unterschiedliche Gefühle und sicher auch unterschiedliche Ziele. In dieser Situation macht sich das Keiner von Beiden klar. Das biologische System der Geschlechter wirkt ja in dieser Situation gerade so, dass bei Beiden der Verstand vorübergehend mehr oder weniger weit heruntergefahren wird.

Ich weiss nicht, ob Sie schon einmal Sex mit einer Person des anderen Geschlechtes hatten. Schön, zum Jubeln, zur Ekstase wird Sex ungefähr in dem Masse, wie unser Verstand herunter geregelt wird. Je weiter der Verstand abgeschaltet wird, desto wundervoller kann Sex überhaupt werden. Am tollsten ist Sex wahrscheinlich noch immer, wenn er durch die automatischen geschlechtlichen Körperfunktionen getrieben ist. Der Verstand verhindert Ekstase. Sex mit vollständig eingeschaltetem Verstand ist wie maschineller Sex, Sex nach ganz bestimmten Regeln, wahrscheinlich auch nicht selten, wie Sex für Geld.

Nach dem Sex wird unser Verstand natürlich langsam wieder die Oberhand gewinnen, bei Manchen oder manchmal auch sehr schnell. Nach dem Sex werden wir daher oft das Geschehen von vorher, das uns so wundervolle Gefühle und Befriedigung (hoffentlich wenigstens das für einen kurzen Moment) verschafft hat, anders beurteilen als während des Geschehens und leider nicht so selten auch als vor dem Geschehen. Und vor dem Sex hat unser Körper uns wahrscheinlich schon Aussichten suggeriert, die wir hinterher für mehr oder weniger verrückt ansehen. An Differenzen zu unserem eigenen Empfinden ist natürlich immer der Andere Schuld, ich selbst nicht. Dass sich aber hier evolutionäre Entwicklung über Jahrmillionen in beiden Körpern auswirkt, das ist uns natürlich gar nicht bewusst. Die Evolution dachte offenbar weder an Gerechtigkeit, noch an Liebe, noch an Ihre und meine Wünsche und Träume. Sie wollte und will schlichtweg Nachkommen zur Arterhaltung, vielleicht noch mit der Realität angepassteren Genen als zuvor. Orgasmus, Ekstase ist für die Evolution nur Mittel zum Zweck. Dass Sie, dass wir, eigentlich gar keine Kinder, sondern nur Vergnügen und weiter nichts vom Sex haben wollen, möglichst noch jede(r) so, wie sie oder er das will, das ist doch der Evolution egal.

Ich habe volles Verständnis, wenn Sie, meine Damen, inzwischen als überwiegend in der menschlichen Gesellschaft Recht Habende und nun auch Recht Begründende und Recht Durchsetzende, Ihre Vorstellungen von Sex ins Gesetz schreiben. Theoretisch kann ich das vollkommen nachvollziehen und muss gestehen, dass ich in vielen Wünschen sogar mit Ihnen übereinstimme. Vielleicht bin ich gar nicht nur Mann? Natürlich ist wunderschöner Sex nur möglich mit gegenseitiger Zustimmung, mit dem „Ja“ Beider. Aber schon mit den Zielen, mit den Träumen hinter dem „Ja“ fürchte ich, unterscheiden sich beide Geschlechter. Das lässt sich nicht gesetzlich regeln. Allenfalls müsste dazu ein längeres gemeinsames Leben, Reden, Nachdenken führen. Sex, wie wir ihn heute oft praktizieren, der schnelle Sex, das One-night-stand, der Sex mit einer fremden Person im Urlaub oder in den Ferien oder nach einer Abendveranstaltung im kurzfristigen Hoch der Gefühle, wird gar keine solche Übereinkunft ermöglichen, weil einfach die Zeit und Intensität des Zusammenseins dazu gar nicht reichten. Rein ins Bett und gevögelt. Wir stehen aufeinander und wir begehren einander.

Ich fürchte, da Sie meine Damen am ehesten das Sexerlebnis hinterher anders beurteilen als vorher, da Sie eigentlich die Mehrdeutigkeit noch viel stärker lieben und leben als wir Männer, ist eine Regelung im Gesetz, wie Sie sie jetzt überall propagieren und ausführen, eher gegen Sie selbst gerichtet. Denn wenn es tatsächlich dazu käme, dass vor jeder sexuellen Handlung in Zukunft von Beiden ein Dokument unterschrieben werden müsste, dass das „Ja“ beweist, dann wird hinterher Ihre geänderte Ansicht zu dem Ereignis gerichtlich weggewischt. Sie haben vorher Ihr Einverständnis gegeben.

Natürlich: Dann wird in Zukunft diskutiert werden, wie das „Ja“ zu verstehen gewesen sein könnte, wurde, aber sollte oder nicht sollte. Dann werden diese Dokumente in Zukunft immer länger, ausführlicher und detaillierter. Später wird man nur noch kleine Schrift verwenden können, weil sonst zu viele Seiten entstehen. Das berühmte Kleingedruckte vor jedem Sex. Willst Du mich als Sexpartner benutzen, dann mache das wie bei jedem Medikament und jeder medizinischen Handlung, wie bei jedem Ding, das ein Anderer produziert hat und Dir verkauft. Lies die Gebrauchsbeschreibung und die AGB und mache Dir vor Gebrauch alle Risiken und Nebenwirkungen klar. Dann unterschreibe und danach ...

Ich bin ja nun ein alter Mann. Ich habe viele Jahre meines sexuellen Lebens vor dem Sex überlegt, was passieren würde, wie der Sex sich gestalten und verändern würde, wenn wir tatsächlich so ein Szenario bekommen würden. Wissen Sie, zu welchem Ergebnis ich oft kam? Es hätte mich so abgeturnt, dass es gar nicht mehr zum Sex gekommen wäre.

Wir werden, beide Geschlechter, unsere Mehrdeutigkeit ertragen müssen, werden entsprechend leben müssen. Wir werden uns darüber klar werden müssen, dass wir uns weder auf unseren Verstand, noch auf die Stoffwechselfunktionen unseres Körpers als Basis der Gefühle einfach werden verlassen können in der Annahme, das wir nach einem sexuellen Erlebnis dieses noch genauso beurteilen wie vorher und dass Beide daraus nachhaltig befriedigt oder vielleicht so beschwingt hervorgehen. Die Evolution hat uns mit der Entwicklung unseres Seins, so wie sie uns körperlich und geistig entwickelt hat eine ganze Reihe fauler Eier in den Körper (nicht ins Nest!) gelegt, die wir nicht durch Recht und Ordnung einfach ändern können. Eines dieser Eier ist, dass wir in der Regel werden mehr geben müssen als wir bekommen können. Zweitens werden wir anerkennen müssen, dass Regeln, Gesetze, Ordnungen, Papier und Unterschriften das Leben in der Regel werden eher schwerer machen als leichter. Wenn es nicht funktioniert, ist der Andere Schuld, in diesem Falle der Mann. Einen Anderen gibt es ja nicht, denn Sie selbst, meine Damen, Sie können ja gar nicht Schuld sein. Sie haben ja heute Recht, so wie früher der Mann. Wenn Beide unterschiedliche Ansichten haben, können ja nicht Beide zugleich Recht haben, oder vielleicht doch oder Keiner von Beiden?

Viele Parlamentarier und Regierungsmitglieder benutzen heute die Gesetzgebung, als könnte man per Gesetz Märchen wahr machen. Frauen zwingen jetzt per Gesetz die Männer zum Prinzen sein, aber zugleich auch zum Diener (besser noch: Sklave) sein. Klar, früher haben wir Männer das ja auch nicht viel anders gemacht. Da brauchte es gar nicht unbedingt die Gesetze. Da reichte auch die eigene Kraft schon. Das Dumme an den Märchen ist, dass sie nicht nur Märchen sind, sondern auch Realität und dort hört die Romantik des Märchens auf. Wir Männer haben das mit dem Feminismus zu spüren bekommen. Ich fürchte, dieser Realitätseinbruch in unsere Traumwelt von gesellschaftlichem Leben und Gesetzgebung steht uns in grösserem Masse noch bevor und wird dann Frauen mehr treffen als Männer.

Sexualstrafrecht ist ja sowieso eine sehr heikle Sache. Wer will denn gerecht beurteilen können, wer mehr oder weniger Schuld trägt, wenn zwischen zwei Menschen intim, also ohne Beobachter (hoffentlich!) und ohne Zeugen etwas geschieht? Glaubt denn jemand allen Ernstes, dass da wirkliche Gerechtigkeit geübt werden kann? Müssten wir nicht Gerechtigkeit selbst üben, indem wir sehr achtsam und menschlich miteinander umgehen, vor dem Sex, beim Sex und nach dem Sex? Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns und die oder den Anderen erst einmal kennen lernen, damit wir nicht nur mit Vorurteilen ins Bett gehen, sondern unsere Vorurteile wenigstens ein bisschen mehr Begründung bekommen. Vorurteile bleiben sie ja schliesslich auch dann noch.

Gesetze machen ist eine sehr komplexe und komplizierte Sache. Meinem Eindruck nach wird noch gar nicht mit bedacht, dass wir neben unseren Eigeninteressen auch unsere Vorurteile, unsere Übertragungen und Gegenübertragungen mit ins Gesetz schreiben. Seit mindestens 100 Jahren stellen unsere Verfassungen und Gesetze ein theoretisches Konstrukt dar, dem wir selbst gar nicht entsprechen. Theorien in Gesetzesform (z.B. die Schuldenbremse). Seit mindestens 50 Jahren schreiben wir nun auch noch unsere Wünsche und Träume mit ins Gesetz, in der Hoffnung, sie so verwirklichen zu können. Weil es nicht geht, müssen wir die Gesetze in immer schnelleren Zeitabschnitten korrigieren, verfeinern, höhere Strafen auf Fehlhandlung aussetzen.

Werden also in unseren Parlamenten und Regierungen eigentlich Gesetzentwürfe vor der Diskussion und Verabschiedung auf solche „Verunreinigungen“ von Psychologinnen oder Psychologen oder vielleicht sogar besser von beiden Geschlechtern zusammen überprüft und gesäubert? Philosophinnen und Philosophen bräuchte es womöglich auch noch? Sonst bewirkt das Gesetz plötzlich das Gegenteil vom bezweckten Ergebnis?

Wenn Gesetze im Sexualstrafrecht wie an vielen anderen Stellen im gesellschaftlichen Leben auch eher kontraproduktiv für ein beschwingtes Leben sind, was käme als Alternative in Frage? Das ist eine spannende Frage. Ich kann sie Ihnen noch nicht beantworten. Einfach so weiter machen, wie bisher, ist hoffentlich nicht die beste Lösung?

Ich lade Sie ein, mit nachzudenken und achtsam miteinander zu leben. Dann bräuchte es ein Sexualstrafrecht vielleicht gar nicht oder nur ein ganz kleines? Z.B. wie im Verkehrsrecht: § 1. Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme ... ? Aber, Sie haben Recht, das Strassenverkehrsrecht hat inzwischen auch viel mehr Paragraphen und wir müssen vor dem Fahren Unterricht absolvieren und eine Prüfung ablegen. Klar haben wir Männer da gegenüber den Frauen noch grossen Nachholbedarf, nicht nur im Strassenverkehr, sondern auch im Intimverkehr. Das unrealistische Vorstellungen in umgekehrter Richtung nicht auch Differenzen in der Sexauswirkung verursachen, ist meines Erachtens zu optimistisch.


1 May 2023
wf