Hintergründe in der Medizin

1. Wie unsere Ansichten und Vorentscheidungen unsere Erkenntnisse und Konsequenzen beeinflussen. (12/2015)


Wissenschaftliche Erkenntnisse sind sehr abhängig von unseren Ansichten, Fähigkeiten und Möglichkeiten. Allein unsere Vorliebe, Messresultaten mehr zu glauben als nicht einfach messbaren Fakten, legt uns auf eine bestimmte Sichtweise und auch eine bestimmte Weise, unsere Umwelt zu erforschen und zu verstehen, fest. Wenn wir bestimmte Messgeräte und –methoden besitzen, dann untersuchen wir unsere Umwelt damit und bekommen bestimmte Ergebnisse und Erkenntnisse.

Für andere Faktoren oder Prozesse fehlen uns vielleicht bisher Messgeräte und –methoden. So bekommen wir auch keine oder kaum Erkenntnisse über diese Faktoren oder Prozesse. Wo aber keine Erkenntnis ist, ist auch kein Wissen. „Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss“, sagt ein Sprichwort. Es geht so weit, dass ich nicht einmal wissen kann, was und wie viel ich nicht weiss. Unsere wissenschaftliche (Er-)kenntnis ist also einseitig ohne dass wir überblicken können, welche Seiten noch vorhanden sind. Wir wissen also nicht, wie viel und welches Wissen uns noch fehlt, damit wir sozusagen eine „ganzheitliche“ Schau erreichen könnten.

Wenn wir heute in die Vergangenheit zurück schauen, dann stellen wir glücklicherweise oft fest, dass heute neue Erkenntnisse auf Grund neuer Messmethoden oder anderer Erkenntnisverfahren vorliegen. Damals aber betrachtete man sich auch ohne diese Erkenntnisse als modern, wohl gebildet, Angehöriger der „Neuzeit“ (gegenüber vorher) und nicht selten wurde auf Generationen zuvor etwas mitleidig und abschätzig zurück- (oder herab-)geblickt. In dieser Gefahr stehen wir heute in der gleichen Weise, wie die Generationen vor uns. Auch wir betrachten uns als Neuzeit, als am besten gebildet und erfahren und eigentlich „gibt es nach uns gar nichts Neues mehr“.

Daraus folgt aber auch, dass unsere Messergebnisse aus den uns verfügbaren Messgeräten oder –methoden sehr einseitig sein können, im Vergleich zur realen Welt sehr ungenau. Überhaupt sollten wir mit unseren Erkenntnissen immer vorsichtig umgehen. Es könnte nicht lange dauern, dann sind sie durch bessere ersetzt oder ergänzt oder sogar widerlegt.

Zum Beispiel sprechen wir Mediziner von „subjektiven Symptomen“ und von „objektiven Messergebnissen“. Wir meinen damit, dass die Beschwerden des leidenden Menschen sehr subjektiv (einseitig aus der Sicht des Patienten, oft von aussen nicht nachvollziehbar, kaum glaubhaft, vielleicht psychisch verursacht etc.) seien, während unsere Messungen verlässliche (objektive) Daten lieferten, die genaue Aussagen zu Ursache, Diagnose, Verlauf, Therapie einer Erkrankung ermöglichten. Müssten wir nicht aber die subjektiven Beschwerden als die eigentliche Grösse, das Primäre, das den Menschen tatsächlich Betreffende ansehen und unsere Daten und Erkenntnisse als blosse Abbilder, je nach angewandter Messmethode? Vielleicht messen unsere Instrumente gar nicht eigentlich das, was den Patienten leiden lässt, sondern etwas Ähnliches oder nur teilweise das Gesuchte? Dann wäre unser „objektives Abbild“ eine sehr relative, ungenaue Teildarstellung der Welt unseres Patienten!

Folge: Je nach unserer zuvor definierten Betrachtungsweise unserer Selbst und unserer Umwelt kehren sich die Bedeutungen der von uns benutzten Begriffe sogar ins Gegenteil!

Was bedeuten „subjektiv“ und „objektiv“ im hiesigen Kontext eigentlich?

Eine Beobachtung: In der Schulmedizin ist es eine ärztliche Aufgabe, Krankheitsmechanismen zu ergründen und zu einem System zusammenzustellen. Dann werden diese Mechanismen mit einem Namen (Diagnose) belegt und Konsequenzen (Therapie) daraus gezogen. Relativ oft respektive schnell kommen Mediziner damit aber an ihre Grenze. Der Gedankengang ist nicht mehr stimmig oder es bleiben Fragen offen. Dann ist der Mediziner nicht verlegen. Auch dafür hat er einen Namen. Die Beschwerden sind dann „funktionell“ bedingt oder „psychisch verursacht“ oder das Rauchen oder das Übergewicht oder Trainingsmangel seien Schuld. Es ist ja nicht so, dass diese Begründungen nicht im Einzelfall richtig sein könnten, aber in der Häufigkeit, in der diese Schlüsse gezogen werden, zeugen sie einfach von medizinischer Denkfaulheit. Physiker ziehen aus Differenzen zwischen Messresultaten oder aus unerklärlichen Sprüngen in den Erklärungen den Schluss, dass sie noch nicht genügend wissen, dass ihre Theorie noch nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Mediziner ziehen aus Differenzen zwischen Messresultaten oder anderen Unstimmigkeiten den Schluss, dass die Wirklichkeit nicht mit ihren Anschauungen übereinstimmt. Also müsse sich doch die Wirklichkeit (die Beschwerden bzw. die Erkrankung) der Theorie der Ärzte anpassen.
Ich habe viele Patienten erlebt, die im Rahmen einer Odyssee von Arzt zu Arzt sich von diesen nicht ernst genommen fühlten, weil diese ihnen ihre Beschwerden nicht glaubten und sie diese als funktional oder ähnlich erklärten. Die Patienten selbst fühlten sich dann wie Hypochonder, wie Schauspieler, wie eingebildet krank.
Eine solche ärztliche Sichtweise dürfte in Einzelfällen vielleicht tatsächlich einmal stimmen, ist aber in den weitaus meisten Fällen eine arrogante Ignoranz des Patienten und der Realität durch den Arzt.

Kommen wir zurück zu unserem Thema: COPD (Asthma).

 

2. Das mechanistische pneumologische Weltbild und die Vielfalt der Atemwege. Lungenfunktion und Beurteilung von Asthma. Paravant? (07/2020)


COPD wird oft in Verbindung gebracht mit Atemnot – Atemnot bei Belastungen, Atemnot bei Stress, Atemnot bei Infekten, nächtliches Aufwachen wegen Atemnot, Atemnot in Ruhe.

Wir haben inzwischen herausgefunden, dass diese Atemnot durch eine Verengung der Bronchien verursacht wird. Das müsste man doch messen können? Ja, können wir. Die Lungenfunktionsmessung ermöglicht uns, das Volumen im Brustkorb, das Volumen, das wir ein- oder ausatmen können, das Volumen, das nach dem Ausatmen noch in der Lunge bleibt und vieles mehr zu messen. Wir können auch den Atemwegswiderstand messen und wie schnell wir ausatmen können. Das ist ein Mass für die Weite oder Enge der Bronchien. Beim Asthma variieren diese Querschnitte oft deutlich, bei der chronischen Bronchitis wenig.
Logische Folge: Wir benutzen die Lungenfunktion zur Diagnosestellung und zur Bestimmung des Schweregrades des Asthmas und der chronischen Bronchitis. Dabei stellen wir aber fest, dass Asthmatiker eine völlig normale Lungenfunktion haben können und trotzdem unter Atemnot leiden. Umgekehrt gibt es Patienten mit COPD, deren Lungenfunktion stark gestört ist, die das aber kaum merken.
Es muss also noch andere Faktoren geben, die die Beschwerdeintensität bei unseren Patienten beeinflussen, die wir mit der Lungenfunktion nicht messen können. Je nach unseren weltanschaulichen Vorentscheidungen beurteilen wir jetzt die Lage unserer Patienten. Wer sehr mechanistisch denkt (Die Lunge ist dann einfach ein Blasebalg), nimmt die Ergebnisse der Lungenfunktion und macht daraus eine Diagnose (oder auch einen Ausschluss einer Krankheit) oder schliesst daraus auf einen Schweregrad. In dieser Weise hat die pneumologische Wissenschaft in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten die Krankheiten Asthma und COPD begriffen und definiert. Inzwischen relativiert sich diese Ansicht mehr und mehr. Sie ist aber noch immer sehr dominant.

Vieles spricht dafür, dass Asthma und chronische Bronchitis jedoch nicht nur eine Frage der Enge oder Weite der Bronchien sind. Da spielen auch entzündliche Vorgänge eine Rolle und auch Fehlfunktionen. Diese Störungen erfassen wir nicht mit der Lungenfunktionsmessung. Dazu bedarf es anderer Messmethoden (die wir grossteils noch gar nicht haben). Für bestimmte Asthmatiker hat sich die NO-Messung als eine Möglichkeit der Messung und Darstellung etabliert. Aber für andere Asthmatiker ist sie keine Hilfe und bei Rauchern und bei chronischer Bronchitis (COPD) schon gar nicht. In anderen Fällen hilft uns die Anzahl eosinophiler weisser Blutkörperchen im Blut oder im Sputum oder das Messen bestimmter chemischer Substanzen im Blut, im Sputum oder in der Ausatemluft. Die Bedeutung in der Praxis ist bisher meist gering. Diese Messungen nutzen eher für wissenschaftliche Fragen (was sehr bedeutsam und hilfreich sein kann).

Die Pneumologie ist vermutlich eine medizinische Disziplin, die noch viele Erkenntnisse erst vor sich hat, nicht hinter sich.

Auf Grund der derzeit vorhandenen Messmethoden und der derzeit verfügbaren Erkenntnisse herrscht bei vielen Medizinern und auch bei vielen Bürgern ein oberflächliches mechanistisches pneumologisches Weltbild vor: Ist die Lungenfunktionsmessung normal, so ist der Mensch gesund. Ist eine Verengung zu messen, so ist die Lunge krank. Je nach Typ des Messergebnisses ist es ein Asthma oder eine COPD oder eine andere Lungenerkrankung. Je nach dem, wie schwer die Lungenfunktion gestört ist, in diesem Ausmass besteht auch die Lungenerkrankung.
Die entzündlichen Vorgänge versuchen wir auch indirekt mit einem Provokations-Test (z.B. mit Metacholin) zu erfassen. Was aber messen wir damit tatsächlich? Wie verlässlich sind beide Tatsachen (die Testergebnisse und die sich in der Lunge abspielenden Prozesse) miteinander korreliert? Die Entzündung können wir direkt grossteils nicht messen. Notwendigerweise sind unsere derzeitigen Festlegungen sehr willkürlich getroffen.
Beim Asthma gehen wir auf Grund von Forschungsergebnissen mehr von entzündlichen Prozessen aus, bei der chronischen Bronchitis mehr von degenerativen.
Hier wird sich unser Weltbild in den nächsten 20 Jahren vermutlich noch deutlich ändern.

Derzeit erleben wir, dass auf Grund der vertretenen medizinischen Philosophie und der vorhandenen Messmethoden, die Lungenfunktion (und manchmal auch der Provokationstest) nicht selten als Sichtschutz verwendet wird, um das beim Patienten vorhandene Asthma nicht wahrnehmen zu müssen. Das geschieht natürlich nicht bewusst und vorsätzlich. Dieses falsche Ergebnis ist einfach Folge des mechanistischen Weltbildes. Das hat zur Folge, dass eine grössere Anzahl von Patienten (im wahrsten Sinne des Wortes) nicht als solche erkannt werden und damit im Vergleich zum derzeit Möglichen suboptimal bis gar nicht behandelt werden.

Derzeit bleibt uns nichts anderes übrig, als diese vielen anderen Faktoren in Form eines Puzzles zu erfragen, durch Röntgen, Allergieteste, Sauerstoffmessung und andere Blutwerte, evtl. Belastungsuntersuchung zu erstellen und dann zu einem Diagnosebild zusammenzustellen. Dann kommt noch dazu, dass weder das Asthma noch die COPD eine einheitliche Erkrankung sind. Diese Namen stehen eigentlich nur für eine Gruppe von Erkrankungen, die in den nächsten Jahren in tatsächliche Krankheiten diversifiziert werden müssen und erfreulicherweise teilweise auch schon werden.

In Zeiten hochauflösender bildgebender Verfahren und präziser Messtechnik in Kombination mit moderner IT-Technik erwarten wir, dass die medizinische Diagnosestellung immer weiter automatisiert und digitalisiert werden kann und wird. In der Pneumologie ist es meines Erachtens noch weit bis zu dieser Entwicklungsstufe. Derzeit ist mehr das Köpfchen des Pneumologen gefordert als die Technik. Natürlich erleben wir zahllose Akteure in der Pneumologie, die diese Tatsache negieren und funktionieren wie eine automatische Produktionsstrasse in der Fabrik (messen und je nach Resultat Therapie, wie in der Leitlinie festgelegt).

In der vorigen Woche bekam ich einen Brief von einer grossen schweizer Versicherungsgesellschaft. Ich hatte gemeldet, dass es einem meiner Patienten sehr viel schlechter geht als bei der letzten Beurteilung durch einen Gutachter festgestellt. Die Höhe seiner Rente entspräche heute wahrscheinlich nicht mehr dem Schweregrad der Erkrankung. Da er drei schulpflichtige Kinder zu versorgen hat, reiche sein Geld hinten und vorne nicht. Es handelt sich um eine existentielle Not.

Der die Versicherung beratende Mediziner schrieb, er habe meine gemessenen Lungenfunktionswerte und die von damals verglichen. Die heutigen seien eher besser als die damaligen und daher könne von einer Verschlechterung ja gar keine Rede sein. Es handele sich wohl eher um Dekonditionierung, weil er ja gar nicht mehr arbeite und wohl auch kein Muskeltraining durchführe. Eine Überprüfung des Schweregrades lehne er daher ab. Der Patient solle im damals festgesetzten Masse einer Arbeit nachgehen.

Diese Begründung habe ich schon oft im Zusammenhang mit der Schweregradbeurteilung von Asthma oder COPD gehört. Teilweise wird das auch stimmen, aber zumindest teilweise und oft doch überhaupt habe ich Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründung.

Es handelt sich um einen Mechanismus, der funktioniert wie die Frage: Was gab es zuerst, die Henne oder das Ei?

Durch engere Bronchien können wir atmen. Das ist nicht das Problem. Aber wir brauchen mehr Zeit, um das gleiche Luftvolumen hindurchzutreiben oder wir brauchen mehr Kraft. Die Kraft der Atemmuskulatur ist erstaunlich schnell erschöpft. Wer es nicht glaubt, atme mal 20 Atemzüge durch den offenen Mund aus so schnell er kann. Wie ist Ihr Gefühl? Richtig, das war sehr anstrengend und Sie sind erschöpft, falls Sie überhaupt 20 Atemzüge so geatmet haben.

Wenn wir also ein bisschen länger Sport treiben wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als langsamer zu atmen (damit wir nicht so viel Kraft brauchen) und damit unsere sportliche Belastung zu reduzieren. Bei manchen Patienten ist Ausdauertraining mit 70 oder 80 % der Maximalbelastung auf diese Weise durchaus in intensivem Masse und für lange Zeit möglich. Bei höherem Schweregrad der Erkrankung wird Training immer schwerer möglich und schliesslich unmöglich.

Wie wir oben schon gesehen haben, hängt die gefühlte Belastbarkeit mit der gemessenen Weite der Bronchien nur locker zusammen. Da spielen viel mehr Faktoren eine Rolle.

Viele Studien zeigen: Es ist gut für Asthmatiker und Menschen mit COPD, wenn sie Sport treiben. Die Muskulatur wird trainiert und das allgemeine Körpergefühl wird besser.

Bei zunehmendem Schweregrad der Erkrankung aber wird das Trainieren immer härter, weil die Kurzatmigkeit immer mehr Ehrgeiz erfordert, um die Kraft aufzubringen, der Belastbarkeitseinschränkung durch Kurzatmigkeit zu widerstehen und trotzdem zu trainieren. Diesen Ehrgeiz haben viele nicht. Es stellt sich also zunehmend Trainingsmangel ein. Es ist nun einfach für Ärzte oder Gutachter, zu schreiben, dass Trainingsmangel Ursache für die fehlende Belastbarkeit der entsprechenden Person sei. Hier handelt es sich um einen Circulus vitiosus, der nur mit besonderem, aussergewöhnlichem Ehrgeiz oder angemessener medikamentöser Therapie durchbrochen oder zumindest gemildert werden kann (und auch das abhängig vom Schweregrad nicht immer). Die Tatsache des Trainingsmangels bei unseren Patienten stimmt oft, aber die Verwendung zur Begründung von Schweregrad der Erkrankung, Hilfsmöglichkeiten oder Ansprüchen darf nur eingeschränkt erfolgen. Sonst werden diese Patienten im Vergleich zu Gesunden oder Menschen mit anderen Erkrankungen benachteiligt. Ihre Muskulatur in gut trainiertem Zustand zu erhalten, erfordert nicht selten von unseren Patienten weit überdurchschnittlichen Ehrgeiz und schliesslich gelingt es trotzdem nicht.

Und die gesteigerte Empfindlichkeit der Bronchien auf inhalative Reize führt oft zu einer starken Variabilität der Beschwerden, so das z.B. im Rahmen einer Arbeit keine allzeit verlässliche Leistung mehr erbracht werden kann.

Trainingsmangel als Grund für Atemnot anzugeben oder anzunehmen ist in den meisten Fällen entweder falsch oder nur teilweise richtig.

In den letzten zwanzig Jahren ist eine neue Methode entwickelt worden, Lungenfunktion zu messen. Grob gesagt, verbindet sie das Belastungs-EKG (das wir von den Herzspezialisten kennen) mit der Lungenfunktion und auch noch mit der Analyse der Ein- und Ausatemluft auf Sauerstoffverbrauch und Kohlendioxidabgabe. Sie heisst „Spiroergometrie“. Damit kann man eine ganze Menge Vorgänge im Körper analysieren, so dass man etwas erfährt über die Belastbarkeit des Patienten, die Enge oder Weite der Bronchien unter Belastung, die Funktion des Herzens, den Sauerstoffverbrauch der Muskulatur und vieles mehr. Somit sollte diese komplexe Untersuchung doch ein gutes Bild über die Leistungsfähigkeit eines Asthmatikers geben. Viele Ärzte und Wissenschaftler denken auch genau so.

Im täglichen Leben erlebe ich erhebliche Differenzen zwischen der subjektiven Einschätzung von Belastbarkeit durch Patienten selbst und der Einschätzung von Ärzten oder Gutachtern oder Wissenschaftlern an Hand dieser Untersuchung. Wie mögen diese Unterschiede zustande kommen?

Meines Erachtens ergeben sich dafür mehrere Gründe:

Die Beschwerden der Asthmatiker sind sehr abhängig von inhalativen Reizen und anderen Einflüssen aus der Umgebung. Das lässt sich in der Spiroergometrie nicht nachmachen und überprüfen. Wenn ein Asthmatiker in der Spiroergometrie eine gute Leistung vollbrachte, bedeutet das noch lange nicht, dass das an einem Arbeitsplatz mit Reinigungsmitteln oder in staubiger Umgebung oder der feuchten Umgebung einer Küche oder auch nur einer feuchten Wohnung genauso ist.

Engere Bronchien durch Verkrampfung der Muskulatur oder Schwellung der Schleimhaut durch Entzündung führen zu dauerhafter Mehrarbeit beim Atmen. Das mag ein wenig Trainingseffekt begründen, aber es führt auch zu langsamer Erschöpfung, weil beim Atmen nie eine Erholungspause gemacht werden kann. Unsere Muskeln haben offenbar sehr fein abgestimmte Sensoren, die verstärkte Atemarbeit sofort als unangenehm melden. Das führt eigenartigerweise sogar oft zu Hyperventilation. Erhöhte Atemarbeit reduziert die freie Kraft für Ausdauerarbeit am Arbeitsplatz, die bei einer Spiroergometrie innerhalb von 20 Minuten nicht beurteilt werden kann.

Viele Asthmatiker husten. Husten ist ein Vorgang mit maximaler Kraftanstrengung in den Atemmuskeln. Häufiges Husten tagsüber verbraucht Kraft, die sonst für die Arbeitsfähigkeit zur Verfügung stünde. Das misst die Spiroergometrie nicht.

Nächtlicher Husten stört den Schlaf zusätzlich und damit auch die Aufmerksamkeit am Arbeitsplatz durch Müdigkeit.

Gestörte Atmung bindet immer wieder unsere Aufmerksamkeit. Arbeitende Asthmatiker müssen immer eine körperliche Funktion, die sie schnell in Anspruch nimmt, in den Hintergrund verdrängen, um für die Anforderungen der Arbeit genug Aufmerksamkeit frei zu haben.

Alles das ist mit der Spiroergometrie nicht zu beurteilen.

 

3. Beurteilung von Qualität in der Medizin


Das Messen medizinischer Qualität ist eine schwierige Angelegenheit. Allenthalben wird uns heute Qualitätsmanagement angeboten und die Nutzung gefordert. Dann werden Schemata ausgearbeitet, nach denen die Arbeitsabläufe zu erfolgen haben und bei Einhaltung dieser Regeln wird Qualität attestiert. Und je höher die Anzahl von einer Prozedur (Diagnose oder Therapie) in einer Abteilung sei, desto besser sei die Qualität. Seien wir sehr sehr vorsichtig mit solchem Qualitätsmanagement. In manchen Bereichen ist eine genaue Einhaltung bestimmter Regeln und Prozessabläufe wirklich sehr qualitätsbestimmend, in anderen aber auch wieder genau nicht. Und in manchen Bereichen mag eine hohe Anzahl die Qualität tatsächlich verbessern, aber die hohe Anzahl ist keine Garantie für Qualität. Für vieles gibt es ein Optimum, jenseits dessen die Wahrscheinlichkeit (hier: Qualität) auch wieder sinkt. In der Routine sinkt die Aufmerksamkeit oft wieder. Dann sinkt auch die Qualität wieder. Und vieles hängt an den Akteuren, wie gewissenhaft und genau sie arbeiten. Und sehr genau müssen wir bei der Attestierung von Qualität darauf achten, wer das Attest erteilt und welche Interessen dahinter stehen. Umgekehrt aber gibt es keine Beurteilung von Qualität ohne Interessen. Wer von etwas viel Ahnung hat, verdient mit hoher Wahrscheinlichkeit auch sein Geld damit. Selten haben wir von etwas viel Ahnung, womit wir nicht unser Geld verdienen oder was nicht unser Hobby ist. Die Fähigkeit, Qualität zu beurteilen, und Interessen sind sehr oft nicht von einander trennbar. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als immer wieder kritisch an uns herangetragene Informationen und Entscheidungen zu hinterfragen. Und trotzdem müssen wir ab einer gewissen Grenze auch Vertrauen wagen.


4) Spezialisierung in der Medizin (1/2016)


Seit der Entwicklung von Arbeitsteilung und Spezifikation in den frühen Anfängen der Zivilisation als Möglichkeit zur Qualitäts- und Rentabilitätssteigerung haben sich die Arbeitsbereiche des Menschen immer weiter verengt. Wir leisten immer mehr und immer effektiver und immer mehr Qualität in einem immer schmaleren Fachgebiet. Und mit zunehmendem Wissen und Können werden die Fachgebiete immer kleiner, weil breit gefächertes Wissen und Können gar nicht möglich sind. (Z.B. sollen Chirurgen eine gewisse Anzahl jeder Operation pro Jahr vornehmen, damit man ihnen Qualität attestieren kann. Aber das heisst natürlich umgekehrt auch, dass jeder von ihnen das nur in einem eng umschriebenen Feld kann, denn er hat nur eine begrenzte Zeit und Kraft. Die Qualität schliesst Diversifizierung aus (und leider auch umgekehrt!!!).) In allen Bereichen des zivilisatorischen Lebens hat diese Konsequenz Einzug gehalten, auch in der Medizin. Nur in der Medizin gibt es in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend die Bestrebung, dieser Spezialisierung entgegen zu wirken. „Der Generalist (der Hausarzt) muss gestärkt werden gegen die Übermacht der Spezialisten“. Das ist nicht ganz verkehrt. Es bedarf auch der Menschen mit dem Überblick und der Fähigkeit zur Koordination. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es den Spezialisten ja nur deshalb gibt, weil der Generalist nicht mehr alles medizinisch Mögliche oder Notwendige weiss und kann. Und ohne Hausärzten zu nahe treten zu wollen, „was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss“. Es ist eine alte Tatsache, dass ich nicht weiss, was ich nicht weiss (oder dass ich darüber zumindest durch immense Illusionen sehr auf´s Glatteis geführt werde).

Wenn aber heute in grossem Masse gefordert und zunehmend organisatorisch auch angewendet wird, dass nur der Hausarzt einen Patienten zum Spezialisten schicken darf (oder dieser nur auf Überweisung durch den Hausarzt tätig werden darf), dann ist damit automatisch eine Minderung medizinischer Qualität verursacht. Das ist so sicher wie ein Naturgesetz.

Es muss uns klar sein, dass ein ausgewogener Weg ein Weg zwischen und mit beiden Extremen ist (Generalist und Spezialist). Und vermutlich ist der Weg dann am optimalsten getroffen, wenn zwischen und mit beiden Wegen frei gewählt werden kann, und zwar von jedem Bürger oder jedem Patienten.
Unsere derzeitige Regelungsweise geht aber genau in die entgegengesetzte Richtung. Versicherungsverträge mit Hausarztbindung zur Kostensenkung oder Verpflichtung der Fachärzte, auf die (Über-)Weisungen des Hausarztes zu hören. Denken wir einmal darüber nach, wie das gehen soll. Der Weg zum Frauenarzt steht jeder Frau frei auch ohne Stellungnahme des Hausarztes, der Weg zu anderen Spezialisten nicht. Wo ist der qualitative Unterschied? Irren wir uns hier mit unserer Organisationsform nicht?

Viele Hausärzte sind mir an dieser Stelle sehr böse. Damit lebe ich seit über 20 Jahren. Ich bin leider davon überzeugt, dass Patient und Facharzt diese Freiheit brauchen zum Wohle des Patienten. Und ich kann Ihnen hunderte Fälle nennen, wo ein Fehlen dieser Bedingung sehr zum Wohle des Patienten gewesen wäre. Für viele ging es um Lebensqualität.

Die Pneumologie hat an dieser Stelle mehrere Probleme:
1. Atemnotbeschwerden können sowohl vom Herzen wie von der Lunge verursacht sein.
Die Kardiologie ist ein sehr technisiertes Fach und das Organ, um das es sich dreht, ist in aller Bewusstsein: Die Pumpe. Die Angst vor einem Herzinfarkt steckt tief. So ist die Bereitschaft, zu einem Kardiologen zu schicken oder auch selbst zu gehen relativ gross. In der Pneumologie glaubt jeder Hausarzt durch die Messung der kleinen Lungenfunktion und ein paar Mittelchen das ganze Fach selbst abdecken zu können. „Was der Pneumologe kann, kann ich auch, aber mit wesentlich weniger Technik und weniger Kosten“, ist seine Ansicht. Und eine Gefahr wie ein Herzinfarkt, droht ja nicht. Und was nicht zu unterschätzen ist, mit chronischem Husten „muss und kann man sich ja abfinden“ und Atemnot schränkt die Leistungsfähigkeit ein, aber das versuchen Patienten lieber zu verstecken und zu verheimlichen. Oft sind ja auch das „Übergewicht“ oder „psychische Faktoren“ der Grund (wird angenommen oder gesagt). Und heute gibt es Lift und Auto um grössere Belastungen zu vermeiden. So wird der Besuch beim Lungenfacharzt gar nicht erst in Erwägung gezogen. Und wenn der Besuch doch erfolgte, dann soll der Hausarzt bald wieder die Therapieführung übernehmen und nur bei Schwierigkeiten zum Pneumologen überweisen.

2. Die jetzige Praxis der Überweisung vom Hausarzt zum Lungenfacharzt führt dazu, dass die Patienten in der Regel aus zwei Gründen zum Pneumologen kommen: Entweder zur „Standortbestimmung“ (So steht es tatsächlich auf vielen Überweisungen) oder im Notfall.
Diese Begründungen führen dazu, dass der Pneumologe den Patienten nur punktuell sieht oder wenn es schlimm ist. Der Pneumologe soll eine Therapie festlegen und dann bleibt diese in der Regel so langfristig unverändert bestehen oder sie verläuft bei geringeren Beschwerden langsam im Sande und wird vergessen. Diese Verhaltensweise wird dem chronischen Charakter der Erkrankungen nicht gerecht. Sowohl Asthma wie in geringerem Masse chronische Bronchitis (COPD) sind durch wechselhafte Beschwerden charakterisiert. Dem kann und sollte sich die Therapie anpassen. Wenn der Pneumologe den Patienten aber gar nicht sieht, hat er keine Chance auf Einfluss. Es geht alles nur nach Schema F.

In Deutschland ist die Situation ein wenig anders. Es wurden verschiedene Diseasemanagement-Programme eingeführt, so auch für Asthma und COPD. Interessanterweise werden sie von den Krankenkassen zentral geführt. Ärzte konnten sich für diese Programme ausbilden lassen und dann diese programmierten Untersuchungen und Therapien durchführen. Damit konnten auch Lungenfachärzte die Patienten wieder an sich binden. Die Folge ist aber regelmässige Untersuchung nach Programm und entsprechende Therapie nach Programm. So kann man die Untersuchungszeit extrem verkürzen und sozusagen automatisieren und die Therapie standardisieren. Raum für Individualität, für Nachdenken, für Entwicklung ist praktisch nicht vorhanden. Der Patient wird zur fabrikmässigen Massenware.

In welcher Art der Facharzt den Patienten sieht, verändert auch seine Krankheitseinschätzung erheblich, wenn ihm die zwischenzeitlichen positiven und negativen Entwicklungen und Therapieanpassungen entrissen werden oder wenn alles nur nach Fliessbandschema geht.

Sehen wir wieder in die Schweiz. Bei vielen Patienten versandet die Therapie mit der Zeit. Oft stellt sich später heraus, dass man besser anders entschieden hätte oder konsequenter behandelt hätte. Aber der Pneumologe war gar nicht beteiligt. Das entspricht einer echten Qualitätsminderung. Und wenn Menschen einen IV-Antrag wegen fehlender Belastbarkeit wegen Atemnot stellen und sind vorher über Jahre nur geringfügig behandelt worden, dann stellt sich doch die Frage, was für den Menschen und seine Lebensqualität und was für die Versicherung bzw. für die Gesellschaft finanziell besser gewesen wäre. Leider kann ich Ihnen genügend Beispiele für fragwürdige Entwicklungen nennen.

Natürlich dürfen Sie diese Gedanken und Einschätzungen nicht so ernst nehmen, denn ich verdiene damit mein Geld und ich bin natürlich durch meine finanziellen Interessen befangen. Andererseits nützt es nichts, wenn ich Ihnen etwas zur Position von Sonne und Mond erzähle, weil ich damit nicht mein Geld verdiene. Davon habe ich auch nicht mehr Ahnung als Sie. Es hilft nichts. Sie müssen selbst darüber nachdenken und sie müssen mir gegenüber kritisch sein und Sie werden selbst entscheiden müssen, in wie weit Sie meinen Ausführungen vielleicht doch auch vertrauen wollen. Anders geht es nicht und deshalb habe ich diese Gedanken auch dargelegt. Nun sind Sie gefordert. Bitte gehen Sie vorsichtig mit diesen Gedanken um.

 

5. Krankheit oder Therapie. Was schadet oder nützt uns mehr? (1/2017)


Die medizinische Therapie hat in den vergangenen zweihundert Jahren enorme Fortschritte gemacht. In den letzten Jahrzehnten haben wir eine exponentielle Steigerung von Möglichkeiten erhalten. Es ist wirklich Wahnsinn, was heute alles möglich ist.

Allerdings hat mit dem Fortschritt der medizinischen Therapie (hier insbesondere beleuchtet wird die Therapie mit Medikamenten) nicht eine Minimierung von schädlichen Nebenwirkungen in gleichem Masse stattgefunden. Unsere Sensibilität gegenüber Nebenwirkungen hat erheblich zugenommen. Schon bei der Identifizierung der richtigen chemischen Substanzen wie auch bei der Herstellung wird darauf geachtet, dass Nebenwirkungen ein möglichst nur geringes Mass erreichen. Bei der Anwendung im Einzelfall wird darauf geachtet. Trotzdem können Nebenwirkungen schädlich sein und wir versuchen, sie nach Möglichkeit zu vermeiden.

Die einfachste Strategie zur Vermeidung von Medikamenten-Nebenwirkungen ist natürlich die, gar nicht erst Medikamente einzunehmen. Dann braucht man sich auch keine Gedanken über Nebenwirkungen zu machen. Man braucht auch keine Angst vor ihnen zu haben.

Diese Strategie ist unterschiedlich sinnvoll und wirkt sich auf verschiedene Weise aus. Hat man Kopfschmerzen ohne besondere Ursache und auch nur kurzfristig, kann man Schmerzmittel einnehmen oder auch nicht. Wenn die Schmerzen auch ohne Medikament von selbst wieder verschwinden, braucht es keine Therapie. Dann können auch keine Nebenwirkungen auftreten.

Leidet man unter Beschwerden, die nicht wieder von selbst verschwinden, wird es schon schwieriger. Dann ist die Einnahme von Medikamenten sicher sinnvoll. Das Risiko von Nebenwirkungen muss man eingehen, wenn die Beschwerden oder die Krankheit wieder verschwinden sollen. Es ist dann ein Abwägen des Nutzens gegen die Risiken einer Therapie. Das ist bei den meisten Operationen und auch bei den meisten Medikamenteneinnahmen so.

Beim Asthma und bei der chronischen Bronchitis bestehen die Krankheiten dauerhaft (bis ans Lebensende), aber das Ausmass des Schweregrades der Erkrankung kann beim Asthma und in geringerem Masse auch bei der chronischen Bronchitis sehr schwanken. Es kann Zeiten geben mit geringen Beschwerden und andere mit sehr störenden Symptomen. Auch wenn manche Studien das in Frage stellen, meistens ist eine früher einsetzende und konsequente Therapie langfristig wirkungsvoller als eine spät einsetzende oder nur unregelmässig durchgeführte. Dabei ist oft gar nicht so sehr die Verlängerung der Lebenserwartung entscheidend, sondern die Lebensqualität in unseren letzten Lebensjahren oder -jahrzehnten. Und an einer guten Lebensqualität ist uns ja meistens bis zuletzt sehr gelegen.

Es gibt Medikamente, deren Wirkung in der Regel schnell einsetzt und auch schnell wieder endet. Langfristig haben sie wenig Effekt. In der Lungenheilkunde trifft das z.B. auf die bronchienerweiternden Medikamente in höherem Masse zu. Langfristig sind deren Infekte gering, bei den schnell und kurzfristig wirkenden sogar nahe 0. Andere haben kurzfristig kaum einen Effekt, so dass mancher Patient sie bereits nach zwei Wochen wieder absetzt in dem Glauben, sie würden gar nicht helfen. Aber gerade deren Effekt wirkt sich langfristig aus. Zu diesen Medikamenten gehören vor allem die entzündungshemmenden und davon gibt es ja nicht viele im hiesigen Zusammenhang. Wir sprechen hier vor allem vom Cortison.

Alle haben Angst vor dem Cortison. Das ist aber Ausdruck einer sehr einseitigen und undifferenzierten Denkweise in der Ärzteschaft und in der Bevölkerung. So einfach sollten wir es uns nicht machen, da wir damit viele Chancen vertun, die Gesundheit von Lungenkranken entscheidend günstig zu beeinflussen.

Zuerst sollten wir realisieren, dass Cortison sehr gesund ist. Es ist ja ein Hormon, wird also in unserem Körper selber hergestellt und ist damit eine sehr natürliche Substanz. Wenn unserem Körper Cortison fehlt, verursacht das erhebliche Beschwerden. Und auch die Menge des im menschlichen Körper produzierten Cortisons ist gar nicht so wenig. Ein Regelkreislauf sorgt für einen ständig dem Bedarf angepassten Blutspiegel von Cortison.

Als zweites müssen wir feststellen, dass die Einnahme von Cortisontabletten, zwar sehr effektiv viele Entzündungen bessert, aber erhebliche Nebenwirkungen verursachen kann. Das wissen 95 % der Schweizer. Und das stimmt auch. Die Nebenwirkungen kommen vor allem dadurch zustande, dass wir eine wirksamere (höhere) Dosis einnehmen, als unser Körper selbst produziert. Cortisontabletten (oder Spritzen oder Zäpfchen) kann man für einige Tage relativ gefahrlos anwenden, für längere Zeit geht es ohne wesentliche Nebenwirkungen kaum. Das ist der Grund, warum wir Cortison-Tabletten nach Möglichkeit vermeiden.

Nun kommt als dritter wissenswerter der entscheidende Punkt: Man hat vor inzwischen fast vierzig Jahren nach einer anderen Anwendungsweise für das Cortison gesucht. Für die Lungenkranken (inzwischen auch für manche Darmerkrankungen und in nicht ganz so vollständigem Ausmass auch für die Hautkranken) gibt es eine örtliche Anwendung, für die Lungenkranken nämlich die der Inhalation. Wir brauchen also nicht den ganzen Körper aufzusättigen, das Medikament muss nicht erst durch den Magen und vom Blutkreislauf zur Lunge transportiert zu werden. Daher brauchen wir eine viel niedrigere Dosis als der Körper selber produziert. Man hat auch die Chemie etwas verändert, so dass das Medikament überwiegend nur in der Lunge wirkt. Das, was danach in den Blutkreislauf gelangt, wird sehr schnell von der Leber abgefangen und abgebaut, so dass es im übrigen Körper keinen Schaden anrichten kann. Nicht alle inhalierbaren Cortisonpräparate sind in dieser Hinsicht gleich gut. Da gibt es geringe Unterschiede. Aber insgesamt können wir heute sagen, dass wir damit die Nebenwirkungen in relevantem Ausmass los sind (auch wenn in wissenschaftlichen Studien geringe Auswirkungen noch nachweisbar sind). Allerdings müssen wir zugeben, dass wir mit dieser geringen Dosis nicht nur die Nebenwirkungen los sind, sondern den grössten Teil der Wirkung auch. Das Cortison zum Inhalieren wirkt nie schnell, sondern immer nur langsam. Die Wirkung addiert sich nach und nach so dass eine Wirkung langsam einsetzt. Das kann von Patient zu Patient unterschiedlich lange Zeit brauchen. Bei manchen setzt die Wirkung schon nach einer Woche ein, bei den meisten nach zwei bis acht Wochen, bei manchen sogar noch deutlich später.

Wenn wir aber davon ausgehen müssen, dass es hier um chronische Erkrankungen geht, dass es sich um langfristig sinnvolle Therapien handelt, dann ist es wichtig, dass wir sie risikolos durchführen können. Auf eine plötzliche und vollständige Wirkung kommt es dann gar nicht so an. Die hätten wir natürlich gern, aber wir bekommen sie nicht zu sinnvollen Konditionen. Auf den Punkt gebracht können wir sagen:

So mancher kann mit frühzeitiger und konsequenter Cortisoinhalation verhindern oder zumindest hinausschieben, dass er später ein so schweres Krankheitsstadium hat, dass er womöglich sogar Cortisontabletten einnehmen muss.