Schmerz und Schuld (4/2025)


Wer Jemandem weh tut, ist schuld. „Du tust mir weh, also bist Du schuld“. Das ist schon fast ein Reflex. Wenn wir diesem Reflex nicht erliegen wollen, müssen wir schon wirklich aus uns heraustreten, die Situation auch von anderen Seiten betrachten und darüber nachdenken. Sonst wird uns unsere intuitive Reaktion sofort auf die vorgegebene Spur schicken, Frauen noch mehr als Männer: „Du tust mir weh, dann bist Du auch schuld“. Deshalb wurden früher manche Boten, die schlechte Nachricht überbrachten, getötet. Sie waren eigentlich in unserem Sinne nicht schuld, aber die Nachricht war schmerzhaft und deshalb wurden sie für schuldig erklärt. Wer unheimlich ist, wer nicht (zu uns) passt oder gar auffällt, wer unser Weltbild stört, der tut uns weh und der ist schuld. Unsere menschliche Grundeinstellung ist Abwehr, nicht Aufnahme mit offenen Armen! Natürlich nur die Anderen. Ich selbst bin doch grundsätzlich erst einmal den Anderen positiv gegenüber eingestellt, oder?

Vielleicht müssen wir hier zunächst unterscheiden zwischen dem, was mich und die Anderen als Mensch ausmacht, als Geschaffenem oder Entwickeltem, als von mir selbst nicht Änderbarem und dem, was ich verändern, gestalten, verbessern und verschlechtern, tun und machen kann. Jetzt müssen wir über unser Selbstbild, unser Menschenbild und unsere Beziehungen untereinander und zur Umwelt nachdenken, was wir ja hier schon lange und noch lange tun. Wir sind als Mensch zugleich Täter und Opfer und können das gar nicht ändern. Unser Einfluss auf uns selbst und die Anderen ist sehr begrenzt. Jemanden für sein Mensch Sein zu beschuldigen, geht an der Realität vorbei. Das zu vermeiden, ist eine echte Herausforderung.

Unser Schuldverständnis: Du tust nicht das, was ich mir denke, wünsche oder träume, also bist Du schuld. Das ist ein sehr verbreitetes Verständnis von Frauen Männern gegenüber. Umgekehrt natürlich auch, seltener? Was hat das mit Schuld zu tun? Wir sind getrennte Lebewesen. Wir können nicht die Gedanken der oder des Anderen lesen, haben andere Wünsche oder Interessen. Zunächst einmal ist das einfach so. Möchte-gern-Mann: Die Männer müssen sich jetzt ändern! Aussicht auf Erfolg?

Achten wir darauf, dass wir bei niemandem anecken, ausser, wenn wir an der Macht sind. Aber selbst dann sind wir nicht selten abhängig vom Wohlwollen unserer Untergebenen. Sonst ist so mancher Herrscher schnell seine Macht wieder los und vielleicht sogar auch sein Leben. Die Verteilung von Schuld, die in uns völlig unbewusst abläuft, sorgt dafür. Da können wir sehr sicher sein. So kam es damals zu den Hexenverbrennungen. So kommt es heute zur Männerverachtung und zur Verachtung vieler Gruppen von Menschen (für das wir dann schöne Begriffe haben, wie Rassismus, Nationalismus und viele -musse, wieder, natürlich nur bei den Anderen). Die Mechanismen sind die gleichen wie im Mittelalter. Wir haben uns nicht geändert. Durch unsere Ideologien haben wir uns nur mehr Schein als Sein aufgebaut. Unsere Intuition führt uns immer wieder in die gleichen Fallen. Da helfen auch das Recht und die Definition von „gut und böse“, sogar Bildung nichts. Wir müssen entgegen unserer Neigung, entgegen unserer Intuition auf Andere zugehen und ihnen wohl(!) wollen, auf Gegner, auf Unsympathische, auf Konkurrenten etc. Oft ist die Reaktion „Du tust mir weh, Du bist schuld!“ einfach fehl am Platz.

Für Geschehnisse in der Welt, auf die wir keinen Einfluss haben, können wir auch nichts. Wenn es um unsere Person geht, dann erwarten wir selbstverständlich, dass sich der oder die Andere darüber klar ist und uns auch keine Schuld gibt. Im umgekehrten Falle liegt die Schuldzuweisung aber oft intuitiv sehr nahe und dass wir uns die gedankliche Mühe machen, die Person vom Ereignis zu trennen und beide getrennt zu betrachten, bereitet Mühe, kostet Kraft und Zeit und verhindert eine schnelle Beurteilung und Reaktion. Wir (und das gilt dann natürlich auch für die Anderen) sind verantwortlich, soweit wir frei zum Denken und Handeln sind. Nicht selten schränken wir dabei unser Gegenüber schon selber ein oder er/sie uns. Dann wird die Schuldfrage noch komplizierter. Für Naturregeln können wir nichts. Wir müssen sie einhalten, wenn wir weiter leben wollen. Für biologische Naturregeln gilt das genauso. Bei denen versuchen wir jedoch immer wieder auszubrechen, weil biologische Naturregeln mit Lebewesen zu tun haben und die Mehrdeutigkeit im Leben bringt uns immer wieder in Versuchung, zu glauben, bei den biologischen Naturregeln könnten wir ungestraft tun, was wir gerne wollten. Längerfristig rächt sich diese Einstellung aber doch oft. Biologische Naturregeln gelten wie Naturregeln. Das ist wegen der Mehrdeutigkeit im Leben nur nicht so ersichtlich. Eine Form von Sein und Schein.

Natürlich kann es sein, dass ich Ihnen weh tue. Dafür kann es sehr verschiedene Gründe geben. Erstens kommt da in Frage, und das wird häufig der Fall sein, dass wir Menschen sind, Jeder getrennt vom Anderen, mit eigenen Genen und speziellen Prägungen, die der/die Gegenüber gar nicht kennt und sich daher gar nicht darauf einstellen kann. Die Persönlichkeitsstruktur, die Grenzen des Menschseins resp. Menschenmöglichen – alles das kann zu Schmerzen beim Anderen führen. Die Frage von Schuld darauf anzuwenden, ist schlicht fehl am Platz, auf jeden Fall trennend. Es gibt Unfälle und Zufälle, äusserliche Zwänge und Zusammenhänge. Nur in relativ wenigen Fällen wird die Frage nach der Schuld wirklich sinnvoll sein und wird es eine ausreichende Begründung für eine Schuldzuweisung (möglicherweise mit Strafe) geben. Ein Automatismus wie ihn unsere Intuition in aller Regel verursacht, ist an dieser Stelle bei Weitem nicht angebracht. Verhängte Strafen werden meist den oder die Falsche(n) treffen.

Dieser Reaktionsweise sollten wir uns bei unserem eigenen Handeln und Reagieren bewusst sein. Aber auch bei Anderen oder unserem Gegenüber wird solch eine Reaktion häufig sein, ohne dass sie demjenigen bewusst ist. Vielleicht können wir durch Verständnis der Situation die Reaktion und ihre Folgen entschärfen? Dem oder der Anderen die Schuld an etwas zu geben, ist oft falsch, aber selbst wenn es nicht falsch ist, erleichtert es die Situation fast nie. Es lenkt zwar von unserer eigenen Person zunächst ab, wenn der Andere auf seine Schuld aufmerksam gemacht wird, wird aber in dem Anderen den Schmerz so wesentlich verstärken, dass weitere Kommunikation oder gar Verständnis kaum noch möglich sind. Schuldzuweisungen, selbst wenn sie richtig sind, sollten wir wo immer möglich, vermeiden. Die Schuldfrage nicht unnötig auszugraben oder bewusst nicht als Argument gegen den/die Andere(n) zu gebrauchen, macht Zusammenleben leichter, fällt uns aber unsagbar schwer. Wenn uns bewusst ist, wie häufig unsere eigenen Vorstellungen unrealistisch sind, wie oft unsere Anschauungen unbegründet sind, wie oft wir nicht Recht haben, dann fallen uns Schuldzuweisungen gegenüber Anderen schwerer. Unser Vermeiden von Schuldzuweisungen verringert die Schmerzen im Gegenüber. Schenken wir ihr/ihm das.

Schuldzuweisungen setzen ja bereits ein Urteil voraus, wenn nicht von einem Gericht getroffen oder von einer Jury, so von uns selbst. Wenn wir bedenken, wie schnell wir mit Schuldzuweisungen sind, dann werden die meisten unserer Urteile, die zu Schuldzuweisungen führen, Vorurteile sein, die bei genauer Betrachtung von allen Seiten gar nicht Stand halten können. Das spricht dafür, dass es sich lohnt, viel vorsichtiger und langsamer mit Urteilen zu werden.

Meist wird dieses Handeln aber bedeuten, dass wir den damit verbundenen Schmerz, nicht einfach auf den Anderen oder die Andere zu zeigen und die Schuld auf andere Schultern zu verlagern, selbst aushalten müssen. Und Schmerz tut weh, ist real. Wir vermeiden ihn, wo wir können. Zu diesem Handeln gehören Selbstbeherrschung und Übung, Bereitschaft, Leid zu ertragen, viel Toleranz in uns selbst Anderen gegenüber.

Im Verkehrsrecht ist es sehr offensichtlich, aber auch in vielen anderen Prozessen und Rechtsfragen spielt es eine grosse Rolle: Der Verursacher ist der Schuldige. Im Gerichtssaal wird vielleicht noch abgestuft (mutwillig, bewusst, vorsätzlich oder fahrlässig oder nur teilweise, billigend in Kauf genommen, unvorsichtig etc.), in der Presse aber und auf jeden Fall am Biertisch und beim Kaffeekränzchen ist der Schuldige schon gefunden. Und wenn eine Differenz besteht zwischen dem Urteil am Biertisch oder beim Kaffeekränzchen im Vergleich zum Gerichtssaal, dann ist schon wieder gleich der Schuldige gefunden, nämlich die (meist zu nachsichtigen) Richter. Hat da schon mal Jemand nachgedacht? Ist der Unterschied zwischen dem Gerichtsurteil und unserem Urteil nicht eine Anklage gegen die Vorurteile der Presse und uns einfache Bürger selbst? Ob damit klar ist, dass jedes Gerichtsurteil realitätsnah gefällt ist, ist eine andere Frage.

„Du bist schuld!“ Damit ist eine Trennung vollzogen: Ich bin gut. Ich bin Opfer. Du bist böse. Du bist Täter. Damit ist die Trennung perfekt. Das veranlasst aber auch Viele zur Passivität, zum blossen Konsum. So vermeidet man, zum Täter zu werden, zum Bösen, zum Schuldigen, was aber nicht immer funktioniert.

Nicht nur körperliche Schmerzen verleiten uns voreilig, nach (dem/der) Schuldigen zu suchen, psychische Schmerzen auch. Dazu gehören der Trennungsschmerz, der Einsamkeitsschmerz, der Nichtverstehensschmerz, der Lieblosigkeitsschmerz, der Mobbingschmerz und andere.

Zusammenleben verursacht viel Reibung. Da braucht es viel zwischenmenschliches „Öl“. Das gegenseitige Begehren ist solch ein wunderbares Öl. Aber es hält nur etwa vier Jahre, wenn überhaupt und was dann? Die Aura des Neuen ist solch ein Öl, aber neu ist alles immer nur sehr kurz. Was dann? Nicht eindeutig von einem Körperteil verursachter Schmerz ist keine Krankheit und ist daher keine Begründung für einen Arztbesuch oder gar eine Medikamenteneinnahme. Solcher Schmerz ist keine Krankheit! Solcher Schmerz gehört zum Leben! Erleiden wir ihn geduldig. Er wird uns viel Täuschung ersparen oder abnehmen.

Enttäuschungen sind typische Vorgänge, die uns starke Schmerzen verursachen. Erleichterung finden wir, weil eigentlich sofort klar ist, wer Verursacher, also Schuldiger ist, also böse ist: Der oder Die uns enttäuscht. Wirklich? Ist das so einfach?

Enttäuschungen gibt es ja nur, weil wir nicht eins sind mit der Realität. Die Enttäuschungen zeigen uns, wie breit die Lücke ist zwischen uns und der Realität, zwischen uns und den Anderen, zwischen uns und den Dingen, ja in gewissem Sinne sogar zwischen uns und uns selbst. Auch wir gehören zur Realität und doch auch zur Theorie. So denken wir von den Einen zu gut und werden enttäuscht und denken von den Anderen zu schlecht und werden dann überrascht (auch eine Form von Enttäuschung). Letztere tut oft nicht so weh. Wahrscheinlich hat da Jemand wirklich geschenkt? Aber auch unliebsame Überraschungen können Schmerzen bereiten, vielleicht in Form eines schlechten Gewissens?

Wie gehe ich denn mit Enttäuschungen um? In der Kindheit erliegen wir vielen Täuschungen, in der Balz ganz extrem. Spätestens in der Mitte des Lebens sind wir von unseren Partnern enttäuscht. Die negativen Gefühle nehmen überhand. Die erste Scheidung ist hinter uns. Männer die Frauen und Frauen die Männer können jeweils das andere Geschlecht sowieso vergessen. Wir sind vorsichtig geworden, wenn wir das andere Geschlecht nicht sowieso eher verabscheuen, Frauen wahrscheinlich intensiver als Männer. Aber auch in anderen Bereichen des Lebens ist das so: Politiker sind des Volkes überdrüssig, weil es störrisch ist und das Volk verabscheut die Politiker, weil die nur täuschen und in die eigene Tasche wirtschaften. Arbeitgeber bekommen nicht genügend Leistung von den Arbeitnehmern und Arbeitnehmer nicht genug Geld und Sozialleistungen von den Arbeitgebern. So können wir noch viele Paare im Leben finden. Leben besteht aus Täuschung und Enttäuschung, aus Schein und Sein und es geht gar nicht anders. Wer es vermeiden will, aus welchem Grund auch immer (z.B. aus moralischen Gründen), versucht Leben zu vermeiden und täuscht sich schon wieder. Es gibt kein Entrinnen, eine Naturregel!

Wenn uns Jemand enttäuscht, dann tut er uns weh. Also ist er schuld, also böse und damit gehört er bestraft. Danken wir ihm auf Knien, denn er hat uns von einer Täuschung befreit, hat uns also der Realität, der Wahrheit, einem angemessenen Urteil ein gutes Stück näher gebracht. Üben wir diese Dankbarkeit immer wieder. Schenken wir Vertrauen, aber rechnen wir mit jeder Enttäuschung und seien wir dankbar für sie. Sinnvoll leben können wir nicht anders!

Eine der beliebtesten menschlichen Tätigkeiten: Sich selbst täuschen und Anderen die Täuschung vorwerfen. „Du hast mich aber enttäuscht!“ „Hinweg mit Dir!“

Wir beschuldigen viel zu oft andere Menschen. Je weiter sie weg sind (je grösser die Entfernung, je fremder sie uns sind, je indirekter die Beziehung ist (über Dritte oder digital …), desto schneller beschuldigen wir sie. Sie können sich nicht wehren. Dann beschimpfen wir sie, machen sie nieder, richten sie. Ob die Anderen schuldige Täter sind, wissen wir nicht, aber jetzt sind wir es.

Suchen wir nicht immer einen Schuldigen. Die Naturregeln beschuldigen wir nicht (obwohl wir uns nach einem Sturz mit Verletzung über die Erdanziehungskraft und nicht über uns selbst ärgern). So sollten wir uns auch den biologischen Naturregeln unterordnen. Typischerweise sind wir Menschen die ausführenden Organe der biologischen Naturregeln, erscheinen also für uns als Verursacher, aber wir sind nicht automatisch die Schuldigen. Wir können nichts dafür, dass wir leben. Wir waren nur zur falschen Zeit am falschen Ort, die Anderen auch. Also beschuldigen wir niemanden vorschnell. Allenfalls könnten wir die evolutionäre Natur oder/und das leblose allgemeine Sein und/oder den lebenden Gott beschuldigen, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Da werden wir an anderer Stelle drüber nachdenken.

Es stimmt auch nicht, dass die Anderen sich ändern müssen, dass wir sie dazu bringen müssen, per Gesetz oder per Vertrag oder mit anderen Mitteln. Werden wir geduldig, werden wir Patient, Leidende(r), selbstbeherrscht, bescheiden.

Hören wir auf damit: Ich bin gut und Du bist böse, Du bist Täter (Schuldiger) und ich bin Opfer (Unschuldiger), ich bin objektiv und Du bist subjektiv (bist also mit Deinen Klagen und Beschwerden nicht ernst zu nehmen). Sie/Er und ich sind Beide beides, gut und böse, oft auch schuldig und unschuldig zugleich, Täter und Opfer zugleich.

„Ein Jeder trage des Anderen Last.“ Könnte es sein, dass wir eher sagen müssten „Ein Jeder ertrage den Anderen als Last“? Da wir Menschen ja nun seit dem Trotzalter Recht haben, egal, was wir denken und da uns auch noch ein Fühler für unsere eigene Dummheit fehlt, kann zusammenleben doch fast nur schief gehen. Da sind wir unsensiblen Männer unseren Frauen sicher eine grössere Last als umgekehrt. Ich bitte um Verzeihung!

Eines der grössten Probleme dieser Welt ist Schuld. Sie ist eine Last, unter der wir Menschen zerbrechen. Ob wir wirklich schuldig sind, spielt da gar keine Rolle. Darum erlassen wir doch so oft und so viel Schuld als möglich, statt sie Anderen aufzubürden. Allerdings geht das nur, wenn wir selbst bereit sind, die Schuld und den verursachten Schmerz auch selbst zu tragen und zu erleiden. Traue sich bitte keiner selbst zu viel zu! Auch am fremde Schuld Tragen sind schon Viele zu Grunde gegangen und wer glaubt es zu tun? Womöglich ist da viel Selbsttäuschung dabei? Denken wir daran: Das Fleisch ist stark und der Geist ist unwillig. Intuitiv spielt uns der Körper vielleicht schon wieder einen Streich, ohne dass wir es bemerkt haben?

Früher wurde der Bote schlechter Nachrichten getötet. Heute bekommt er die Schuld. Das ist ein triftiger Grund, Tabus nicht zu verletzen.

Wenn wir aufeinander bezogen sind und füreinander da sind, dann erleiden natürlich unsere Versäumnisse zuerst die Anderen und erst danach als Folge oder als Rache dann auch wir, unsere Nachkommen und Andere. Auch hier steckt wieder die Doppeldeutigkeit des Lebens drin. Es ist noch lange nicht sicher, das der, der Schuld zu sein scheint, auch wirklich Schuld ist. Wir geben viel zu schnell und oft Schuld, wo gar keine ist. Natürlich gibt es auch echte Schuld, die ich oder ein Anderer durch seine Äusserungen, Entscheidungen und Handlungen, die meist auch Schmerzen beim jeweiligen Opfer verursachten, auf sich geladen haben.





Der Weg und die Extreme (5/2025)


Wir können menschliches Leben, sowohl im Kleinen (in der einzelnen Person), als auch im grossen (in der menschlichen Gesellschaft) mit einem breiten Weg vergleichen. Definiert ist der Weg durch seine seitlichen Begrenzungen, die Randwälle, die Extreme. Alles zwischen den Extremen, zwischen den Rändern, ist der Weg entlang der Zeit. Die gute Mitte zwischen beiden Extremen zu finden, ist im realen Leben schwierig. Im alten China war es eine Art Sport, eine Art mentaler Übung, eine Form von Lebensweise. Kulturrevolutionen (teil-?)vernichten leider solche Formen von Kultur. In der Mitte gibt es keinen roten Faden, keinen Strich, keine Orientierungsmarken. Auf den Fahrstrassen hat man deshalb extra die Strichelung auf der Mitte als Markierung eingeführt. Ohne sie ist die Orientierung an der Mitte schwer. Im realen Leben gibt es die Strichelung nicht. Deshalb ja unsere Frage „Wie leben?“. Woran können wir uns orientieren, wenn es die Markierungen gar nicht gibt?

Das Bild passt in mehrerer Hinsicht oder veranschaulicht mehrere Tatsachen.

Wir Menschen bestehen aus der Mitte, dem normalen unbedeutenden Leben, das kaum Einer wahrnimmt. Dazu gehören aber die beiden Ränder „gut“ und „böse“, „rechts und links“, Alltag und Feiertag, arm und reich ... Da gibt es auch noch viele andere mögliche Paare von Extrempositionen. Erinnern Sie sich? Ziemlich zu Anfang unseres Nachdenkens hatten wir mal alle diese Extrempositionen von „fortschrittlich“ und „reaktionär“, von „gut“ und „böse“, von „moralisch“ und „unmoralisch“ und viele andere solcher Beurteilungen für Menschengruppen zur Seite gestellt, um möglichst unbeeinflusst zu verstehen und Zusammenhänge und Mechanismen zu entdecken.

Unsere Gesellschaft besteht aus einem breiten Strom von unauffälligen Menschen, der Mitte. Sie und wir anderen Menschen in ihr fallen nicht auf. An ihnen kann man sich aber auch nicht orientieren. Wir neigen dazu, bequem und faul in der Mitte zu schwimmen. Der Strom der Menschheit wird begrenzt auf beiden Seiten durch die Extreme. An Hand der Extreme ist es uns möglich, die dazwischen befindliche Mitte wahrzunehmen. Verbieten wir aber die Extremisten, töten sie, stecken sie ins Gefängnis oder vernichten sie irgendwie anders, wird der Richtung Mitte befindliche Anteil des Stromes zur neuen Begrenzung. Langsam entsteht ein neues Extrem, nur durch etwas andere Positionen charakterisiert. Es ist eine biologische Naturregel, dass die Gesellschaft eine Mitte hat und zwei (oder in der Realität anders als im Bild vielleicht sogar mehrere?) Ränder, die Extreme. Nehmen wir sie wahr und benutzen wir sie als Orientierungshilfen, aber versuchen wir bitte nicht, sie zu vernichten. Die Folge ist Krieg, nicht Frieden, den wir doch eigentlich durch die Abschaffung der Extremisten schaffen wollten. Die Extremisten gehören zu uns. Nutzen wir sie zur Orientierung. Sehen wir sie uns an. Integrieren wir sie in unsere Weltanschauung.

In der Mitte ist das Auffangbecken der Mitläufer, der Unentschiedenen. Nur Wenige haben bewusst eine integrierende Position in der Mitte, aber auch sie sind oft unsichtbar in der Mitte.

Unser eigener Lebensweg ist auch kein gerader immer schön in der Mitte der Strasse oder des Stromes, sondern mehr oder weniger hin und her geworfen zwischen den Extremen, also in Schlangenlinien. Wir schaffen es selten, geraden Mittelkurs zu halten, die oft optimale Mittellinie. Niemand hat sie für uns gekennzeichnet. Wir können nicht einmal erkennen, ob wir geradeaus oder Schlangenlinie fahren. Woran sollten wir das messen?

Das Interessante spielt sich an der unbekannten und unsichtbaren Mittellinie ab, nicht in den Extremen. Du irrst und ich habe Recht sind die Extreme. Vermutlich irre ich mich mehr oder weniger zu meiner Seite und Du irrst Dich mehr oder weniger zu Deiner Seite. Ob wir zusammen 100 %, also den rechten Weg haben? Selbst das können wir nicht bestimmen. Es fehlen uns die Markierungen.

An den Extrempositionen nehmen wir am leichtesten wahr, wo wir stehen. Nicht selten ist es dann so, dass wir nur das Extrem oder sein Gegenteil (schwarz oder weiss) sehen. Das führt dazu, dass ein sinnvoller Weg in der Mitte überhaupt nicht gefunden werden kann, weil uns nur die Extreme bestimmen. In der Mitte ist theoretisch der beste Weg, aber wir finden ihn seltenst. Er ist nicht markiert. Vielleicht wissen wir nicht einmal von seiner Möglichkeit? Die aber, die sich in der Mitte treiben lassen, die sind die uninteressante, unförmige Masse ("I go with the flow" äusserte ein Chinese.). Dazu wollen wir auch nicht gehören. Ob es wirklich erstrebenswert ist, zum Extrem, zum Rand zu gehören? Ich habe da Zweifel, aber es braucht diese Menschen und sie entwickeln sich auch immer wieder.

Natürlich braucht es auch öfter die Ausschläge, manchmal sogar die Extreme (z.B. in der Balz, im Aufbau von Start-ups, beim Sport und Wettkampf...). Das bewusste Zurückfinden in den mittleren Bereich ist schwierig. Nach der Balz aber passiert es zu unserem Herzeleid meist ganz von selbst und von uns selbst lange unbemerkt. Sehr oft passieren Überkorrekturen und dann landen wir mehr oder weniger im anderen Extrem. Dazu verführen uns Stolz, Neid, Konkurrenzangst, Rache … Das können wir auch nicht einfach abstellen.

Die klaren und eindeutigen Worte sind meist die Worte der Extremisten. In der Mitte herrscht Nebel, aber dort liegt am ehesten die Realitätsnähe unserer Ansichten.

Was machen wir, wenn wir nicht zur Mitte gehören wollen? Wir bewegen uns aktiv auf eine Position zu und da ist die Wahrscheinlichkeit relativ gross, dass es eine Extremposition sein wird. Positionen in der Mitte sind für Jemanden, der gerade aus der Mitte kommt und sich abgrenzen will, sehr wahrscheinlich unattraktiv. Sehen wir uns doch vor, dass nicht wir die gefährlichen Extremisten werden oder sind, ohne es zu merken. Sinnvoll wäre ein Schwimmen in der Mitte unter Einschluss der Extreme. Das aber verbraucht viel Kraft, viel Toleranz, viel aufeinander Zugehen und sich verstehen Wollen. Es bedarf des Ausgleichs zwischen mir und dir und mir und der Gesellschaft. Das schaffe ich nur im selbstkritischen Nachdenken. Das schafft unsere Intuition gar nicht (beider Geschlechter). Aber das ist das Optimum, gewissermassen „gut“. Sie ahnen, wie schwer uns das gelingen wird, aber wenigstens Ziel dürfte es für uns sein.

Es lohnt sich nicht, für eine „gute Sache“ zu kämpfen oder gar zu sterben. Man hat nur die zweite Seite der Medaille ausgeblendet. Man stirbt nur für seine eigene egoistische Sache und dann hat man nichts mehr davon. Dann ist man tot. Aber auch die Nachkommen haben nichts davon, denn die Realität ist die gleiche geblieben. Es lohnt sich nur, für etwas zu sterben, was wir Menschen auch wirklich ändern können. Diese Dinge sind aber viel zu banal, um dafür zu sterben. Was können wir überhaupt ändern. Am sichersten ist es wirklich, uns selbst zu ändern.

Im Zusammenleben von Mann und Frau über längere Zeit sehen wir bei Vielen, dass das, was wir haben, an Wert verliert und das, was wir nicht haben, was wir entbehren müssen, was wir uns wünschen, an Wert gewinnt. Noch ein bisschen Gefühl dazu und schon entsteht ein explosives Gemisch.

Im Zusammenleben der Völker ist das nicht anders. Völker, die unbedingt ihre Freiheit haben wollen und dafür schon viele Jahre kämpfen, werden auch in 100 Jahren noch kämpfen, es sei denn, sie bekämen ihre Freiheit, ihre Selbstständigkeit und ihre territoriale Integrität. Wir erinnern uns: Wir Menschen sind Tiere und zumindest wir Männer verteidigen oder erobern unser Revier. Sehr geehrter Herr Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, glauben Sie, dass Sie mit den Kurden in Ihrem eigenen Land je zur Ruhe kommen werden, wenn sie ihnen weiter ihren eigenen Staat verwehren? Sie werden auf ewig Feinde bleiben, leider nicht erst werden. Das Gleiche gilt für Spanien, für China und für viele andere Länder. Wenn wir mit unseren Nachbarn oder Mitbewohnern des eigenen Landes Frieden haben wollen, dann schenken wir ihnen die Freiheit, Selbstbestimmung und genügend Geld. Interessanterweise bereuen viele Briten bereits fünf Jahre nach dem Brexit ihren Austritt und nähern sich der EU wieder an. So schnell?

Das gilt heute für alle Zentraleinheiten (Bündnisse, Länder, Gesellschaften, etc): Für eine friedliche, fruchtbare, freudeschaffende Zukunft ist eine ausgewogene Abstimmung von Zentrale und Peripherie, oben und unten, arm und reich, links und rechts etc. Bedingung. Nicht das Trennen und Widerstand Leisten schaffen lebenswerte Zukunft, sondern das Vereinen und Wohlwollen. Länder mit einer soliden Mittelschicht sind oft am wohlhabendsten und ausgeglichensten. So finden die Extreme und die Mitte zusammen, ohne ihre Identität zu verlieren. Wer will schon seine Identität aufgeben? Ohne Identität existieren wir nicht mehr. Identität aufgeben ist (wie) sterben.

Der Weg in der Mitte ist die Möglichkeit des Vorankommens. Die Extremisten sind extrem einseitig. Vorankommen werden wir zusammen, Frau und Mann, Volk und Regierung, Rechts und Links, Diktator und Freiheitskämpfer. Die Extreme sind wie ein gesellschaftlicher Zustand niedrigerer Energie. Intuitiv rutschen wir in die Extreme oder in die formlose Masse in der Mitte. Braucht es ein „Vorwärts“ überhaupt? Ist es überhaupt möglich? Wir sind vermutlich auf dem lebensfreundlichsten Planeten innerhalb unseres Horizontes im Kosmos. Wir leben. Was brauchen wir mehr? Wir haben gegenüber früher schon doppelt so viele Lebensjahre, viel zu viele. Wir können gar nicht so viel erarbeiten, auch wenn wir natürlich alle möglichst lange leben wollen.

Die Extremisten führen meist Krieg miteinander, erst kalt, dann hitzig und dann heiß. Wäre womöglich unser Ziel schon erreicht, wenn nur die Extremisten Frieden miteinander schlössen? Alles darüber ist Luxus? Achten wir darauf, dass wir selbst nicht zu Extremisten werden.

Leider oder zum Glück (je nach Sichtweise) stimmt auch, dass vieles, was wir haben oder geniessen, nicht unser Verdienst ist, sondern schlicht Glück oder Zufall oder weil Andere vor uns so günstige Verhältnisse geschaffen haben, selbst verzichtet haben. Oft ist nur der glückliche Zufall der Geburt an diesem Ort oder in dieser Familie oder in dieser Gesellschaft der Grund. Wir geniessen, was Andere geschaffen haben. Bilden wir uns nicht zu viel auf uns und unsere eigene Leistung ein. Nehmen wir unseren Überfluss als Geschenk, auch wenn wir nicht wissen von wem. Denken wir auch daran, dass oft Überfluss unmenschlich ist, wenn nicht hier, dann an dem Ort, wo er weggenommen wurde. Das gilt oft für Volksgruppen, für Nationen, für Familienclans, für erfolgreiche Firmen und vieles mehr. Unser Nationalstolz, unser Familienstolz ist womöglich gar nicht unsere Leistung, sondern die Leistung Anderer, meist die schon Gestorbener? Die hätten Grund, stolz zu sein, wenn da nicht das Minus an anderer Stelle wäre, an dem Andere jetzt leiden, aber wir? Ist da nicht etwas in unserem Hirn falsch verdrahtet?

Eine immer ansteigende Kurve der Wirtschaftsentwicklung, der Wissensentwicklung, des Wohlstands, der Geldmenge und vieler anderer Faktoren in unserem Leben endet unweigerlich im Extrem, sogar im Unendlichen. Die reale Welt allerdings lässt das gar nicht zu. Wir brauchen uns da gar nicht anzustrengen. Wir werden uns an der Realität nicht nur die Nase stossen, sondern werden möglicherweise sogar mit unserem eigenen Leben bezahlen. Viele werden sterben, ohne überhaupt gemerkt zu haben, warum sie sterben. Schon in unseren Staatsgebilden schützt nicht Wissen nicht vor Strafe. Da können wir vielleicht auf Gnade hoffen. Die Realität kennt keine Gnade.

Wir haben es hier mit biologischen Naturregeln zu tun, an die wir unser Denken und Handeln anpassen müssen. Wir können sie genauso wenig abschaffen, wie wir die Gravitationskraft abschaffen können. Genauso sinnlos ist es, Gesetze oder Regeln zu erlassen, die diese Entwicklung verhindern sollen. Das sind völlig nutzlose Gesetze! Wir können nicht per Gesetz biologische Naturregeln ausser Kraft setzen, genauso wenig wie Naturregeln.

In der Regel versuchen wir, unseren guten Teil breit darzustellen und unseren bösen Teil hinter dem guten gut zu verstecken. Vorhanden sind beide. Dem Einen gelingt das Versteckspiel besser als dem Anderen. Frauen gelingt es oft besser als Männern. Aber, auch wenn wir es bei uns oder Anderen nicht wahrnehmen, wir dürfen es als biologische Naturregel annehmen, dass es so ist. Wer etwas anderes sagt, redet wahrscheinlich „Fake“.

Wir neigen dazu, entweder die rosarote oder die schwarze Brille zu tragen. Das ist einfach. Intuitiv sind die Extreme am leichtesten und am deutlichsten zu erkennen und zu vertreten. Das sind zwar Vorurteile, aber sie kosten am wenigsten Mühe. Sinnvoll ist eine mühevolle Abstimmung mit allen möglichen Menschen und Informationen. Aber diese Mitte ist in jedem Punkt irgendwo zwischen den Extremen, je nach Frage unterschiedlich. Uns selbst betrachten wir mit der rosaroten Brille, Andere dagegen durch die dunkle Brille. Realitätsnahe Beurteilung braucht Liebe zum Anderen und Liebe zum Detail und Bereitschaft zum Verzicht.

Wer ein bisschen denkt, gerät leicht ins Extrem. Diese Position ist leicht zu finden. Wenn wir etwas denken, tun, umsetzen, anvisieren, als Ziel festlegen, dann aber bitte richtig. Keine Halbheiten. Wenn schon, denn schon … "Wir liefern Qualität, beste Qualität!" Diese Position nehmen wir fast automatisch ein. Man kann sich gut in oder hinter ihr verschanzen. Wer will schon Halbheiten? In dieser Position lassen sich leicht Parteien, Gewerkschaften, Interessengemeinschaften etc. gründen. Die Masse läuft gedankenlos in der Mitte, eben, gedankenlos. Wer nachdenkt, wird wahrscheinlich auch oft irgendwo in der Mitte laufen, aber unter Einschluss der Ränder, der Extreme, unter Orientierung anhand der Ränder. Lassen Sie uns nachdenken.

Die Mitte ist die Masse der Verbraucher und Verbraucherpersönlichkeiten. Natürlich sind das nur die Anderen.

Was bedeutet es eigentlich, dass es in der Welt der Lebewesen nur weiblich und männlich gibt, also die zwei Extreme und keine Mitte dazwischen? Das kann doch eigentlich gar nicht gut gehen? Da kann es doch nur Mord und Totschlag geben, oder?

Immer wieder Yin und Yang, falls ich das richtig verstehe. Passen wir uns den Anderen an wie das früher die Frauen taten. Nicht, der Andere muss sich laufend uns anpassen. Unsere Intuition möchte das zwar gerne so, aber das führt zu immer mehr Einsamkeit, zu immer mehr Druck, immer mehr Unfreiheit für die Anderen …

Da wollen wir den Chinesen folgen, die den Ausgleich der Extreme zwischen Yin und Yang, zwischen Frau und Mann, zwischen dem allgemeinen Sein und der Welt suchten. Denken wir beides, auch beide Seiten, nein, die vielen Seiten, auch die des lebenden Gottes, die des leblosen Allgemeinen Seins und die der evolutionären Natur.

Eine Weltanschauung, die nur das Allgemeine Sein, das spannungslose Sein, das leblose Sein, kennt, kennt natürlich auch keine Grenzen, damit keine Extreme an den Rändern. Alles ist Graubereich, der aber gar nicht bestimmbar ist. Politik oder gar Krieg lassen sich so nicht machen, denn sie bedingen ein Gegenüber, eine Opposition, im schlimmsten Fall einen Gegner. Seltsam, dass auch in Ländern mit dieser Weltanschauung Konflikte und sogar Kriege geschehen. Da passt etwas nicht zusammen.




Win-win Situationen (5/2025)


Win-win-Situationen sind etwas besonderes. Sie sind der Traum unserer Ökonomen, unserer Politiker, unserer Organisatoren in der Gesellschaft. Wenn es um uns selbst im kleinen, privat geht, dann hätten wir gerne Gerechtigkeit, also Gleichheit zwischen Allen, aber dann hätten wir unerkannt doch gerne ein bisschen mehr als die Anderen. Im Grunde zielen unsere Gleichheitsgedanken darauf ab. Auch die Ideen des Kommunismus und des Sozialismus beruhen darauf. Alle leben und sind gleich und gewinnen durch die Gleichheit. Win-win in theoretisch bester Ausformung.

Bis zu 2 Parteien ist die Sache einfach (und schon schwer genug): Wir einigen uns oder auch nicht. Nehmen wir einen Dritten (als Moderator, Vermittler, Richter) dazu, sieht es erst einmal einfacher aus. Objektivität, Gerechtigkeit, Unabhängigkeit… Aber die Win-win-Situation ändert sich. Der Dritte bekommt Eigeninteressen. Ab da wird’s noch viel komplizierter. Wir denken aber umgekehrt.

Win-win-Situationen sind selten. Wenn sie erreicht werden, dann werden sie gefeiert. Man hat endlich eine gute Situation geschaffen. Jeder gewinnt (dann kann ja auch eigentlich keiner verlieren?)! Das ist ja fast schon Himmel auf Erden. Jetzt können wir uns ausruhen. "Geschafft!" So wünschen wir uns das.

Die entsprechenden Parteien leben, arbeiten, handeln und feiern miteinander. Leider ruhen sie sich meistens eher aus. „Was geht es uns gut gegenüber vorher“. Aber das Leben (und damit wohl auch das leblose Allgemeine Sein und/oder der lebende Gott und/oder die evolutionäre Natur) sind ungerecht. Im Leben gibt es viele Situationen und Ereignisse und Vorgänge, die nicht gerecht verteilt sind, sondern im grossen Massstab zufällig (also in dieser Hinsicht gleich), aber im kleinen Massstab, in der speziellen Situation, sehr ungleich. So ändern sich die Situationen für die einzelnen Seiten und die getroffenen Regelungen bevorteilen den Einen und benachteiligen den Anderen. Da kann Gesundheit eine Rolle spielen (oder besser Krankheit), wirtschaftlicher Erfolg (oder besser Misserfolg), Unfälle, Trends, Moden, Wetterereignisse und vieles mehr. Oft haben sich die Verhandlungspartner getäuscht in der Beurteilung, weil sie die Zukunft nicht vorausahnten. Der Vertrag reicht aber in die Zukunft. Das geht eine Zeit lang gut. Dann werden unbemerkt die Verhältnisse immer ungleicher. Die Regeln aber gelten und der, der im Vorteil ist, wird kaum auf seinen Vorteil (Gewinn) verzichten wollen. Der Benachteiligte wird, sobald er das erkennt, schlechte Gefühle entwickeln. Das Desaster ist kaum zu umgehen. Die geschlossenen Verträge aber gelten.

Win-win-Situationen neigen also dazu, in der sich verändernden Gesellschaft, unmerklich zu Gewinner- und Verlierer-Beziehungen und schliesslich Extremsituationen zu werden. Deshalb gibt es ja im Sozialismus zumindest theoretisch den Staat, der dann den bevorteilten Bürgern die Grenzen zeigen muss und die benachteiligten Bürger beschützen muss. Die Ursprungssituation muss immer wieder mit Druck oder sogar Gewalt hergestellt werden. Interessanterweise hat der Gott der Juden seinem Volk nach dem Auszug aus Ägypten vor ungefähr 2500 Jahren schon Regelungen dazu gegeben, wenn er befahl, jeweils nach 7 Jahren wieder den vorher bestehenden Ist-Zustand herzustellen. Wahrscheinlich ist es eine biologische Naturregel, dass Win-win-Regelungen keinen Bestand haben? Wir müssten sie in Win-win-Prozesse umwandeln können, also dauerhafte Win-win-Beziehungen. Wir kennen aber die Zukunft nicht. Dann werden wir Win-win-Beziehungen und Gleichheit im Erfolg wahrscheinlich auch nicht per Gesetz oder Regel auf Dauer schaffen können?

Ende der 1980iger und in den 1990iger Jahre glaubten wir in Russland und in Westeuropa, für beide Seiten eine Win-win-Situation geschaffen zu haben. Alle schienen glücklich und hoffnungsvoll. Herr Wladimir W. Putin, inzwischen Präsident der Russischen Föderation, sah das anders und seither ist ein neuer kalter Krieg, dann hitziger im Gange, zunehmend ein heisser Krieg.

Win-win-Situationen gibt es im Augenblick, aber selten auf Dauer, selbst dann nicht, wenn langfristige Verträge für Kontinuität sorgen sollen. Vielleicht ist es sogar umgekehrt? Die langfristigen Verträge verhindern den langfristigen Bestand von Win-win-Situationen? Sollten wir lieber auf Verträge verzichten? Nicht die Verträge sind entscheidend (Sie gehören zum schönen Schein!), sondern der reale Verlauf (meist das spannungsvolle, getrübte Mit- oder eher Gegeneinander?). Jede Ehe ist ein Beispiel und der Feminismus ist ein Beispiel, wie es zuvor nicht funktioniert hat und ob es in Zukunft besser funktioniert, ist sehr fraglich.

Verlassen wir uns nicht auf langfristige Verträge. Sie scheinen in Win-win-Situationen optimal. Aber wenn sich die Umstände ändern (und sie ändern sich laufend), wird einer zum Gewinner und einer zum Verlierer. Damit geht die Spannung wieder los und es folgt der Krieg in irgendeiner Form. Das Ende ist schon programmiert.

Es stellt sich immer wieder ein neues Gleichgewicht ein zwischen gut und böse, zwischen geben und nehmen, zwischen haben und nicht haben. Einerseits ist alles im Fluss und damit aber auch wieder genau nicht. Am Ende überwiegt in der Regel das „Ich will möglichst unbemerkt etwas mehr haben als Du.“ und unsere Voraussetzung für funktionierende Wirtschaft „Ich will Gewinn haben“, was beim Anderen in der Regel zumindest finanziellen Verlust bedeutet, den der Andere dann wieder irgendwo ausgleichen muss durch mehr Selbstarbeit oder mehr Fremdarbeit als Ausbeutung. Damit sind die Voraussetzungen für Win-win schon wieder verloren.

Eine Win-win-Situation für mehr als zwei Partner, Konkurrenten oder Gegner ist so unwahrscheinlich, dass wir auf sie kaum noch zu hoffen brauchen.

Gar keine schöne Realität, oder?




Win-win Situationen (5/2025)


Win-win-Situationen sind etwas besonderes. Sie sind der Traum unserer Ökonomen, unserer Politiker, unserer Organisatoren in der Gesellschaft. Wenn es um uns selbst im kleinen, privat geht, dann hätten wir gerne Gerechtigkeit, also Gleichheit zwischen Allen, aber dann hätten wir unerkannt doch gerne ein bisschen mehr als die Anderen. Im Grunde zielen unsere Gleichheitsgedanken darauf ab. Auch die Ideen des Kommunismus und des Sozialismus beruhen darauf. Alle leben und sind gleich und gewinnen durch die Gleichheit. Win-win in theoretisch bester Ausformung.

Bis zu 2 Parteien ist die Sache einfach (und schon schwer genug): Wir einigen uns oder auch nicht. Nehmen wir einen Dritten (als Moderator, Vermittler, Richter) dazu, sieht es erst einmal einfacher aus. Objektivität, Gerechtigkeit, Unabhängigkeit… Aber die Win-win-Situation ändert sich. Der Dritte bekommt Eigeninteressen. Ab da wird’s noch viel komplizierter. Wir denken aber umgekehrt.

Win-win-Situationen sind selten. Wenn sie erreicht werden, dann werden sie gefeiert. Man hat endlich eine gute Situation geschaffen. Jeder gewinnt (dann kann ja auch eigentlich keiner verlieren?)! Das ist ja fast schon Himmel auf Erden. Jetzt können wir uns ausruhen. "Geschafft!" So wünschen wir uns das.

Die entsprechenden Parteien leben, arbeiten, handeln und feiern miteinander. Leider ruhen sie sich meistens eher aus. „Was geht es uns gut gegenüber vorher“. Aber das Leben (und damit wohl auch das leblose Allgemeine Sein und/oder der lebende Gott und/oder die evolutionäre Natur) sind ungerecht. Im Leben gibt es viele Situationen und Ereignisse und Vorgänge, die nicht gerecht verteilt sind, sondern im grossen Massstab zufällig (also in dieser Hinsicht gleich), aber im kleinen Massstab, in der speziellen Situation, sehr ungleich. So ändern sich die Situationen für die einzelnen Seiten und die getroffenen Regelungen bevorteilen den Einen und benachteiligen den Anderen. Da kann Gesundheit eine Rolle spielen (oder besser Krankheit), wirtschaftlicher Erfolg (oder besser Misserfolg), Unfälle, Trends, Moden, Wetterereignisse und vieles mehr. Oft haben sich die Verhandlungspartner getäuscht in der Beurteilung, weil sie die Zukunft nicht vorausahnten. Der Vertrag reicht aber in die Zukunft. Das geht eine Zeit lang gut. Dann werden unbemerkt die Verhältnisse immer ungleicher. Die Regeln aber gelten und der, der im Vorteil ist, wird kaum auf seinen Vorteil (Gewinn) verzichten wollen. Der Benachteiligte wird, sobald er das erkennt, schlechte Gefühle entwickeln. Das Desaster ist kaum zu umgehen. Die geschlossenen Verträge aber gelten.

Win-win-Situationen neigen also dazu, in der sich verändernden Gesellschaft, unmerklich zu Gewinner- und Verlierer-Beziehungen und schliesslich Extremsituationen zu werden. Deshalb gibt es ja im Sozialismus zumindest theoretisch den Staat, der dann den bevorteilten Bürgern die Grenzen zeigen muss und die benachteiligten Bürger beschützen muss. Die Ursprungssituation muss immer wieder mit Druck oder sogar Gewalt hergestellt werden. Interessanterweise hat der Gott der Juden seinem Volk nach dem Auszug aus Ägypten vor ungefähr 2500 Jahren schon Regelungen dazu gegeben, wenn er befahl, jeweils nach 7 Jahren wieder den vorher bestehenden Ist-Zustand herzustellen. Wahrscheinlich ist es eine biologische Naturregel, dass Win-win-Regelungen keinen Bestand haben? Wir müssten sie in Win-win-Prozesse umwandeln können, also dauerhafte Win-win-Beziehungen. Wir kennen aber die Zukunft nicht. Dann werden wir Win-win-Beziehungen und Gleichheit im Erfolg wahrscheinlich auch nicht per Gesetz oder Regel auf Dauer schaffen können?

Ende der 1980iger und in den 1990iger Jahre glaubten wir in Russland und in Westeuropa, für beide Seiten eine Win-win-Situation geschaffen zu haben. Alle schienen glücklich und hoffnungsvoll. Herr Wladimir W. Putin, inzwischen Präsident der Russischen Föderation, sah das anders und seither ist ein neuer kalter Krieg, dann hitziger im Gange, zunehmend ein heisser Krieg.

Win-win-Situationen gibt es im Augenblick, aber selten auf Dauer, selbst dann nicht, wenn langfristige Verträge für Kontinuität sorgen sollen. Vielleicht ist es sogar umgekehrt? Die langfristigen Verträge verhindern den langfristigen Bestand von Win-win-Situationen? Sollten wir lieber auf Verträge verzichten? Nicht die Verträge sind entscheidend (Sie gehören zum schönen Schein!), sondern der reale Verlauf (meist das spannungsvolle, getrübte Mit- oder eher Gegeneinander?). Jede Ehe ist ein Beispiel und der Feminismus ist ein Beispiel, wie es zuvor nicht funktioniert hat und ob es in Zukunft besser funktioniert, ist sehr fraglich.

Verlassen wir uns nicht auf langfristige Verträge. Sie scheinen in Win-win-Situationen optimal. Aber wenn sich die Umstände ändern (und sie ändern sich laufend), wird einer zum Gewinner und einer zum Verlierer. Damit geht die Spannung wieder los und es folgt der Krieg in irgendeiner Form. Das Ende ist schon programmiert.

Es stellt sich immer wieder ein neues Gleichgewicht ein zwischen gut und böse, zwischen geben und nehmen, zwischen haben und nicht haben. Einerseits ist alles im Fluss und damit aber auch wieder genau nicht. Am Ende überwiegt in der Regel das „Ich will möglichst unbemerkt etwas mehr haben als Du.“ und unsere Voraussetzung für funktionierende Wirtschaft „Ich will Gewinn haben“, was beim Anderen in der Regel zumindest finanziellen Verlust bedeutet, den der Andere dann wieder irgendwo ausgleichen muss durch mehr Selbstarbeit oder mehr Fremdarbeit als Ausbeutung. Damit sind die Voraussetzungen für Win-win schon wieder verloren.

Eine Win-win-Situation für mehr als zwei Partner, Konkurrenten oder Gegner ist so unwahrscheinlich, dass wir auf sie kaum noch zu hoffen brauchen.

Gar keine schöne Realität, oder?




Steter Tropfen füllt das Fass, Grenzen überschreiten (5/2025)


Es fängt mit kleinen Schritten an. Steter Tropfen... Das verändert nichts im Leben. Die kleinen Schritte, die Tropfen, ändern in und an unserem Leben nichts und sie werden auch nicht gefährlich. Mit denen können wir leben. Wir nehmen sie nur ausnahmsweise wahr.

Das Interessante sind die Grössenverhältnisse zwischen vorhandener, dazukommender und fassbarer Menge sowie die Änderungsgeschwindigkeit. Irgendwann ist das Gefäss (Fass) voll. Dann geschieht das Unvorhergesehene und Unfassbare. Es läuft über. Unvorhersehbar? Veränderungen im Leben geschehen oft langsam, unmerklich und an bestimmten Stellen wird plötzlich eine Grenze überschritten und die Änderung wird jetzt unübersehbar. Philosophen und Historiker sprechen dann von Revolutionen und grossen gesellschaftlichen Umwälzungen. Das gilt aber auch im Kleinen, in unserem eigenen Leben.

Ich fürchte, hier haben wir schon wieder eine biologische Naturregel vor uns. Wir können dieses Prinzip nicht einfach ändern, nicht durch Gesetze oder Regelungen, wahrscheinlich auch nicht durch technische Kniffe wie „Wasserstandsanzeiger“, die vor Erreichen der Grenze Alarm schlagen. Hier hilft nur „Wachwerden“ und „Wachbleiben“, auf die Umgebung achten, Sensibilität entwickeln für kleinste Veränderungen. Kritisch und vor Allem selbstkritisch leben, was Jeder von sich selbst glaubt zu tun und doch meidet wie die Pest. Männer haben das schwerer und nötiger als Frauen und man kann das nicht delegieren. Diese Sensibilität braucht Jeder selbst. Hoffentlich haben unsere Eltern bereits in früher Kindheit damit begonnen, uns das zu lehren.

Wir sind jedoch Menschen, die Hälfte auch Männer. Uns fehlt leider diese Sensibilität. Es hilft nur, liebevoll und tolerant zu werden, Anderen und sich selbst gegenüber und den Rückweg möglichst nicht zu versperren und die Gefahren jenseits der Grenze möglichst klein zu halten. Das Vermeiden solcher Situationen ist langweiliges Treiben im Fluss. Wer lebt und sich bewegt, wird solche Erlebnisse immer wieder haben und sie lassen sich nicht vermeiden. Wenn es keinen Rückweg gibt, werden wir auch damit leben müssen. Wir müssen uns klar machen, dass wir die Folgen auch aushalten müssen. Die gehören zum Leben. Manchmal sind sie sogar tödlich. Der Tod gehört zum Leben. Risiken gehören zum Leben. Versuchen wir die Risiken abzuschätzen und uns darauf einzustellen. Werden wir uns bewusst, dass Risikovermeidung längst nicht immer der sinnvollste Weg ist.

Leben ist ein Experiment, vielleicht sogar ein Experiment des lebenden Gottes und/oder des leblosen Allgemeinen Seins und/oder der evolutionären Natur? Auch wir leben unser Leben als Experiment. Es gibt keine Möglichkeit, es probehalber vorweg im Labor zu probieren. Leben ist gleich der Ernstfall. Wir müssen damit rechnen, dass es schief geht. Ärgern wir uns nicht darüber, wenn es schief geht. Denken wir nach, vorweg, um den sinnvollsten Weg zu finden, hernach, um die Erfahrungen zu sammeln. Vielleicht helfen sie uns später doch noch einmal? Wozu haben wir unser Hirn?

Was aber an dieser Stelle nicht sein müsste, sind Strafen. Da hat Einer die Grenze für sein Handeln nicht schnell genug gemerkt, hat damit eine Regel gebrochen. Nun muss er auch noch vom Gesetz, von der Justiz, vom Staat bestraft werden. Da stellt sich doch die Frage, ob hier nicht ein Gesetzgeber (wer auch immer) aus Eigennutz, Ideologie oder Überschwang Gesetze aufgestellt hat, um „Übeltätern“ zusätzlich noch eins auszuwischen, sie zu strafen, zu erziehen oder Rache zu üben. Hier lohnte es sich sicher, über so manche Gesetze und Regelungen nachzudenken, ob sie menschlichem Leben wirklich förderlich sind oder ob sie uns nicht eigentlich immer weiter abwürgen? Hätten wir nachgedacht, hätten wir diese Gesetze alle gar nicht. Menschen, vor allem Männer und Möchte-gern-Männer, mögen keine Erziehung durch Andere, aber natürlich müssen wir als Gesetzgeber und auch sonst doch die Anderen, die Bösen, erziehen.

Wir neigen sehr dazu, wenn das Fass überlief, die letzten Tropfen als Ursache des Unglücks zu nehmen. Stimmt das? Haben nicht alle Tropfen vorher, die sich auch in dem Fass gesammelt haben, in gleicher Weise zur Füllung des Fasses beigetragen? Intuitiv schauen wir nach den letzten Tropfen und alle vorher vergessen wir, beachten sie nicht. Wer möglichst erfolgreich solche Fehlläufe verhindern will, fange nicht erst am Schluss an, achtsam zu werden, sondern weit vorher, am besten schon am Anfang. Vielleicht sind frühere Tropfen die viel wichtigeren, die viel einflussreicheren, die, die viel leichter zu vermeiden gewesen wären? Ohne Tropfen, um im Bild zu bleiben, ist Leben aber nicht möglich. Also leben wir, aber tun es am besten mit der selbstkritischen Frage, was wir da eigentlich tun und mit der kritischen Frage, was uns durch Andere eigentlich geschieht, anstatt über sie gleich vorschnell zu urteilen.

Die wichtigen Grenzen sind oft die unsichtbaren, z.B. bei einer Insolvenz oder bei "Fragen kostet nichts" oder bei der Grenze zwischen „Du“ und „ich“ oder bei Regieren und regiert Werden, zwischen jung und erwachsen... Die sichtbaren Grenzen sind nicht unwichtig, aber wer die nicht erkennt und einhält, hat sein Leben sowieso verwirkt. Dann ist es viel zu spät. Nicht selten sind die Grenzen auch gar nicht dort, wo wir sie sehen oder glauben zu sehen, sondern sie sind schon weit davor oder erst viel später oder weiter hinten. Schein und Sein. Hier geschieht „lebenslanges Lernen“ und es ist lebensnotwendig. Wir können über unseren Schatten gar nicht springen, weil wir gar nicht wahrnehmen, wo er ist.

Den Letzten beissen die Hunde. Wenn also das Fass überläuft, ist der Letzte ermittelt. Der ist Schuld. Deshalb muss der Letzte versuchen, einen Nachfolger zu haben oder noch ein bisschen Platz im Fass zu schaffen, damit er nicht der Letzte ist, bei dem das Fass überläuft. Zum Glück fühlen sich heute immer Viele berufen für Ämter, vor allem für hohe und verantwortungsvolle Ämter. Sie glauben, Sie schaffen es und sie sind die Einzigen, die es schaffen. In vielen Fällen erweist sich das später als schwerer Irrtum.

War Ihnen nicht bisher klar, dass die wesentlichen Dinge im Kleinen geschehen? Warum streben wir dann nach Grösse, Bekanntheit, Erfolg? Auch über diesen Schatten können wir nicht springen, immer wieder nicht.

Das sich langsam füllende Gefäss bemerken wir nicht. Wir erkennen es erst dann, wenn es überläuft, aber dann ist es zu spät. Z.B. beim CO2 in der Atmosphäre, bei der Energie, beim Müll, beim Kriegsbeginn, bei vielem.



Die Gauss'sche Glockenkurve der Normalverteilung als Sinnbild im Leben (5/2025)


Die Gausssche Kurve der Normalverteilung haben wir im Mathematikunterricht kennengelernt. Sie im Leben zu gebrauchen ist aber etwas anderes. Mit ihr Zahlenwerte zu berechnen, ist kompliziert und schwierig. Sie ist viel besser geeignet, Realität zu beschreiben. Dann gibt es da noch den Unterschied von Theorie und Praxis. Wir wollen zunächst ihr Wesen verstehen und ihre Bedeutung für Ihr und mein Leben herausfinden. In wie weit wir sie dann auch praktisch anwenden können und wollen, wird noch spannend. Da hat es Tücken. Aber wir wollen ja unser Leben wenigstens verstehen.

Am häufigsten wird sie gebraucht, um Verteilungen von unbelebten Grössen in der Geologie, Physik, Mathematik, Astronomie, ja sogar in den menschennahen Wissenschaften wie der Wirtschaftslehre, der Medizin, der Soziologie zu beschreiben. Wir sollten uns jedoch zunächst darüber bewusst werden, dass es sich um eine Frage von Beschreibung handelt und damit um Theorie. Die Praxis, die Realität, unser Leben werden in unterschiedlichem Masse davon abweichen. Wenn wir also die Kurve benutzen wollen, um zu beschreiben, was bei uns Menschen „normal“ ist, dann werden wir wohl davon ausgehen müssen, dass die Kurve nur annähernd einer Glocke entspricht und je realitätsnaher wir sie zeichnen, desto häufiger und ausgeprägter wird sie dann Dellen und Hügel aufweisen, da eben die Normalverteilung eine gleichmässige statistische Funktion ist, die je nach ausgesuchtem und untersuchtem Kollektiv und erst recht bei Betrachtung und Untersuchung jedes Einzelnen durchaus voneinander abweicht. Bei grossen Zahlen wird die Form der Kurve immer gleichmässiger, wo sie bei kleinen Zahlen mehr dem Einzelfall überlassen ist. Das ist bei allen Kurven so. Je nach Kollektiv und zu beurteilenden oder zu beschreibenden Eigenschaften wird die Kurve von der Idealkurve einer Glocke abweichen. Wir können viele Theorien aus der Wissenschaft an unbelebten Materialien übernehmen, müssen uns aber darüber klar sein, dass die Realität lebender Organismen und erst Recht von Organismen mit mehr oder weniger Persönlichkeitsstruktur relativ deutlich von der Theorie unbelebter Materie abweichen wird. Eine ungeprüfte Übernahme solcher Theorien, Messmethoden und Forschungsmethoden für die Untersuchung lebender Körper produziert möglicherweise Vorurteile, Urteile ohne genaue Überprüfung, Urteile mit mehr oder weniger falschen und richtigen Anteilen. Umgekehrt: Es ist eher unwahrscheinlich, dass eine aus der Theorie übernommene ideal angenommene Kurve oder Linie mit der Realität übereinstimmt. Intuitiv neigen wir (und die meisten Wissenschaftler und mehr noch Nachgeordnete in der Wissenschaft) dazu, von der Übereinstimmung solch einer Kurve mit der Realität einfach auszugehen, das zu glauben. Wir wollen doch aber erst nach wissenschaftlicher Überprüfung glauben, oder? Urteilsfindung statt Vorurteilsfindung ist ein hochkomplizierter Prozess, den man nicht delegieren kann und der viel Bildung (nicht nur Wissen) verlangt und der oft eher zur Relativierung unserer theoretischen Erkenntnisse führen wird. Wir erwarten und glauben es natürlich umgekehrt oder sparen uns lieber die Überprüfung. Das spart Zeit und Geld und erspart uns vor allem die Konfrontation mit der unangenehmen Seite von Erkenntnis, z.B. der unserer Ansicht widersprechenden. In der Medizin müssen wir also sehr vorsichtig sein beim Ausschliessen (und Nachweisen) von Krankheiten, wenn wir nicht den Unterschied zwischen unserer Ansicht und der Realität ernst nehmen.

Generell werden wir sagen dürfen, dass Eigenschaften, die häufigkeitsmässig um die Mittellinie, den höchsten Punkt auf der Glockenkurve, liegen, am wenigsten Toleranzprobleme bieten, weil sie von vielen geteilt werden. Je weiter seitlich solche Verteilungen zu liegen kommen, je seltener treten sie auf. Am Rande sind die Häufigkeiten nur noch ganz gering, aber nicht 0. Für jedwede Form von Definition einer Grösse, werden wir eine Festlegung treffen, die dazugehörig von nicht dazugehörig trennt. Das ist eigentlich eine Schubladisierung unseres Denkens, wie wir die Welt begreifen. Wir teilen alles in Schubladen ein. In der Mathematik, mit der Idealkurve in Glockenform, kann man das sehr schön mit Standardabweichungen beschreiben. Die Wissenschaftler haben sich entschieden, auf diese Weise unser Schubladendenken auf die Gausskurve anzuwenden oder umgekehrt. Denn wir denken nun mal in Schubladen. Die Realität besonders in lebenden Ökosystemen jedoch ist in den meisten Fällen eine buckelige Gausskurve. Im realen Leben müssen wir davon ausgehen, dass die Standardabweichungen nur näherungsweise stimmen, teilweise aber auch wieder nicht und treffsicher ins Schwarze wird die Standardabweichung nur zufällig treffen. Die Festlegung der Grenze von normal (dazugehörig) und nicht normal (nicht dazugehörig) ist unsere völlig willkürliche Festlegung. Sie trägt keine Wesenszüge von Objektivität, auch wenn uns das immer wieder so gelehrt wird in Form von Definitionen als Wissen. Definitionen sind willkürliche menschliche Festlegungen und kein „Wissen“. Jetzt werden zwar viele Wissenschaftler und Techniker aufschreien. Aber Leben ist mit mathematischen Gleichungen nicht so einfach zu beschreiben wie leblose Materie und deren Funktionen. Selbst dort ist es zweifelhaft.

Natürlich kann man die aus der Mathematik bekannten Konstanten und Gleichungen der idealen Glockenkurve der Normalverteilung auch bei lebenden Systemen anwenden. Wir sollten uns aber davor hüten, von vorneherein anzunehmen, dass sie uneingeschränkt passen. Das wird mehr oder weniger oft und mehr oder weniger genau so sein, aber nicht grundsätzlich, eben eine buckelige Gausskurve. Das ist ein Unterschied zwischen toter Materie und lebenden Organismen und je höher diese mit Persönlichkeit ausgestattet sind, um so mehr. (Schon bei toter Materie würde ich bezweifeln, dass die Formeln, Linien und Kurven gleich welcher Art die Realität exakt abbilden, bei lebenden erst recht und bei solchen, die von sich glauben, Verstand zu besitzen, teilweise sogar im Gegenteil.)

Im lebenden System kommt noch dazu, dass jede Person nicht nur eine „normal verteilte“ Eigenschaft hat, sondern viele, eher unzählige und dass diese sich völlig unregelmässig überlappen. Wenn Sie solche Kurven z. B. in der Medizin als Beschreibung von Krankheiten benutzen und sie auf Definitionen hin anwenden, dann stellen wir fest, dass die Abgrenzung einer Krankheit durch verschiedene Symptome oder Messresultate gegen Differenzialdiagnosen zwar wertvoll ist, aber keine eindeutige Klarheit schafft. Die Überlappungen führen zu Uneindeutigkeit. Daraus folgt, dass der Ausschluss bestimmter Krankheiten durch solche willkürlichen Definitionsfestlegungen selbstredend auch zu Falscheinschätzungen führen muss, weil der Einzelfall anders liegen kann und damit ausserhalb der definitorischen schubladenartigen Abgrenzung. Es gibt keinen Ausschluss, sondern nur eine Ausschlusswahrscheinlichkeit und eine oft reziproke Richtigkeitswahrscheinlichkeit einer Festlegung. Eigentlich ist das eine in der Wissenschaft völlig bekannte Tatsache, aber im täglichen Leben ist mit einer Richtigkeitswahrscheinlichkeit unbekannter Grösse schwer umzugehen. Das erfordert ein Köpfchen. Denkfaul, wie wir sind, setzen wir die Richtigkeitswahrscheinlichkeit einfach eben auf 100 % (oder im Gegenteil auf 0 %) und dann lässt es sich viel leichter damit arbeiten, auch wenn wir uns von der Realität mehr oder weniger entfernt haben. Das erschwert Medizin, führt aber zu mehr Realitätsnähe, weil sie nicht falsche Richtigkeit vortäuscht. Unmenschlich ist sie aber auch, weil viele Menschen Klarheit und Sicherheit haben wollen und glauben, bekommen zu können, weil ihnen Wahrscheinlichkeiten zu unsicher sind, aber da richtet sich die Realität nicht nach uns Menschen. Deshalb nehmen wir Menschen dann lieber Vorurteile, denken uns das Leben damit leichter, wenn auch realitätsferner und wundern uns dann später, wenn wir enttäuscht werden. Wir müssen uns umgekehrt nach der Realität richten. Diese Tatsache führt dazu, dass wir getrost auf viele Scheinkämpfe verzichten können, denn sie sind völlig sinn- und chancenlos. Gegen die Realität mit ihren Auswirkungen anzukämpfen, ist völlig bar jeder Erfolgschance. Biologische Naturregeln sollten wir kennen und einhalten, wenn wir in Eintracht mit der Natur leben wollen. Wollten wir aber uns die Erde, die Natur, die Realität untertan machen und sie beherrschen, dann sollten wir uns nicht wundern, wenn uns die biologischen Naturregeln doch immer wieder zum Umkehren zwingen oder wenn sie uns einfach zum entgegengesetzten Ergebnis führen, als wir erwartet hatten.

Die Gausssche Kurve kann man als Anschauung zum Verständnis für viele Dinge im Leben nehmen. Wir werden das an verschiedenen Orten tun. Es kommen interessante Entdeckungen zum Vorschein. Für die Bestimmung von Effektivität, für die Festlegung von Preisen, für Emotionen, für Strömungen innerhalb unserer Gesellschaft, selbst für „Gut und Böse“ ist sie geeignet.

Es gibt sogar eine „erweiterte“ Gausskurve, eine mit zwei Glocken. Ich weiss nicht, ob die in der Mathematik schon beschrieben ist. Das wird sicher der Fall sein. Es hat ja vor uns schon so viele schlaue Menschen und Mathematiker und Philosophen gegeben. An dieser Stelle können wir an unser Bild von der Gesellschaft denken mit einer Mitte und zwei Randwällen (die ja real keine Mauern sind, sondern eher je einer Glockenkurve zu beiden Seiten gleichen).

Die Justiz und die Medizin beschreiben Leben oft mit Säulendiagrammen: In der Säule ist rechtskonform und medizintheoriekonforme Diagnose oder Therapie, ausserhalb der Säule ist Unrecht, ist illegal, ist strafbar resp. Diagnoseausschluss bzw. falsche Therapie. Das Leben ist aber mit der Gauss-Kurve realitätsnäher beschrieben als mit der Ja-Nein-Abgrenzung (oder schwarz-weiss-Beurteilung) der Säulen.

Was bedeutet das? Wir müssen uns das Bild der Gausskurve (Glocke) klarmachen. Säulendiagramme oder Schubladen haben Wände, Linien, klare Grenzen. Im Leben, nicht nur im menschlichen, sondern überhaupt im biologischen Leben gelten aber meist nicht klare Grenzen, sondern Übergänge, Graubereiche (vielleicht sagen wir auch lieber „Farbbereiche“ dazu, denn so grau ist das Leben nicht). Die Seiten der Glocke sind mehr oder weniger schräg und geschwungen, keine gerade Linie. Dann bedeutet das aber auch, dass für jede Grösse, die wir beschreiben oder definieren, keine klare Grenzzahl gilt, keine klare Definition, keine Schublade oder Säule die Realität wiedergibt. Die Glockenkurve ist meist realitätsnäher als das Säulen- oder Schubladenmodell, obwohl auch die Glockenkurve meist nicht vollständig mit der Realität übereinstimmen wird. Im Schubladen- oder Säulenmodell zu denken, ist zwar einfacher, schneller, daher für schnelle Urteile, für Vorurteile besser geeignet. In der Gausskurve zu denken, braucht mehr Nachdenken, mehr Zeit und wird daher das schnelle Urteilen oft eher verhindern.

An der Basis der Glockenkurve, zu beiden Seiten, verbreitert sich die Basis der Glockenkurve. An diesen Stellen passen auch noch Lebensformen zu „normal“, die wir dem Säulen- und Schubladendenken nach gar nicht mehr als „normal“ betrachten würden. In der Biologie, unter den Lebewesen ist „normal“ aber viel weiter zu fassen als bei leblosen Materialien. Die Diversität von Lebewesen macht auch eine stärkere gedankliche Diversifizierung von „normal“ nötig, als wir intuitiv (mit unserem Objekt- bzw. Maschinenmenschenbild) zu denken bereit sind.

Spannend wird es an den Rändern der Glocke. Die Standardabweichung schneidet uns am Rand den kleinen oder grösseren Winkel ab, damit die Phänomene der Gausskurve in das Schubladensystem passen. Was passiert mit dem Rand im Winkel, mit den Proben, Werten, Probanden, Individuen, die in diesem abgeschnittenen Winkel auftauchen? Nach der Übersetzung ins Schubladensystem sind sie „Ausschuss“ oder „nicht dazugehörig“ oder inexistent. Im Bild der Gausskurve sind sie eine Randerscheinung, etwas komisch, etwas fremd, aber dazugehörig. Die Gausskurve kennt Toleranz, die Schublade kaum. Die Gausskurve kennt Vielfalt, die Schublade vor allem Gleichförmigkeit. Die dazu gehörende Randerscheinung macht die Gausskurve spannend. Die Schublade hebt Spannung auf, schafft allenfalls Spannung zur nächsten Schublade, getrennt von ersterer. Gausskurvendenken macht Ausgrenzung nicht unmöglich, aber deutlich schwerer als Schubladendenken.

Der Rest hinter der Standardabweichung verhindert, dass etwas zu hundert Prozent gilt. Die Menge der Standardabweichung fehlt. So sind keine zutreffenden Aussagen zu finden, wenn es um einen Vorgang geht, dessen Aktivität der Gausskurve folgt, von uns aber im Sinne einer Schublade beschrieben wird. Wissenschaftler vergessen dann gerne den kleinen Rest und nehmen die 95 % für 100 %. Mathematisch ist das nicht korrekt und wenn die Anderen so ungenau arbeiten, ist das auch nicht tolerabel, aber wenn wir das selbst tun... Könnte das Messen mit zweierlei Mass sein (das wir doch nun wirklich nicht tun, sondern nur die Anderen)?

Ausnahmen braucht es, zumindest beim Schubladen- und Säulendenken. Im Gausskurvendenken gehören viele "Ausnahmen" zwar eher an den Rand, aber mit dazu. Das macht einen sehr wesentlichen Unterschied im Denken und Nachdenken aus. Die Ergebnisse sind ganz andere.

Wer anfängt, selbstkritisch sein eigenes wissenschaftliches und technisches Tun zu hinterfragen, wird staunen, wie viele unserer Studien und Forschungsarbeiten sich dieser Tatsache bzw. Ungenauigkeit gar nicht bewusst sind. Diese Ungenauigkeiten sind „normal“ (wohlgemerkt, in der Wissenschaft, nicht in der Philosophie, Religion oder Dummheit). Da helfen auch Kontrollen oder Studienwiederholungen von anderen Wissenschaftlern nichts, denn die machen oft den gleichen Fehler. Es handelt sich oft um einen systematischen Fehler.

Nein, wir müssen uns klar werden, dass wir sehr vieles gar nicht genau sagen können. Wenn wir etwas präzise sagen wollen, z.B. in Zahlen, dann sagen wir es am besten ungenau. Das ist vermutlich präziser, wo Angaben gar nicht genau sein können. Wir Wissenschaftler können alles, auch das Ungenaue messen und präzise ausdrücken. Stellt Jemand diese Fähigkeit in Frage? Wollten wir das ernst nehmen, könnten wir die meisten Guidelines und Fachbücher in der Medizin komplett neu schreiben.

Wenn wir die Worte „nie“ und „immer“ gebrauchen, dann ist es sinnvoll, diese Worte nicht im eigentlichen Sinne wie in der Schubladenphilosophie zu gebrauchen, sondern im Sinne der Gausschen Verteilungskurve des Lebens. Dann werden beide Begriffe relativ, was ihnen sehr gut tut. Das macht sie realitätsnaher. Wir benutzen diese Worte ja nur so gern, weil wir nicht scharf denken und „immer“ oder "nie" einfach als Extrem nehmen, obwohl es nur näherungsweise stimmen wird, aber in der Realität dann eben genau nicht „nie“ oder „immer“ bedeutet. „Nie“ und „immer“ sind eine Frage der Bequemlichkeit, der Übertreibung und der Dummheit. „Wer übertreibt, redet anschaulich!“ Ja, das stimmt, aber er redet nicht realitätsgetreu und damit mehr oder weniger unwahrhaftig. „Nie“ und „immer“ können wir aus unserem Sprachschatz weitgehend tilgen, wenn wir realitätsnah beschreiben wollen. Meiden wir Superlative und Übertreibungen. Bleiben wir lieber unanschaulich, aber korrekt.

Das Optimum ist selten an der Spitze einer linearen, einer logarithmischen oder einer exponentiellen immer ansteigenden Kurve gegeben (treffendes Beispiel für "immer"). Dort liegt das Extrem, positiv oder negativ. Das Extrem ist selten das Optimum, auch wenn wir intuitiv dazu neigen, genau das anzunehmen. Da ist die Gausskurve zutreffender. Das Optimum liegt nicht an den Randspitzen, bei den Maximalforderungen, bei den Besten (oder Schlechtesten), sondern irgendwo nahe der Mitte.

Wer für einen Graubereich (oder Farbbereich zwischen schwarz und weiss) als Eingrenzung einer Schublade akurate Zahlen liefert oder verwendet, erweckt zwar den Eindruck von Genauigkeit, ist aber zumindest ungenau, wenn nicht sogar falsch, weil man für einen Farbbereich oder Graubereich kaum exakte Zahlen angeben kann. Wir müssten also für jeden Laborwert im Blut entsprechend der Gausskurve verfahren und oben und unten jeweils einen Farb- oder Graubereich angeben. Jede Zahl ist eine mehr oder weniger willkürliche Festlegung und genau nicht die Wirklichkeit, nicht „richtig“. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Das ist extrem wichtig, wenn es um wissenschaftliche Ergebnisse oder technische Verwendung solcher Ergebnisse geht. Zahlen im realen Bezug sind selten genau. Genau sind sie im Bereich der mathematischen Theorie, aber dann fehlt eben der reale Bezug auch. Theorie.

Es ist der Gausskurve nach ein Unterschied, ob Einer etwas macht oder ob Viele oder gar Alle etwas machen. Wenn Einer spart, dann hat er Geld gespart. z.B. für das Alter. Wenn Alle sparen (z.B. für das Alter), dann sammeln sie viel Geld und so verliert das Geld an Wert, nicht nominal, die Zahl bleibt ja darauf stehen, sondern relativ, real. So verlieren plötzlich die Werte an Wert, auch wenn wir es nominal in den Zahlenwerten gar nicht so wahrnehmen. Anderseits streiten sich vielleicht Viele um einen Wert. Dann steigt der Wert des Wertes, aber wieder nur relativ. Will keiner den Wert mehr haben, fällt der Wert dramatisch. Hinterfragen wir Zahlenangaben. Der eigentliche Wert wird gelegentlich tatsächlich der sein, meist aber ein mehr oder weniger abweichender. Weitere Faktoren haben Einfluss auf den Wert. Nationalbanken sind nur ein Player im Spiel um den Wert des Geldes, mehr nicht. Wir spielen auch mit, natürlich nicht allein, aber wenn wir Viele sind und wir sind sehr viele. Es ist doch interessant, wie der türkische Präsident Recep, Herr Tayyip Erdogan 2021/2 versuchte, mit sehr unkonventionellen Mitteln den Wert der türkischen Währung zu beeinflussen. Politik ist Versuch und ganze Völker gewinnen oder verlieren damit.

Der Wert eines Dings ändert sich, weil wir den Dingen unterschiedlich viel Wert beimessen. Wir schaffen Werte, aber sie vergehen auch wieder. Diesem See von Werten, den wir gar nicht messen können, versuchen die National- und Internationalbanken einen Geldbestand entsprechend zu schaffen. Was darüber ist, ist Inflation, was zu wenig ist, verursacht Deflation. Ein Drahtseilakt mit zahlreichen Akteuren!

Einer will reisen und lernt die Welt kennen. Wenn Alle reisen, einen grossen Tourismus pflegen, geht die Umwelt kaputt, die Ziele werden Allgemeingut und verschwinden als Besonderheit. Es macht einen diametralen Unterschied, ob Einer reist oder ob Viele reisen. In der Schublade macht das keinen Unterschied, mit der Gausskurve erheblich. Auf dem linken Schenkel ist das Reisen noch sinnvoll, auf dem rechten immer weniger.

Die lineare, die logarithmische oder die exponentielle Linie sehen das Beste, das Maximum am unerreichten Ende. Die Gausskurve dagegen sieht das Maximum, das Beste, das Optimum in der nebeligen Mitte. Für unser Leben können wir zu Beginn beide Linien oder Kurven benutzen, weil sie sich zu Beginn sehr ähneln. Wir müssen uns gar nicht zwischen beiden entscheiden. Zu Beginn führt die Gausskurve zu Wachstum wie die immer steigenden Kurven. Wer aber nur nach der linearen, logarithmischen oder exponentiellen Linie denkt und lebt, steuert in einem begrenzten Raum wie der Erde und in einem vielfach begrenzten Leben wie dem unseren auf ein evolutionär gesetztes Ende zu. Das muss uns klar sein.

Weil die Gausskurve vorne ansteigt und hinten abfällt, stimmen Aussagen aus der ersten Phase in der zweiten plötzlich nicht mehr (z.B. lest, lest, lest (das bildet) oder reist, reist, reist stimmen in der ersten Phase, aber in der zweiten eher nicht mehr).

Auf der linken Seite der Gausskurve wird Wissen immer mehr zur Macht, auf der rechten aber zur Ohnmacht. Wir befinden uns sicher schon weit auf der rechten Seite? Es sieht ganz danach aus, dass das die Regierenden auch merken. Deshalb greifen sie immer mehr zu Gewalt, auch wir Demokraten, nicht nur die Diktatoren. Es gibt noch immer nicht genug Gesetze. Tatsächlich?

Es macht einen massiven Unterschied, ob ein Einzelner oder Wenige etwas tun oder ob Alle oder fast Alle etwas tun. Das bemerken wir beim Gehen über den Rasen, beim Reisen, beim Konsumieren, beim Sparen, bei Versicherungen, bei sehr vielen Dingen. Das führt dazu, dass wir sehr vorsichtig mit dem Verkünden von allgemeingültigen Wahrheiten sein müssen. Für die Einen (auf der einen Seite der Gausskurve) mögen sie gelten, für die Anderen (auf der anderen Seite der Gausskurve) werden sie zumindest nicht stimmen, vielleicht sogar falsch oder schädlich sein. Das gilt für sehr viele unserer Aussagen, wenn wir unsere Äusserungen hinterfragen und nachdenken.

Wir unterliegen vielen Halbirrtümern, weil es + und – gibt, zwei Seiten und weil wir sie gar nicht trennen können. In der Regel heben wir + hervor und verdrängen -. + wird ja hoffentlich zumindest teilweise stimmen. Aber – gilt leider viel öfter, als uns lieb ist, vielleicht sogar immer, wenn + gilt? Meist ist es nicht eine Frage von komplett falsch oder komplett richtig, sondern meist ist es eine Frage von mehr oder weniger falsch und mehr oder weniger richtig, sowohl bei uns als auch bei den Anderen.

Auf der Gausskurve stimmt links eine Aussage, aber später auf der rechten Seite stimmt sie nicht mehr oder ist sie sogar falsch.

Dreiecksstrukturen (Staaten, Versicherungen, Kommunen und andere) gewinnen erst (auf der linken Seite der Gausskurve), aber später werden sie zur Qual (auf der rechten Seite der Gausskurve).

Auf der linken Seite der Gausskurve nennen wir es „netzwerken“ (also gut), auf der rechten Seite dann "Günstlingswirtschaft", „Maffia“ oder "Korruption" (also böse). Den Übergang von links nach rechts auf der Höhe der Gausskurve, als die Zusammenarbeit optimal war, haben wir gar nicht gemerkt. Der Übergang war eine Grauzone, die wir nicht wahrnahmen. Jetzt kämpfen wir gegen die Korruption und haben gar keine Chance, ihrer Herr zu werden. Noch schlimmer, wenn wir jetzt gar die von den Medien, Journalisten, der Polizei und Justiz Verfolgten und Bekämpften sind. Was ist da falsch gelaufen?

Wissenschaft zumindest am Lebenden ist, wenn ich nicht irgendeine mathematische Ideal-Kurve (heute einen Algorithmus) als Realität annehme, sondern die reale, sicher nicht mathematisch ideale Kurve oder Gleichung. Dann habe ich die Realität noch am realitätsnahesten in all ihren Facetten, habe aber keine Formel mehr und kann damit auch nicht entsprechend vereinfacht denken und eine technische Anwendung daraus machen.

Vielleicht ist die Suche, das Plateau auf der Gausskurve zu finden oder auch nur nicht zu verpassen, Ausdruck der fernöstlichen Suche nach der Mitte, nach dem Ausgleich von Yin und Yang? Fernöstliche Meditation versucht eben, die Randwälle zu vereinen oder in der Bedeutung zu reduzieren oder in irgendeiner Weise eine Mittelposition einzunehmen entweder durch Definition einer solchen oder durch Vermeiden einer Denkposition. Das „Nichts“ befindet sich auch in der Mitte zwischen den Polen.

Was gut oder angemessen oder der Ausgleich zwischen Yin und Yang ist, das erkennen wir nicht, weil wir an der Stelle blind sind. Wir tendieren zu unseren Gunsten zu etwas besser und bei den Anderen zu etwas schlechter, gar nicht viel, aber auf die Dauer summiert sich das. Die Differenz stopfen wir aus Darlehen, die unsere Kinder später abstottern müssen oder die unser Wirtschafts- und Finanz-System (noch zu unseren Zeiten?) einfach kollabieren lassen.

Können wir uns auch menschliche Geschichte als verbeulte Gausskurve vorstellen? In der Vergangenheit war das wahrscheinlich so. Viele Reiche kamen, hatten ihr Hochplateau und gingen wieder unter. Uns heute betrifft das natürlich nicht, denn wir wollen natürlich nicht untergehen und wir sind doch die Besten, die Schlausten, die Alleskönner, die Allesbestimmer etc. Wir können ja gar nicht untergehen. Am anderen Ort werden wir darüber noch nachdenken. Wäre es denkbar, bewusst den Niedergang einer Kultur zu verhindern, indem man sich immer im Hochplateau bewegt und die Weiterentwicklung verhindert? Sinnvoll wäre das wohl, aber von uns auch machbar? Hätten Sie Ideen dazu?

Unser Egoismus, unser Machtwille und unsere Konsumsucht haben uns den derzeit herrschenden Theorien des Marktes nach zu neuen Höhen der verbeulten Gausskurve geführt. Könnte es sein, dass die gleiche Triebfeder uns nun immer weiter in den Abgrund auf der anderen Seite der verbeulten Gausskurve treibt und wir können das gar nicht verhindern? Oder können wir das doch verhindern und wenn ja, wie? Oder trifft die verbeulte Gausskurve hier wirklich nicht zu und es wird alles linear oder exponentiell nur immer besser, besser, besser, gut (oder auch das Gegenteil)? Oder wir glauben, dass alles nur besser wird und in der (uns ja unbekannten) Realität wird alles schlechter?

Offenbar haben wir einen blinden Fleck im Auge genau an der Stelle, wo eigentlich das schärfste Sehen nötig wäre, auf dem Berg der verbeulten Gausskurve, am Optimum, dort wo „gut“ ist. Es ist alles verbesserungsbedürftig (was ja kaum bezweifelt werden kann), aber wenn wir immer weiter verbessert haben, sind wir irgendwann auf dem absteigenden Ast, mit der Übererfüllung, mit der Pingelkeit, mit der Qual der Masse, mit dem Ressourcenverbrauch, mit der Umweltverschmutzung und und und. Wir haben nicht bemerkt, als es eigentlich „gut“ (optimal) war.

Wenn wir auf der verbeulten Gausskurve statt, wie wir glauben, auf einer geraden Linie oder sogar einer logarhythmischen oder exponentiellen Kurve unterwegs sind, muss das schief gehen. Das geht gar nicht anders. Wenn die Realität des Lebens einer verbeulten Gausskurve entspricht, wir mit unserer Theorie aber exponentiell denken, dann wird die Differenz zwischen Praxis und Theorie immer grösser. Die mittlere Stelle mit dem höchsten Punkt, an der alles „gut“, also optimal wäre oder war, nehmen wir gar nicht wahr. So machen wir später auf dem absteigenden Ast der verbeulten Gausskurve alles nur schlechter, obwohl wir uns auf der aufsteigenden Kurve wähnen. Dann ist gut längst hinter uns und „besser“ ist schlechter.

Noch problematischer wird es, weil die verbeulte Gausskurve ja in der ersten Hälfte eine Steigerung aufweist. Also wähnen wir uns mit der Entwicklung unseres Lebens, unserer Firma, unseres Portemonnaies etc. auf der aufsteigenden Kurve. Woher wollen wir wissen oder intuitiv wahrnehmen, dass sich das ändern wird? Wir haben uns an den aufsteigenden Prozess gewöhnt, halten ihn für normal, planen und organisieren und schliessen Verträge. Das wird immer so weiter gehen. Doch die Realität macht uns einen Strich durch die Rechnung. Die Realität ist ja fies. Es hätte doch so schön sein können. Oder unsere Wahrnehmung war eine Täuschung? Nicht genug beobachtet und nicht genug nachgedacht?

Also müssen wir mehr Leistung bringen, um der verfluchten Gausskurve doch noch ein Schnippchen zu schlagen. Steigerung um jeden Preis, koste es, was es wolle. Herr Mario Draghi als EZB-Vorsitzender z.B.? Glauben Sie, dass die Realität das beeindrucken wird? Sie bleibt, wie Sie ist und unsere Nachkommen werden einen noch höheren Preis in vielfältiger Form für unsere Selbsttäuschung bezahlen, wahrscheinlich auch vorher schon wir selbst. Dann wir die Lösung gar keine Lösung, sondern nur ein Hinausschieben der Katastrophe? Wie kann denn das einer gebildeten Führungskraft passieren? Wie Viele haben nach Herrn Draghi noch ähnliches vollbracht?

Gut denken können wir uns ein System, eine Theorie oder unseren Traum. Gut machen? Oft Fehlanzeige. Zu Anfang ja und deshalb glauben wir an den Erfolg, aber dann kommt die verbeulte Gausskurve, früher oder später. Wenn sie aber kommt, denken wir uns das „schlechter“ einfach besser und damit machen wir es nur noch schlimmer. Wir sind bereits pleite, aus bestimmten Gründen nur noch nicht zahlungsunfähig.

Wie schön ist doch die Welt. Dann kommen da die Pessimisten, die Miesmacher, die immer das Haar in der Suppe oder den Fehler suchen und sagen „aber“. Wir wollen kein „aber“! Wir wollen Optimismus ohne „aber“. Die verbeulte Gausskurve bedingt aber ein „aber“.

Könnte man auch Bürokratie und Gesetze nach verbeulter Gausskurve formulieren? Oder ist die Gausskurve sowieso bei ihnen wirksam, wir haben es nur noch gar nicht bemerkt? In welcher Weise wirkt sie sich aus?

„Wer da hat, dem wird gegeben. Wer da nicht hat, dem wird auch noch das genommen, was er hat.“ Sie wissen sicher, wo das geschrieben steht. Das folgt offenbar auch der Gausskurve. Der Wirtschaftskämpfer, Herr Elon Musk und Herr Jeff Bezos kämpften und kämpften um Aufbau und Bestand ihrer Firmen, ihrer Ideen. Es kostete alle Kraft. Als eine bestimmte Marke überwunden war, waren die finanziellen Gewinne nicht wieder zu bremsen. Aber der Gewinn nach dieser Marke hat auch seine Tücken.

Die Geschichte des VW-Käfers war solch eine Gausskurve. Viele Produkte und Ideen erlebten ein Auf und Nieder wie das der verbeulten Gausskurve. Der Markt (falls es ihn gibt) verläuft auch nach verbeulter Gausskurve. Erst rennt er, wenn überhaupt. Dann bleibt er stabil. Dann ist er gesättigt auf dem absteigenden Ast. Was gut ist, was optimal ist, weiss auch der Markt nicht, denn das Hirn des Marktes sind wir Menschen, wir Marktteilnehmer, wir Bewohner des Gebietes. Auch unser Leben verläuft entsprechend einer verbeulten Gausskurve.

Wenn's um „gut“ geht, haben wir einen blinden Fleck im Auge. Wir erkennen die höchste Stelle der Gausskurve nicht. Wir sind noch in der vorigen Phase der Steigerung und stellen uns darauf ein und feiern. Dabei hat der Peak das Ende des Wachstums angezeigt. Bis wir die Richtungsänderung wahrnehmen und wahrhaben wollen, sind wir schon fast wieder am anderen Tiefpunkt.

Selbst bei der Definition von „Moral“ scheint die Gausskurve zu gelten. Wir definieren, was „Moral“ ist, was „moralisch“ ist, erst in groben Zügen, später immer genauer, weil wir merken, dass unsere Moral immer mehr Differenzierung braucht. Auch da befinden wir uns irgendwann auf dem absteigenden Ast der Kurve, weil wir uns in den Details verlieren. Wir können die Regeln bereits gar nicht mehr alle einhalten. Manche widersprechen sich inzwischen. Wir machen einfach weiter, linear oder sogar exponentiell. Die Gausskurve fällt uns an dieser Stelle gar nicht ein, geschweige denn die Tatsache, dass es ein „gut“ gegeben hat, das wir gar nicht wahrgenommen haben. Aufwachen!!!

Alles, was wir hören, denken, lesen, schreiben, müssen wir prüfen, ob wir uns links oder rechts des Höhepunkts der Gausskurve befinden und ob das Gelesene für links oder für rechts gilt oder das Geschriebene gelten soll. Alles andere ist Vorurteil. Befinden wir uns mit Aussagen diesseits des Horizontes oder jenseits? Das ändert den Wahrheitsgehalt in die Gegenrichtung.

Eine Sonderform der Gausskurve ist der Bumerang. Z.B. der Einsatz von Waffengewalt wirkt später oft wie ein Bumerang. Dürfen wir glauben, dass das bei anderen Dingen nicht so ist? Wenn wir wissenschaftlich leben wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als bei jedem Vorgang und jeder Tatsache in unserem Leben erst einmal abzuklopfen, ob denn die Gausskurve gilt, ob und wo sie Beulen hat und wo wir uns befinden, auf dem aufsteigenden Teil oder auf dem absteigenden. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass tatsächlich mal eine immer ansteigende Kurve oder Linie gelten könnte. Wer weiss? Auch völlig andere Verläufe wären ja denkbar. Was dann?

Wir betreiben Schubladenmedizin (Medizin nach Definition, nach Formeln, nach Schema und nach Guideline), betreiben Schubladenwissenschaft (Definition, Formel) und Schubladenpolitik (meine Partei und Deine Partei, meine Wähler und Deine Wähler, in der Gruppe müssen alle gleich sein und alle gleich behandelt werden), Küche eben. Wir sind aus der Küche geflohen, haben aber das Küchendenken nicht abgelegt. Wären wir in der Lage, auch nach Gauss-Kurve Medizin, Wissenschaft, Politik und Gesetzgebung zu betreiben? Oder ist das Wunschtraum? Das schaffen wir nicht? Noch eins drauf: Wären wir auch in der Lage, Individualmedizin, Individualwissenschaft und Individualpolitik zu denken und zu betreiben, also nach verbeulter Gausskurve? Nicht, alle gehören in eine Schublade, alle sind gleich und keiner schert aus, sondern Jeder und Jede ist Individuum und wir denken und betreiben alles individuell? Der Neid, die Gleichmacherei tötet das Individuum, schafft die Masse, in der wir gerne sind, wenn wir glauben, dass es uns nützt und zu der wir gar nicht gehören wollen, wenn wir glauben, dass sie uns nicht nützt. Kann es in der Medizin personalisierte Normwerte geben? Könnte es in der Gesetzgebung personalisierte Gesetze oder Regeln geben? Wäre KI in der Lage, nach Gausskurve oder individuell zu denken oder gerade nicht, weil sie den gleichen Regeln wie unser Denken unterliegt oder doch nur Maschine ist?

Im Leben gelten nur ganz selten uneingeschränkt aufstrebende Kurven gleich welcher Art. Im Leben spielt die verbeulte Gausskurve die Dominanz. Wir wünschen und glauben aber an die unendlich aufstrebende Kurve. Intuitiv denken wir so. Sie ist auch viel einfacher für uns. Sie verspricht uns uneingeschränkt Erfolg. Im Leben aber gibt es für die meisten Dinge eine Grenzdosis unterhalb der sie ein Segen sind und oberhalb der sie Schaden verursachen. Die Zahl der Autos auf den Strassen, die Zahl der Drohnen in unserer Luft und es gäbe noch viele, nicht nur chemische Substanzen, die wir im günstigen Falle als Medizin anwenden. Geringe Dosen werden vertragen oder nützen sogar, hohe Dosen sind schlichtweg Gift.

Die Dosis-Wirkungs-Kurve entspricht wohl auch oft einer Art von verbeulter Gausskurve oder besser umgewandelt einer Sinusfunktion. Das gilt für Medizin, aber auch für gesellschaftliche Vorgänge und wohl auch für Energie und vieles mehr.

Kann man Gerechtigkeit oder Bürokratie oder 2+2 nach Gausskurve oder mit Mehrdeutigkeit betreiben? Das wird spannend.

Der Wechsel unseres Weltbildes vom immer ansteigenden Wohlstand etc. zur Gausskurve des Wohlstandes wird schmerzhafter sein, als der Wechsel vom geozentrischen zum heliozentrischen oder unzentrischen Weltbild. Was immer erhalten blieb, war unser egozentrische Weltbild.

Das Optimum der Gausskurve ist zugleich das Maximum. Gausskurvendenken ist viel inklusiver als Schubladendenken.

Nun haben wir zwei verschiedene Ansichten für die Entwicklung unserer Gesellschaften. Möglicherweise gibt es so gar noch mehr? Die Beulen in der Gausskurve stehen für Individualität, für Flexibilität, für Abweichungen vom Mainstream. Welche Kurve oder Funktion gilt nun? Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich halte die verbeulte Gausskurve für eine Naturregel, die vermutlich sehr viel häufiger gilt als eine immer ansteigende Kurve. Ob sie immer gilt, kann ich nicht überprüfen, bei beiden Formen nicht. Es bleibt uns nur übrig, in jedem Einzelfall wieder zu fragen, zu testen und zu überprüfen, ob und wieweit sie gelten könnte, Wissenschaft eben. Die Übernahme einer allgemeinen Geltungsannahme wäre nicht wissenschaftlich, sondern würde glauben entsprechen und allein glauben wollen wir doch nicht, oder? Wir wollen und müssen dann auch alles überprüfen.


Kommunizierende Röhren (5/2025)


Ein anderes Bild für unser Leben bzw. die Auswirkungen unseres Lebens und damit unserer Wirtschaft (des Marktes), unserer Politik und Gesetzgebung, unserer Beeinflussung von Natur durch alle möglichen Eingriffe zu unseren oder Anderer Gunsten etc. sind kommunizierende Röhren. Interessanterweise heisst, dass ich nicht weiss, was ich nicht weiss und dass ich nicht eine Minute in die Zukunft schauen kann, dass die meisten Vorgänge und Auswirkungen im Verborgenen, von mir nicht wahrgenommen, ablaufen. Mein Leben und Tun wirken sich aus. Meine Ehefrau erlebt mich. Ich gehe davon aus, dass ich ihr mit etwas eine Freude mache, sie aber kann damit gar nichts anfangen und ärgert sich. Meinen Kindern lasse ich alles mögliche an Widersprüchen durchgehen, damit sie es ja gut bei mir haben, aber so lernen sie nicht, sich in eine Familie einzupassen und später ecken sie oft an, weil sie nicht gelernt haben, sich zurückzunehmen oder gar zu beherrschen. Für meinen Arbeitgeber mache ich eine Menge Überstunden, damit die Arbeit geschafft wird, aber er stört sich später daran, dass er mir die ja bezahlen muss oder angemessen freigeben muss. War ich ihm wirklich eine Hilfe? Der Arbeitgeber zahlt mir mehr Lohn, aber ich komme in der Steuerprogression höher und plötzlich habe ich am Ende weniger als vorher.

Mein Tun und mein Nichttun haben also eine Menge Auswirkungen auf meine Umgebung, auf Menschen, Tiere und Dinge. Die kommunizierenden Röhren sind also sogar undurchsichtig. Die Folgen meines Tuns kann ich in der Regel gar nicht sicher abschätzen, da viele Auswirkungen im Verborgenen ganz anders ablaufen, als ich es mir dachte. Dummerweise gilt das auch noch für Tun und für Nichttun gleichermassen. Ich habe nicht einmal eine Chance, durch Passivität, durch Nichtstun, der Falle zu entgehen. Durch mein Sein als Mensch auf dieser Erde kann ich dem gar nicht entrinnen.

Verteidige ich mich wie die Ukraine gegen Aggressoren, kommt es zu Leid und Toten. Verteidige ich mich nicht, werden ich und mein Volk wahrscheinlich geknechtet, entrechtet und manche auch eingesperrt und getötet. Die CSSR 1968 wäre ein Beispiel für ein solches Vorgehen. Damals war die Zahl der Toten deutlich geringer als im Ukrainekrieg heute. Keine schöne Realität, oder?

Was wir tun oder lassen wollen, entscheiden wir in der Regel ohne vorherige Kenntnis der Auswirkungen. Nur selten gelingt es uns, etwas vorauszusehen und daher ein Fettnäpfchen zu vermeiden. Wir selbst haben ja keinen Sensor für unsere Dummheit, also für die Fettnäpfchen, in die wir treten, die wir besser gemieden hätten. Oft sehen es Andere und wundern sich. „Sieht sie oder sieht er das nicht?“

Für noch eine Beobachtung kann man die kommunizierenden Röhren gut als Anschauung nehmen: In vielen Dingen ruft ein Vorgang zugleich den Ausgleich hervor. Es ist wie Wasser in kommunizierenden Röhren. Es verteilt sich nach einem Gleichgewicht auf alle Röhren auch wenn ich das Wasser nur in eine Röhre giesse. Je nach der Richtung der Röhren kann mein Eingiessen sogar die gegenteilige Auswirkung haben, ohne dass ich das wahrnehme. Mein durchdachtes und planmässiges Tun oder Nichttun kann also unbemerkt von mir die gegenteilige Wirkung hervorrufen. Sollte mich das nicht zu Vorsicht veranlassen in meinem Leben mit Handeln und nicht Handeln? Nicht im Wettstreit um Tempo etc., sondern in Ruhe und nach intensivem Nachdenken, hinterfragen meiner eigenen Ansicht und meines Handelns.


Abgrenzung nach innen und nach aussen (5/2025)


Die engste Form des Nationalismus ist die zu zweit. Sich begehrende (wir sagen: liebende) Paare bilden eine Einheit und schliessen damit alle Anderen drum herum kategorisch aus.

Die nächste Form des Nationalismus ist die Familie. Wir gehören zusammen und sorgen füreinander und leben miteinander und wirtschaften mit- und füreinander. Wer da hineinkommen will, muss schon toll sein und eingeheiratet haben und sich dann bewähren. So manche junge Frau, seltener sicher auch so mancher junger Mann, konnte später ein bitteres Lied davon singen, wie schwer das ist, welche Mühen das kostet und wie schmerzhaft in vielerlei Hinsicht das sein kann. Aber ohne Abgrenzung können wir nicht leben. Leben bedeutet auch Abgrenzung.

Die nächste Form des Nationalismus sind verschiedene Gruppen, Schulklassen, Sportmannschaften, Vereine, Teams bei der Arbeit, Kirchgemeinden, Moschee-Anhänger, Fangruppen und viele mehr. Wir definieren Bedingungen der Zugehörigkeit, bewusst und schriftlich oder unbewusst und verdeckt, ziehen so eine Grenze und dann gehört der Eine dazu und der Andere nicht. Und der draussen bekommt eine Verbindung zum „Negativen“ angehängt. (Wir kennen das schon: „Ich bin/wir sind gut und Du bist/ihr seid böse!“)

Die Form des Nationalismus der Nationen, der Volksgruppen, der Kulturen ist uns geläufig. Selbst politisch Linke und auch Frauen sind auf ihre Art und Weise sehr nationalistisch. Wahrscheinlich geht das auch gar nicht anders? Natürlich sind immer die Anderen nationalistisch, wir ja nicht (oder wir sind an dieser Stelle blind für uns oder wollen das bei uns gar nicht sehen oder sogar beides). Deshalb bekämpfen wir ja auch nur den Nationalismus bei den Anderen, bei uns selbst nicht.

Alle diese Nationalismen sind weder negativ noch positiv. Grenzen sind natürlich, sind Schutz und Einschränkung nach innen und nach aussen. Entscheidend ist unsere Einstellung und unsere Handhabung der Grenzziehung. Wird sie als Abschottung, als Diffamierung, als Ausschluss Bedürftiger gehandhabt, wird sie unmenschlich-menschlich (z.B. entwickelte Staaten gegenüber Immigranten). Wird sie als Grenze für Mitglieder gezogen, die nach aussen nicht überschritten werden darf, wird sie unmenschlich-menschlich (z.B. einige Religionsgruppen, aber längst nicht nur die). Wird sie als Grenze gezogen, die in Freiheit und mit einladender Aufnahmehaltung gehandhabt wird, dann können sich Menschen auf beiden Seiten wohl fühlen, was auch zugleich menschlich und unmenschlich sein kann, aber es können Menschen kommen, denen gegenüber uns Toleranz sehr schwer fällt oder die uns sogar Böses wollen.

In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts bauten sich wieder die Egoismen auf wie ziemlich genau 100 Jahre zuvor. Hoffentlich sind die Folgen nicht wieder so verheerend. Jeder will in seinem Egoismus ein kleines, selbstbestimmtes, selbst organisiertes und natürlich durch Gleichheit aller Einwohner spannungsfreies Ländle. Die Folge ist 0-Toleranz. Das ist sehr menschlich, aber eben gleichzeitig oft auch sehr unmenschlich.

Erst die Weissen, dann der Westen haben in den letzten gut 500 Jahren mittels Entdeckung und Erforschung, Kolonialisierung und Bevölkerung die Globalisierung gestartet, angefacht und dann bis zum Exzess durchgezogen. Kein Winkel auf dieser Welt ist mehr sicher vor unseren globalen menschlichen Auswirkungen. Wir reisen, entdecken und lernen kennen, wir nehmen in Besitz und beuten aus. Wir exportieren Demokratie mit Waffengewalt und machen Frieden mit Krieg. Die Folge sind grosse Flüchtlingsströme. Aber bitte, nicht in unser Reich mit diesen Strömen. Euer Land ist zwar kaputt gegangen, aber unser reiches, befriedetes teilen wir nicht mit Euch (oder wenn schon nötig, dann mit der geringst möglichen Anzahl und mit dem niedrigst möglichen Einsatz und nur zu unseren Bedingungen). Nur über unsere Leiche.

Frieden schaffen mit Waffen funktioniert kaum nachhaltig. Schon Frieden zu schaffen ohne Waffen, ist eher Glückssache als Ergebnis bestimmter Handlungsweisen.

Diese Reaktionen sind auf beiden Seiten menschlich und von daher nicht zu beanstanden. Genau genommen können wir keine von beiden als gut oder böse klassifizieren. Beide Ansichten und Egoismen haben ihre Berechtigung. Aber wir sollten vielleicht unseren Verstand walten lassen und uns überlegen, wie sich aus der Geschichte die jetzigen Verhältnisse entwickelt haben und wohin wir wollen und wohin wir mit unseren menschlichen Möglichkeiten überhaupt können oder eben nicht können. Die Globalisierung hat jetzt ihre Schattenseiten demonstriert und tut es zunehmend. Wir haben die Chance, sie jetzt realistischer wahrzunehmen. Das würde aber bedeuten, dass wir sie zunächst tatsächlich ohne Vorbedingung (das heisst: Ohne die Frage nach „Gut und Böse“ und anderen (Be)wertungen und (Vor)urteilen, ohne die Aufforderung „Das müssen wir gleich ändern“) und ohne Suche nach einem Schuldigen, betrachten.

Abgrenzung, Nestmachen, Landesverteidigung, Intoleranz … sind normale menschliche Verhaltensweisen. Sie haben nicht mit „gut und böse“ zu tun. Die Funktion „Moral“ passt nicht für sie. Sie sind ganz einfach menschlich. In einer Zeit, die wir Europäer zur globalen Zeit gemacht haben (Kolonialzeit) und später der Westen in Fortführung (Industrialisierung, Digitalisierung, Handel, Reisen...), müssen wir aber überlegen, ob und wie diese Verhaltensweisen angemessen sind. Protektionisten und Globalisierer sind zwei Seiten des gleichen Menschseins. Jeder betont gerade die Seite, die für seine Interessen, für seinen Egoismus am günstigsten ist und lehnt dann natürlich die Gegenseite ab. Und natürlich verbinden wir sie mit der Atombombe (Moral, gut und böse) und schon sind die Demonstrationen, Schlachten und Kriege in vollem Gange.

Braucht es nicht viel mehr Toleranz, Integration und Nestteilung entgegen unserer Intuition? Toleranz und Integration kann man nur schenken und zwar als bereits im Nest wohnender nach aussen, nicht umgekehrt. Integration fängt bei den Einwohnern an, nicht bei den Zuzügern. Und Integration kann nur geschenkt werden, nicht gefordert werden. Die deutsche Exbundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, hat es richtig gemacht, als sie offerierte: „Wir schaffen das!“ Dafür gehört ihr wie damals dem Exstaatspräsidenten Russlands, Herrn Michail Gorbatschow der Friedensnobelpreis. Und sie hat es gesagt gegen alle Widerstände in den eigenen Reihen. Hut ab!!! Das war der erste Schritt zur Integration. Leider war es nicht der Satz einer Regierungschefin im Einklang mit ihrem Volk und ihren nachgeordneten Politikern und nicht in Einklang mit den vorhandenen Ressourcen des deutschen Volkes. Dank aber an die Vielen in der Stille, die aktive Toleranz üben, ja die liebevoll für Integration sorgen. Vielerorts wird eine hervorragende Arbeit in der Stille gemacht, sehr oft in Kirchen, sehr oft von Frauen!!! Braucht es nicht eigentlich unsererseits viel mehr Integration?

Bei menschlichen Bewegungen in Form von Reisen und Tourismus, von Immigration und Emigration etc. spielt die Gausskurve oft eine grosse Rolle. Unsere eigennützige Beurteilung in Form unendlich steigender Kurven wird wohl zu Beginn der Gausskurve oft realitätsnah sein, später indifferent und dann schädlich. Wie kommt diese Änderung der Wirkung zustande? Das haben wir ja gar nicht erwartet. Natürlich sind nur die Anderen Täter. Wir sind Opfer der Falschbeurteilung der Anderen.

Zu bedenken ist aber auch eine andere Seite dieses Prozesses. Integration von Einwanderern ist dann relativ einfach, wenn diese nicht als Flüchtling, sondern auf Wunsch eines neuen Lebensentwurfes, wenn sie vereinzelt und nicht in Gruppen und wenn sie in kleinen Zahlen kommen. Kommen Einwanderer als religiöse Aktivisten, als Flüchtlinge (und wollen am liebsten so weiter leben wie bisher), kommen in Familien oder grösseren Gruppen und in grösserer Zahl, dann wird Integration schwierig. Jeder bringt sein Heimatland, seine Religion, seine Lebensweise mit und wenn sie sich auf einem Gebiet konzentrieren, dann entsteht dort ein kleines Abbild des Herkunftslandes. Das kann manchmal ganz schön und befruchtend sein, birgt aber die Gefahr, dass sich kleine fremde Staaten im Staate bilden (Ghettos). Nicht nur die Menschen sind umgesiedelt, sondern ein Teil des Landes ist in ein anderes umgesiedelt. Man ist doch wieder im Herkunftsland und wenn man gerade so leben wollte, wie die Bürger des neuen Landes, dann hat man sich selbst schon abgehängt, bevor man richtig angekommen ist. Das erleben wir in französischen Banlieus, im deutschen Ruhrgebiet und in Berlin Kreuzberg wie in englischen und amerikanischen Städten und anderswo. Mindestens die Hälfte der „Ur“-Einwohner des Landes wollen das aber nicht. Deshalb schotten sie sich ab. Und was werden die Einwanderer später sagen, wenn sie merken, dass sie doch wieder im alten Staat wohnen, aus dem sie ausgewandert sind, weil sie es selbst mitgebracht haben? Es ist gar nicht mehr das gelobte Land, Europa, sondern ein Stück verlagertes Herkunftsland mit vielen seiner Probleme, in dem sie jetzt wohnen. Sehr ausgeprägt in Grossbritannien und Frankreich, neuerdings auch Schweden.

Dass es dann natürlich auch von den Immigranten entsprechende Offenheit und Kontaktsuche und Anstrengung (Sprache lernen etc.) und Einpassen in die neue Kultur und Lebensweise braucht, ist selbstverständlich, oder?

Es wird in den nächsten Jahren wahrscheinlich enger werden auf unserem Globus, aber nicht nur, weil das Essen fehlt für so viele Menschen oder Wasser oder anderes. Nein es wird auch enger, weil wir uns menschlich wie wir sind, gegeneinander abgrenzen und intolerant sind. Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, wenn wir menschlich miteinander leben wollen, sehr viel toleranter zu werden, auch wenn das gegen unsere menschliche/tierische Natur, also unmenschlich ist. Das wird uns noch sehr viel Energie und Leben kosten.

Ist es nicht eigentlich irrsinnig, dass ausgerechnet die reichen westlichen Staaten am liebsten nur gut ausgebildete Einwanderer haben möchten? Das bedeutet für die ärmeren Staaten nicht nur ein Braindrain, sondern auch ein Abfliessen von Geld in Form von Ausbildung ohne Nutzen. Dann wundern sich wir Menschen in den reichen Staaten, dass es in den ärmeren Staaten nicht vorwärts geht? Wäre es nicht eher umgekehrt verwunderlich?

Wir sind uns selbst in allem absolut: Wir wissen alles, sind im Recht, sind immer irgendwie gut, werden von den Anderen nur irgendwie verkannt… Das ist Ausdruck von Ich-Sein, von Bildung einer Persönlichkeit. Das ist biologische Naturregel. Ich-Sein ist Abgrenzung, ist Trennung.

Die Transzendenz, also der lebende Gott und/oder das leblose allgemeine Sein und/oder die evolutionäre Natur, fangen womöglich schon in der nächsten Person an, im Partner, im Kind, im Kunden, im Nachbar, …? Persönlichkeit hat womöglich etwas mit Transzendenz zu tun? Falls wir eine Persönlichkeit sind, haben wir womöglich etwas mit einem lebenden Gott zu tun, ohne dass wir das wollen und wissen, allein, weil wir sind, wie wir sind?

Wenn wir etwas hören oder lesen von einem Anderen, ist unsere erste Reaktion in der Regel Misstrauen, Abwehr, es sei denn er sei uns sympathisch, ist auf unserer Wellenlänge. Erst in zweiter oder dritter Lesung können wir den Gedanken drehen und wenden und nachdenken. Wenn dauernd schon wieder neue Informationen oder Aktionen kommen, schaffen wir es nie, zur Ruhe zu kommen für eine 2. oder 3. Lesung, für nachdenken.

Ich und die Masse? Ich bin ich – allein und nicht die Masse, jedenfalls nicht, wenn es mir so passt. Deshalb sind die Folgen des Handelns der Masse Schuld der Anderen, eben der Masse und nicht meine Schuld. Ich alleine mit meinem Handeln mache ja nichts kaputt. Deshalb gelten auch Regeln und Verbote immer der Masse, also den Anderen und nicht mir. Sollte allerdings die Masse für mich und meine Interessen, Rechte und Wünsche kämpfen, dann ist das anders. Dann gehöre ich gerne zur Masse. Wenn ich aber wieder mich selbst in der Masse sehe und mich selbst betrachte, dann bin ich wieder besser als die Masse und gehöre doch nicht so richtig dazu. Ich stehe drüber. Ich bin unschuldig. Ich bin moralischer. Wenn ich mit der Masse wahrgenommen werde, dann aber bitte als Opfer, nicht als Täter. Dann liegt meine Angelegenheit ganz anders als die der Masse.

Es macht einen Unterschied, ob ich über den Anderen/die Andere oder über die Anderen spreche. Einen weiteren Unterschied macht es, ob ich mit der Anderen oder dem Anderen oder den Anderen spreche. Es macht einen Unterschied, ob ich mit meiner Frau spreche oder zum Psychiater gehe und über sie spreche oder ob die Frau mit Ihrem Mann spricht oder zum Psychiater geht und über ihn spricht und sich bei ihm ausheult. Es ist eine Frage von Subjekt und Objekt und als Opfer sind wir da sehr feinfühlig, verletzlich und die Trennung ist perfekt.

Dem Anderen bin ich ein Anderer. Nur mir selbst bin ich mir selbst und natürlich auch am wichtigsten. Damit besteht auch für mich das Verhältnis vom Einzelnen zur Masse, vom Guten zum Bösen, vom … Ich bin beides zugleich, einzeln und Anteil der Masse.

Was meint Gesichtswahrung im Osten und in der Politik? Man lasse Jedem seine Lebenslügen, seine Selbsttäuschung und die Anderer unsichtbar? Ja nicht Täuschungen sichtbar machen. Schliesslich wurde über Tausende von Jahren im Osten die Weltanschauung des Allgemeinen Seins gedacht und geglaubt. Jeder, der seine Interessen vertrat oder die Anderer, bewies aber mit seinem Sein und Handeln, dass es genau anders herum ist, dass er selbst ein Selbst ist und nicht mit dem Allgemeinen Sein verschmolzen (also eins) ist. Ausgerechnet die Führung des Landes entsprach gar nicht der Weltanschauung im Land. Deshalb gab es ja Philosophen wie Herrn Konfuzius, die den Menschen immer wieder die Einheit im allgemeinen Sein vordachten. Hätten die aber ihre Weltanschauung auf ihre Herrscher angewendet, wäre ja der Schwindel offenbar geworden.

Nicht viel anders ist es in der heutigen Politik. Wir glauben, einen von uns gewählt zu haben und nun sei einer von uns an der Regierung. Der ist jetzt aber Regierung, uns gegenüber und hat jetzt plötzlich andere Aufgaben und eine andere Rolle, muss uns sagen, wo es lang geht, auch wenn das entgegen unseren Wünschen ist. Das aber wollen wir nicht (wahrhaben) und er muss es natürlich vertuschen. In der Demokratie liegt daher die Versuchung nahe, den einzelnen Bürgern und Gruppen von Bürgern, Geschenke zu machen, die die als Masse dann aus ihrer anderen Tasche bezahlen müssen (oder deren Kinder, wenn die selbst nicht mehr zahlen können oder wollen).

In der Balz kommt es zu einer körperlichen Verbindung von Mann und Frau. Nach der Balz wird sich die Frau oft eher gegen den Mann abgrenzen, um selbst wieder als Person oder sogar Persönlichkeit wahrgenommen zu werden, als eigenständiger Mensch. Dann kämpft sie mit dem inneren Widerspruch, sich eigentlich selbst entwickeln und Karriere in vielerlei Hinsicht machen zu wollen, auf der anderen Seite aber verbunden zu sein, an das Leben in Form der Familie und der Kinder gebunden zu sein oder gar dienen zu müssen. Beides ist kaum zu vereinen, aber es muss jetzt beides sein. Weil das gar nicht geht, muss uns der Staat helfen, aber dessen Kosten müssen wir ja auch tragen. So lügen sich Frauen in die eigene Tasche, dass sie beides könnten und trotzdem nichts vernachlässigten und wundern sich über häufige Müdigkeit, Abgeschlagenheit, ja Burn out.

Wir Männer dagegen glauben, treu zu sein, ein Leben lang der Frau und den Kindern nahe und Familie zu sein, ihnen zu dienen. Vergessen wir's. Uns Männer interessiert so viel anderes. Die Frau, Familie und die Kinder kommen eher zuletzt, oder? Wir lieben die Selbsttäuschung in der Balz genauso wie in der Politik und Gesellschaft. Da hat uns die Evolution etwas eingebrockt und wahrscheinlich geht es nicht einmal anders?

Am besten können wir unser Ich abgrenzen und entwickeln in Abgrenzung oder gar in Opposition zu … Das belegt unsere Relativität. Von „Nichts“ können wir uns gar nicht abgrenzen. Das stimmt nicht ganz, denn in der ersten Entwicklung von Leben, war Leben eine Abgrenzung aus dem Nichts, aus dem nur Materiellen. Wer aber als Volk, als Familie, als Persönlichkeit sich konstituieren will, braucht einen Gegner, ein gegnerisches Volk, eine gegnerische Familie, einen Menschen als Gegner. Das ist enorm wichtig, zu verstehen. Nicht Verträge oder Bürokratie schweissen zusammen, nicht einmal Sympathie oder gar so etwas wie Liebe, sondern gemeinsame Gegner. Sorgen wir dafür, dass wir gemeinsame Gegner haben. Diese Tatsache beeinflusst unser Leben sehr oft. Genauso oft, wie wir uns abgrenzen wollen, werden Andere ausgegrenzt. Das geht gar nicht anders. Wenn ich Andere nicht ausgrenzen will, muss ich auf meine eigene Abgrenzung verzichten. Unerhört, was? Aber wohl nicht zu umgehen? Ich muss mich abgrenzen. Das macht die Evolution mit uns (oder doch das leblose allgemeine Sein und/oder der lebende Gott?).

Unser Revierverhalten bedingt, dass wir auf Reisen im Revier Anderer nur geduldet sind, uns ordentlich benehmen müssen und uns deren Wünschen anpassen müssen. Selbst im Krieg gilt das. Keine absolute Freiheit, sondern geteilte Freiheit. Auch auf der Flucht gilt das und für Gastarbeiter auch. Mehr als geteilte Freiheit ist auf Erden nicht möglich und unser Revierinstinkt begrenzt die Freiheit von Eindringlingen oder Gästen, selbst wenn wir sie eingeladen haben.

Unser Nervensystem verwächst durch die Bildung von Nervenautobahnen im Hirn mit unserem Revier. So entstehen Heimatgefühl, Revierinstinkt.



Mord und Totschlag (5/2025)


Die Zwietracht ist unser Problem. Ich bin ich und besser und wertvoller als Du. Das bin ich mir auch tatsächlich. Schon die alten Chinesen, z.B. Herr Konfuzius und auch die alten Christen wussten das und lehrten das. Wer sein Ich, seinen Egoismus, seinen Wert über den der Anderen stellt, wird zum Problem für die Anderen. Da ich auch ein Anderer bin, werde ich sogar unbemerkt für mich selbst zum Problem. So werden Freiheitskämpfer, ja, sogar Kämpfer für die eigenen Interessen zum Problem, in gleicher Weise wie ein Diktator, nur umgekehrt. Leider können wir das wissen und glauben und trotzdem das Gegenteil davon tun. Das ist ein Geheimnis von uns Menschen, dass uns das möglich ist. Sind wir womöglich gar nicht Herr im eigenen Hause, in uns selbst? Dazu später noch. Unterliegen wir in der Neuzeit hier einem Denkfehler?

Gründe für Mord? Ich habe Recht, Du nicht. Ich will haben, was Du hast. Du störst meine Freiheit. Du leistest mir nicht, was ich aber will. Du kennst meine Fehltritte.

Wir können die Realität nicht umbringen. Wir können einen Menschen töten, aber fortan müssen wir vor der Realität fliehen. Wenn die Realität uns doch eingeholt hat, haben wir ein Problem. Wir wissen ja nicht nur nicht, ob wir vielleicht doch Zeugen haben könnten. Wir wissen gar nicht, ob der Getötete nicht vielleicht Verbindung in die Transzendenz hatte, ja unbewusst auch transzendent lebte. Dann ist der Getötete womöglich gar nicht tot? Tot auf der Erde im materiellen Sinne ja, aber tot als Persönlichkeit in beiden Sphären? Nehmen wir die Realität sehr ernst und lassen wir den Menschen leben. Nicht nur das. Freunden wir uns mit ihm an. Leben wir miteinander. Allerdings werden wir wohl mit unserem Leben bezahlen.

Wir können das Unheil, dass wir selbst angerichtet haben und anrichten und (bei Anderen) (kommen) sehen, nicht verhindern und nicht wieder gut machen. Im besten Falle ist eine Ersatzleistung möglich, sehr oft aber auch das nicht.

Kulturen können gar nicht gegeneinander kämpfen, sondern nur 3-5-Jährige Jungen und Mädchen auf der Strasse oder in Führungspositionen. Damit beweisen wir unsere Unkultur, das Fehlen von Zivilisation. Auf der Universität kann man Softskills nicht lernen. Das geht nur in Demut und Verzicht in der Familie und kleinen Gruppe.

Wir Menschen sind so intelligent, dass wir uns unsere eigenen Feinde erfinden und schaffen, wirtschaftlich, politisch, privat und als KI. Ganz abgesehen davon, dass wir uns auch andere Menschen zu Feinden machen. Das ist doch ganz dumm, ganz kriegerisch, ja selbstbetrügerisch, oder?



Junge und Alte (8/2022)


Nachdenken ist Männersache. Schlimm, dass wir es so wenig tun. Frauen tun es kaum, ausser vielleicht im Alter, wenn das Leben sie in eine Ecke gespült hat, innerlich und äusserlich arm gemacht hat. Junge denken viel weniger nach als Alte. Junge leben ihre Intuition aus und sind damit im Leben und in der Realität. Nachdenken braucht Leben, braucht Lebenserfahrung, braucht enge Beziehung zur Realität. Dazu braucht es das Alter und die Alten.

Hören wir nicht auf junge theoretisierende Studenten, aber denken wir mit Ihnen zusammen nach. Nicht Kraft und Freiheitskampf, sondern Kopf, Verstehen und Teilen fördern heute ein gedeihliches Miteinander.

Wer sich immer nur unter seines Gleichen bewegt, Völker, Jugendliche, Teenager, Facebook-Nutzer, Arbeiter, …, der entwickelt sich nicht. Der wird zur undefinierbaren Masse. Vor allem Jugendliche, pflegen Sie immer genügend Beziehungen zu Älteren, in andere Gruppen, in andere Bildungsebenen, damit Sie nicht in der Masse Ihresgleichen aufgehen.

Liebe junge Leute, meiden Sie die Gleichaltrigen. Die sind nicht schlauer als Sie selbst. Bei denen lernen Sie wenig Realitätssinn. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Gleichaltrigen Sie eher verführen zu Vorurteilen, zu unrealistischen Idealen (oder sogar Ideologien), zu Rauschmitteln, zu Fehlentscheidungen. Seien Sie dort besonders kritisch, denn die Gleichaltrigen duzen Sie. Denen fühlen Sie sich auf Augenhöhe oder haben es leichter, sich ihnen auch mal überlegen zu fühlen und ihnen gegenüber sind Sie besonders unkritisch. Viele der jungen Leute sind sich nicht darüber im Klaren, dass ihnen die Welt nicht einfach gehört, dass sie nicht einfach mit ihr (und auch nicht mit sich selbst) machen können, was sie wollen und am Ende kommt auch das heraus, was sie erwarten. Die Erfahrung im Umgang mit Sein und Schein braucht Zeit und Leben. Das kann man nicht einfach lernen wie Mathematikaufgaben in der Schule.

Die Alten mussten schon den Offenbarungseid, nämlich die Gestaltung von Leben leisten, die Kinder und Jugendlichen noch nicht. Deshalb können Kinder die Alten gut kritisieren und man sieht ja vor allem deren Verfehlung. Bei den Kindern sind sie noch nicht sichtbar. Die vorhandenen werden verniedlicht. Mit den Jungen kommt immer die neue Zeit. Später wundert man sich, dass nur die Moden wechseln, die eigentliche Problematik des Lebens aber nicht. Es bleibt alles beim Alten. (Die Gausskurve ...)

Erwachsen geworden bin ich etwa mit 28 Jahren, etwa mit der Geburt meines ersten Kindes. Vorher war ich altklug, wie man mir auch damals schon erzählt hat, womit ich aber nichts anfangen konnte. Es würde mich nicht wundern (und Sie dürfen das auch uneingeschränkt und ohne dass ich Ihnen das übel nehme), wenn Sie denken, dass ich ja heute noch altklug bin. Im Grunde haben Sie Recht. Viel älter als 17 Jahre bin ich auch heute noch nicht. Altklug ist, wer nachplappert, was andere ihm vorgesagt, erzählt oder ihn gelehrt haben, ohne dass er zeitlich eine Chance hatte und sie genutzt hat, das im Leben (selbst)kritisch zu hinterfragen. Das gilt auch für das, was uns unsere Lehrer aller Art so gerne als „Wissen“ eingetrichtert haben. Dazu aber braucht man Leben, Jahre des Lebens und bitte nicht im Kloster, nicht abgeschlossen im "My home is my castle", nicht als Langzeitkind bei Muttern, nein, richtig im Verantwortung tragenden, aktiven Leben.

Bis kurze Zeit nach dem ersten Kind sind viele junge Menschen high, getäuscht, optimistisch (vermutlich durch die Sexualhormone bedingt?). Die Aufzucht der Jungen zeigt dann, wie das Leben wirklich ist. Ohne diese beiden Erfahrungen hat man das Leben gar nicht kennengelernt. Das ist Leben. Lebensaufgabe sind die Kinder, nicht Karriere und auch nicht das Geld. Wie dekadent sind wir eigentlich inzwischen, dass es völlig selbstverständlich ist, wenn man heute erst die Karriere und das Geld nennt und die Kinder erst an dritter Stelle kommen (ja wenn man völlig weltfremd wirkt, wenn man das so nicht tut)?

Wenn die junge Generation glaubt, heute authentischer leben zu können, dann lebt sie mehr intuitiv, mehr nach ihren Vorurteilen. Das ist zwar bequem und befriedigt den Egoismus treffend, letztlich aber ist das oft unrealistisch, destruktiv oder sogar tödlich.

Es ist erschreckend, wie die Jungen den sozialen Medien hinterherlaufen, so wie die Urgrosseltern früher bestimmten staatstragenden Ideologien. Die Themen haben sich geändert, die (mangelnde) Kritikfähigkeit und das Verhalten nicht.

Es macht schon einen Unterschied, ob die Jugend mehr Einfluss hat, die unerfahren, oberflächlich, vom Hören-Sagen oder nach Vorteilen entscheiden muss oder ob die Nach-midlife-Crisis-Menschen, die gelernt haben, dass es meist nicht nur eine Seite gibt, sondern mindestens 2, dass bei allem Plus irgendwo ein Minus lauert und dass Theorie und Praxis differieren, entscheiden. Leider sind diese Menschen selbst in der zweiten Lebenshälfte rar. Viele merken es erst zu spät oder nie.

Rational wäre, wir achten darauf, dass wir in einer engen Kurve nicht 120 fahren können. Wir lernen es in der Fahrschule, aber wir handeln nicht danach und probieren es aus. Dann gibt es natürlich Verletzte und Tote. Dasselbe erleben wir mit Kernkraft, mit Autos, mit Seefahrerei, bemannter Raumfahrt, Drogen, Waffen, IT-Technik und vielem mehr.

Nachdenken braucht Zeit und Lebenserfahrung. Die können junge Leute noch gar nicht haben. Deshalb seien wir sehr vorsichtig mit den Ansichten junger Menschen. Weisheit bekommt man frühestens in der zweiten Lebenshälfte, falls überhaupt.

Erwachsen ist, wer seine Vorurteile zu Urteilen erklären darf und ab jetzt für sich reklamieren darf, immer im Recht zu sein und Recht zu haben. Kinder wollen das möglichst früh. Rückblickend müssen wir sagen, dass wir erwachsen im Sinne von „die Welt wirklich verstehen“ nicht vor dem ersten eigenen Kind sind. Die Festlegung von „18 Jahren“ ist eine willkürliche Festlegung, die sich selbst für „fortschrittliche Kräfte“ haltende Menschen durchsetzten, weil sie damit in Wahlen mehr Wähler, nämlich junge Wähler, zu bekommen glaubten und damit ihre Regierungschancen stiegen. Erwachsen werden geschieht sehr individuell. Jede zahlenmässige Festlegung ist völliger Unsinn, ist Ausdruck unseres Schubladendenkens. Denken mit der Gauss-Kurve würde völlig andere Verhältnisse und Verständnisse schaffen. Ich bin noch nicht einmal sicher, ob ich heute wirklich erwachsen bin. Dabei benehmen sich die Erwachsenen (die, die von sich selbst glauben, erwachsen zu sein) doch oft wie dreijährige Kinder (wenn wir in die Medien und die Politik schauen, aber nicht nur dort). Die nicht Erwachsenen sind wohl die Erwachsensten? Denken wir an „Schein und Sein“.

Das lange Leben hat nur auch den Nachteil, dass wir ein Leben lang sparen müssen für das Alter und Geld anlegen müssen in Werten. Das führt zur Inflation der Werte und nur teilweise zum Ziel, je nach den Umständen zeitweise besser, zeitweise aber auch schlechter. Nur weil das in den letzten 50 Jahren relativ gut lief, glauben wir, dass das immer so weiter gehen wird. Sind Sie sich da so sicher? Womöglich folgt auch das eher der Gausskurve als einer der immer steigenden Kurven?

Früher konnten Eltern mangels Lebenserwartung durchschnittlich nur 5 Jahre lang sagen „Kind, wann kommst Du denn endlich mal wieder zu Besuch?“ Heute können Eltern das 40 Jahre lang sagen, ein halbes Leben lang und sie tun es. Wie verändert das unser Zusammenleben zwischen den Generationen? Wo gibt es noch die Familienzentren, zu denen Kinder gerne fahren? Alle leben nur noch in Rinder- oder Schweineboxen (nein, 3-Zimmerwohnungen in Überbauungen oder Hochhäusern), menschliche Stallboxen in Hochhäusern. Ist der Unterschied wirklich so deutlich?

Männer, erwachsen und wahlberechtigt wird man erst, wenn man nicht mehr mit einem röhrenden Motor durch Häuserschluchten oder ruhige Naturgebiete dröhnen muss im Glauben, die Tiefe des durchgetretenen Gaspedals zeige, wie stark die eigenen Muskeln sind. Erwachsene Frauen haben dafür ein sehr feines Gespür und (ver)urteilen entgegengesetzt zu Ihren Erwartungen.

Erwachsen wird man erst, wenn man von der 5. Dimension (Schein und Sein) weiss und ein wenig Zugang zu Ihr bekommen hat, sodass diese Erkenntnis die eigene Position und das eigene Selbstbewusstsein wenigstens etwas relativiert hat.

Wer frühzeitig im Leben geniesst oder geniessen will, zahlt mit hoher Wahrscheinlichkeit später drauf. Es umgekehrt zu tun, erfordert viel Selbstbeherrschung. Das muss kulturell über Generationen nach und nach eingeübt werden. Ich ändere mich oder Dich mal eben schnell und dann funktioniert das? Reiner Selbstbetrug!

Im Alter kennt man die biologischen Naturregeln. Man sucht immer die Ausnahmen und findet sie nicht mehr. Sie waren nur egoistische Wahnvorstellungen.

Es gibt ja Pädophile, pädophil veranlagte oder im Laufe des Lebens pädophil gewordene Menschen, wohl vor Allem Männer. Sie scheinen sich nicht klar darüber zu sein, dass es eine vorsexuelle Phase im Leben gibt. Oder sind diese Menschen (Männer) so getriebene, dass sie nicht anders können? Von wem oder was sind sie dann so getrieben?

Für einen Jugendlichen sind ja alle Menschen über 30 Jahre schon uralt. In dem Alter kann man sich gar nicht vorstellen, wie man in dem hohen Alter wohl leben, denken, empfinden und handeln kann. Auch Sexualität kann man sich dann gar nicht mehr vorstellen. In jedes Alter wachsen wir mehr oder weniger unvorbereitet hinein. Es gibt auch eine „nachsexuelle Phase“. Wann die beginnt, dürfte wohl von einer breiten Varianz an Normalität bestimmt sein. Es ist ja sehr interessant, in solchen Bereichen mal den Begriff oder die Festlegung von „Normalität“ zu überdenken. Ist der Durchschnitt der Antworten einer wie auch immer gewonnenen Stichprobe von Befragten „normal“? Könnte es sein, dass es eine individuelle „Normalität“ gibt? Wie liesse sich die bestimmen? Liesse sie sich überhaupt bestimmen? Müssen wir sie wissen oder könnten wir auch ohne (glücklich) leben? Aber es weiss doch jeder (oder glaubt zu wissen, was dem gleich kommt), was für ihn normal ist, oder? Wäre die nachsexuelle Phase vielleicht sogar die schönste im Leben, wenn da nicht schon die vielen Mangelerscheinungen, Reparaturbedürftigkeiten, Rückgang der Leistungsfähigkeit und Schmerzen wären?

Die Realität oder besser unsere Ansicht von Realität ist für die Jungen eine andere als für die Alten, einerseits durch die (fehlende) Lebenserfahrung, andererseits durch die andere (teilweise entgegengesetzte) Lebenssituation. Das werden wir später noch am Beispiel der Demokratie buchstabieren.

Die Jungen fühlen sich immer fortschrittlich, weil ja mit ihnen die neue Zeit kommt und ihre Ideen schön und gut klingen, weil sie die Kompliziertheit von Beziehungen und ökologischen Systemen noch nicht bemerkt haben und weil ihre Ideen im täglichen Leben auf Tauglichkeit noch gar nicht getestet sind. Diese Tests haben schon Millionen Tote verursacht. Womöglich geht es gar nicht anders? Die jungen Leute müssen ja erst einmal ihre Ideen in der Realität prüfen, die sie für richtig halten und mit denen sie glauben, es besser zu machen, als ihre Eltern es gemacht haben. Oft werden sie wohl baden gehen.

Wer hat denn von den jungen Leuten heute familiäres Leben, Ruhe, Ordnung, ein Zentrum zu bilden, erlebt, gelernt, trainiert? Jeder für sich und natürlich jeder für sein Ziel, das nicht der jeweilige Mensch selbst ist oder andere Menschen um sie/ihn herum, sondern meist nur ein Ideal, eine Theorie, ein Traum, wenn nicht gar nur ein gut bezahlter Job und das war's. Wer sind wir denn? Menschen eben. Ja, sind wir so Menschen?

Schon Konfuzius berichtete über die Mechanismen, mit denen wir Menschen zusammen leben. Die alten Griechen, die Bibel, Michel de Montaigne (1533 – 1592), Karl Marx (1818 – 1883) und viele Andere taten es. Das Klagen über die Mechanismen und ihre Folgen ist allen gemein. Intuitiv, wenn wir uns authentisch fühlen, tun wir offenbar eher das Falsche als das Richtige, zumindest, wenn wir es von aussen oder im grösseren Zusammenhang betrachten. Eine Lösung glaubt jede junge Generation gefunden zu haben. Es stimmt nur wohl eher nicht.

Warum müssen unsere jungen Leute und unsere Frauen heute eigentlich für oder gegen alles kämpfen, vor allem für undefinierbare Dinge wie Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, für so unmögliche Dinge wie Gleichheit, Gleichberechtigung etc.? Wie sollen wir denn mit all dem Kämpfen Frieden machen? Die Jungen haben alle viel zu viel Kraft und Energie und wissen nicht, wohin damit. Wir sollten diese Kraft lieber zum Bewegen und Arbeiten benutzen, statt Ersatzkräfte zu verwenden und damit langfristig grossen Schaden anzurichten. Dann wäre die Kraft sinnvoll genutzt. Freie Zeit können wir dann geniessen und wahrscheinlich ist Nachdenken dann auch keine schlechte Nutzung der Zeit (zumindest für Männer).