Voraussetzungen, Vorworte (12/2021)



Schreiben ist Fixieren von Leben. Das Leben ist aber erst am Ende zu Ende. Deshalb ist das hier Fixierte nur ein Zwischenspeichern. Das Leben (glücklicherweise), das Denken und Nachdenken, das Schreiben und dann wieder das Denken und Nachdenken gehen weiter. Wir wollen selbst denken und Vorgedachtes möglichst nicht unbedacht übernehmen, auch wenn es „richtig“ ist. Damit haben wir Vieles mit anderen grossen Denkern gemeinsam, auch wenn wir nur klein sind. Es ist leider so: Aus der Geschichte lernen wir nur sehr sehr begrenzt. Am meisten und am tiefsten lernen wir und werden wir uns bewusst durch das Leben und durch unser eigenes Nachdenken im Leben. Sätze wie „Es muss doch möglich sein, dass ...“ oder „Es kann doch nicht sein, dass...“ sagen wir zwar gerne, weil damit Forderungen an Andere gestellt werden (Das tun wir gerne!), aber zunächst lassen wir mal die Frage an uns heran „Warum gibt es da eine Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit?“ „Was wünsche oder denke oder verstehe ich da möglicherweise falsch?“

Gleich zu Beginn möchte ich Sie warnen. Ich werde Sie in vielerlei Hinsicht enttäuschen. Ich halte das für einen genauso gewinnbringenden wie schmerzhaften und nervenaufreibenden Vorgang. Nachdenken führt zur „Ent-Täuschung“. Sie werden staunen. Das Leben ist vielfältig und komplex. Wir sind vielseitig und in alle Richtungen interessiert. Wir lassen auch unseren Gedanken freien Lauf. Dann laufen sie eben oft quer oder sogar gegen den Strom. Na und? Ich leiste mir das schon viele Jahre. Ich empfehle Ihnen: „Leisten Sie sich das auch!“ So wird Leben spannend.
Ich bin vielleicht ein Mensch, der ohne militärische Waffen tötet oder wehtut? Wenn ich jemanden anspreche, dann nicht um ihn zu verurteilen, sondern um Fragen zu stellen und um zu veranschaulichen. Fragen kostet doch nichts? Allerdings stelle ich mit meinen Fragen denjenigen natürlich auch in Frage. Das tut weh. Schmerzen sind ein Kostenfaktor. Ich bitte jetzt schon um Verzeihung. Leider bin ich auch stellenweise menschlich überreagierend.
Fragen hat Sie bisher nichts gekostet? Dann haben Sie nur nicht die richtigen Fragen gestellt, nur belanglose. Wenn Sie jemanden hinterfragen, merken Sie sehr schnell, was es kostet. Sie selbst kostet solches Fragen Überwindung. Viele hat es auch schon das Leben gekostet. Durch Fragen in Frage stellen ist sehr teuer und mindestens einer von Beiden zahlt.
Ein kleiner technischer Rat: Viele Menschen vor uns schrieben und nicht wenige Menschen neben uns schreiben Tagebuch. Das ist wie fotografieren. Sie können sich später besser erinnern als ohne. Aber es hilft Ihnen nur für die Erinnerung, für die Frage: Was habe ich erlebt. Späteren Lesern hilft es ein wenig, zu ergründen, was hat den Menschen (oder Künstler) zu dem gemacht, was er war?
Nein, schreiben Sie in Ihr Tagebuch nicht, was sie erlebt haben, sondern was sie gedacht haben, was Sie nachgedacht haben, was Sie erkannt haben und was Sie in der Folge eher als richtig oder eher als falsch betrachten würden und umgekehrt. Machen Sie sich Rubriken, fassen Sie bestimmte Themenbereiche zusammen und schreiben Sie so vorsortiert Ihre Gedanken auf. Später, wenn Sie wieder in die gleiche Rubrik schreiben wollen, lesen Sie das vorher Gedachte und ändern das Neue oder vervollständigen das Alte oder schreiben einen neuen Absatz, wenn es vorher noch nichts gab. Sie werden merken, dass sich Ihr Denken und Nachdenken entwickeln, dass Sie neue Erkenntnisse haben. Sie werden sich Ihres eigenen Bewusstseins bewusster, nicht aus Überheblichkeit, nicht wegen unbegründeten Selbstvertrauens, sondern weil Sie Zusammenhänge erfasst haben, weil Sie Für und Wider abgewogen haben, weil Sie auch die Rückseite der Medaille, die nur wenige wahrnehmen, mit bedacht haben.
Man kann Beobachtungen des Menschen in verschiedenen Formen darlegen: Als Krimi, als Roman, als Satire, als Komik, als Kabarett und vielen anderen. Die meisten dieser Formen haben gemeinsam, dass sie spannend, unterhaltsam und packend sind, weil sie unser Gefühl ansprechen. Dann sind wir gefühlsmässig, intuitiv dabei, aber unser Denkapparat, unser Nachdenken ist weitgehend ausgeschaltet. Solche ergreifenden Werke können Sie von vielen Künstlern der letzten 2 Jahrtausende lesen, sehen oder hören. Und die Intuition gibt uns an manchen Stellen ungeahnte Chancen des Verständnisses, z.B. in der Bindung der Geschlechter aneinander. Aber die Intuition blendet Vieles aus und richtet unser Augenmerk und unser Verständnis nur auf gewisse Teilbereiche des Lebens und andere Bereiche werden einfach nicht erreicht. Um dies alles zu vermeiden, wähle ich bewusst das Format einer gedanklichen, verstandesmässigen Auseinandersetzung, auch wenn mir damit klar ist, dass viele von Ihnen sich dieser Auseinandersetzung nicht werden stellen wollen, dass Ihnen das zu langweilig ist und eben vor allem Frauen viel zu gefühlsarm. Allerdings werden Sie merken, dass es mir leider nicht immer gelingt, die Emotionen beim Denken völlig abzuschalten. Dazu bin ich zu leidenschaftlicher Nachdenker und einfach zu sehr physischer Mensch. Ich bin ein Bengel, kein Engel und auch kein abgehobener Führer. Ich lade Sie ein, mit mir nachzudenken. Sie dürfen auch vorauseilen oder abschweifen, wenden, zurückgehen, wieder dazustossen, schlafen gehen, wütend werden, was Sie wollen. Ich wünsche Ihnen alle Freiheit im Nachdenken.

Seit etlichen Jahren lese ich den „Nebelspalter“ (Sehr gut gemachte schweizer Satirezeitung im Unterschied zu „Charlie Hebdo“) mit viel Schmunzeln. Manches Mal habe ich gedacht, das habe ich auch schon so oder so ähnlich gesagt oder geschrieben. Der Unterschied? Die Redakteure und Autoren des Nebelspalters sind so fein, gebildet und pietätvoll, dass Sie sie lachen lassen und dann dürfen Sie wieder in Ihr tägliches Leben zurückkehren, ohne dass sich etwas ändert.
Ich dagegen bin fies und nehme Sie gefangen und lasse Sie nicht wieder los. Ich will, dass wir nachdenken und wenn wir uns schon am Ende nicht selbst geändert und gebessert haben, dann werden wir erkannt haben und es auch glauben, dass wir das gar nicht können und auch eine Ahnung davon haben, warum wir das gar nicht können. Wahrscheinlich wird das auch für die Menschen um uns herum gelten? Das wird Sie und mich doch verändern.
Ich lese auch noch die NZZ (Neue Zürcher Zeitung). Ich muss gestehen, dass ich manchmal nicht sicher bin, ob die Artikel in der NZZ nicht eher in den Nebelspalter gehören und umgekehrt natürlich auch. Wollte man das fieser ausdrücken, könnte man sich natürlich auch fragen, ob nicht so mancher Artikel in der NZZ eher in die Rubrik „fake-news“ gehört. Wenn sich manche der Autoren wissenschaftlich äussern oder zu religiösen Themen z. B. Immer, wenn die weltanschauliche Grundeinstellung Einfluss hat, dann liegt die Rubrik „fake-news“ ziemlich nahe.
Weiss jemand, der sagt „Das habe ich immer schon gesagt!“, was er da sagt? Sollen wir ihm glauben, dass er bis heute nicht schlauer geworden ist, als er damals schon war? Das wäre schlimm. Dann hoffen wir, dass er kein Amt bekleidet und nicht viel Einfluss hat. Oder war er damals schon so schlau wie heute? Alle Achtung! Wir gratulieren! Aber sollen wir ihm das so glauben? In all den Jahren keine Veränderung? Wollen wir da nicht lieber erst Fragen stellen? Also, machen wir die Klappe zu und Augen, Ohren und alle Sinne auf!
Das Leben ist wie ein Weg, immer noch eine Kurve und noch eine Biegung. Schauen wir hinter die Kurve oder Biegung, geht es wieder weiter. Es gibt immer etwas Neues und doch nichts Neues. Was suchen wir? Warum die Eile?
Setzen wir uns hin, Beine hoch, ein Glas Wein in der Hand, schliessen die Augen und überlegen: Was tun wir hier eigentlich? Ich werde Sie mitnehmen auf eine Reise durch mein Universum. Bleiben Sie ruhig sitzen. Ihre hoffentlich bequeme Sitzgelegenheit ist eine gute Position zum Fliegen, zum Beobachten und zum Wahrnehmen. Es wird eine Weltreise mit unzähligen Haltestellen. Wir haben Zeit, lebenslang... Manches werden Sie bei sich wiedererkennen.

Wenn wir den Menschen heute in den Mittelpunkt stellen, was viele von sich behaupten und sich damit selbst betrügen, dann wollen wir nicht den egoistischen Individualisten in den Mittelpunkt stellen (der steht da schon über 500 Jahre), nein, den Menschen als menschliche, als biologische, als erdliche, als persönliche Struktur. Beziehung ist leben mit ihm und uns und nachdenken mit ihm über ihn und uns.
Im weitesten Sinne beschäftigen wir uns jetzt mit Biologie, im etwas engeren Sinne mit der Tierwelt. Wir beobachten den Menschen, Frau und Mann, passive, konsumierende Menschen und aktive, bestimmende, verändernde Menschen. Wir betrachten den Menschen möglichst unvoreingenommen, ohne Methodik (obwohl ja auch das wieder eine Methode ist), nicht im wissenschaftlichen Sinne. Wir verzichten bewusst auf Fragebögen, Statistiken und Einschluss- und Ausschlusskriterien. Wir bleiben unwissenschaftlich, aber nah dran, vielleicht so wie Alexander von Humboldt oder andere, die zu ihrer Zeit mit offenen Augen durch die Welt reisten und eine Entdeckung nach der anderen machten. Sie dachten darüber nach, fixierten das Entdeckte in Bildern und brachten Beschreibungen zu Papier.
Sie schlossen nichts aus (wie Ausschlusskriterien in der Medizin). Sie bauten zunächst keine abstrakten Denk- und Beurteilungssysteme. Die kamen erst in einem zweiten Schritt später dazu. Sie entdeckten zunächst das Leben in seinen vielen und reichen Facetten. Wir nun betrachten viele kleine Ausschnitte, an bestimmten Stellen auch grössere Zusammenhänge.
Vielleicht benutze ich doch eine Methode? Ich benutze mich selbst und die Menschen um mich herum. Ich teste im Umgang mit der Welt und den Menschen um mich herum meine Erkenntnisse. Ich lebe vorsichtig nach meinen eigenen Erkenntnissen und nicht nach dem, was alle um mich herum tun oder denken oder was man tun sollte. Ich versuche auch, meine Intuition und die Ergebnisse des Nachdenkens möglichst zusammenzuführen (was immer wieder viele Widersprüche in mir aufzeigt). Sie glauben nicht, wie spannend das sonst so langweilige Leben so wird.
Hier schon ein kleiner Einschub: Es geht mir nicht darum, neue Theorien zu gewinnen oder zu schaffen, aus einigen Beobachtungen ein logisches Denkgebäude zu schaffen (obwohl natürlich auch ich versuche, logisch zu denken), sondern die Beobachtungen im Leben stehen zu lassen und daraus Zusammenhänge und Deutungen zu finden. Wir suchen nach Wahrheit in diesem Leben. Was ist Wahrheit? Graue Theorie! Keiner kennt die Wahrheit, schon gar nicht unsere grossen „Führer“ gleich welcher Art. Was wir finden können, ist nur Wirklichkeit: Die Welt, unser Leben, uns selbst und die mit uns leben. Wir sind zwar Teil dieser Wirklichkeit, aber wir können uns nur ein möglichst genaues Bild von der Wirklichkeit machen. Das Bild von der Wirklichkeit, das wir in der Lage sind, uns zu machen, ist aber (wie im Höhlengleichnis von Platon) nur ein Bild, bestenfalls ein Abbild, nicht die Wirklichkeit, die Wahrheit selbst. Wer glaubt, er erkenne und kenne dann die Wahrheit, er vertrete die Wahrheit, er kämpfe für die Wahrheit, der befindet sich mehr oder weniger in der grauen Theorie, in einer Illusion oder aber in der egoistischen Selbsteinschätzung „Ich bin gut, ich habe Recht, ich habe die Wahrheit“. Unser Denken, das Bild in unserem Denken, ist nicht die Wirklichkeit, sondern immer nur ein Abbild. Dadurch aber stehen wir gegenüber der Welt, gegenüber den mit uns lebenden Menschen. Dadurch sind wir abgegrenzt. Dadurch werden wir zur Person. Allein darüber kann man sehr, sehr lange nachdenken. Es lohnt sich. Wir werden es immer wieder tun.


1. Wir betrachten die unbelebte und belebte Welt möglichst wertfrei. Hier haben Sie schon die erste Reiseetappe vor sich. Fragen nach „Gut oder Böse“ sind ein anderes Thema. Viele der hier gestellten Fragen haben zunächst erst einmal mit Moral nichts zu tun. Wir haben fast alle Fakten in und um uns nur sehr sehr (vor)schnell (und unbedacht) mit Moral verbunden. Das hat unter Umständen Sinn, vernebelt uns aber das freie Denken und schreit nach einer Befreiung von Vorgängen oder Dingen, die man nicht einfach (in gut oder böse) trennen kann. Oft ist diese Bewertung auch einfach ohne Sinn. Meistens wird wohl unser Egoismus der Sinn dafür sein? Darüber werden wir noch nachdenken. Moral führt oft zu Tabus und wird ja auch ganz gezielt zu deren Schaffung genutzt. Genau dies wollen wir - zumindest nachdenkend - einmal umgehen. Nachdenken hat den Vorteil, dass nicht gleich neue Tatsachen geschaffen werden, dass es nicht gleich zu Revolutionen und Kriegen mit Zerstörung, Toten und Verletzten kommt, sondern dass Musse bleibt, die vorhandenen Verhältnisse besser zu verstehen. Wenn es dann noch etwas zu verändern gibt, dann tun wir es, bewusst und begründet.
Die beste Waffe in dieser Welt ist die Moral. Sie ist bestens geeignet, andere mundtot zu machen und zu verdammen, ja ganz tot zu machen. Deshalb ist sie so beliebt, so weit verbreitet und sie ist nicht geächtet, weil für uns sichtbar kein Blut fliesst. Ideal, oder? Nutzen Sie sie, wo Sie können! Mit dieser Waffe werden sie dem „Guten“ zum Sieg verhelfen, Tod-sicher. Das Dumme ist nur, diese Waffe hat einen entscheidenden Makel. Dazu kommen wir später.
Die Fakten und Prozesse zumindest beim Nachdenken von den Kategorien „Gut“ oder „Böse“ zu trennen und sie somit ohne Vorzeichen, ohne Bewertung zu sehen, zu durchdenken und zu beschreiben, hat mich etwa 20 Jahre Übung gekostet. Glauben Sie bitte nicht, dass Sie das jetzt mal so innerhalb von ein paar Minuten schaffen und gleich mitgehen können. Ihre Intuition wird sie immer wieder in die alten Denkgleise zurückholen, je älter sie sind, desto mehr. Ich schlage vor, Sie schliessen jetzt die Augen, gehen Ihren Gedanken nach (egal welchen) und fangen an, sie von den Kategorien „gut“ oder „böse“ zu lösen. Warum soll es gleich negativ sein, dass sie jetzt Ihren Hunger merken? Warum sollte es jetzt plötzlich „gut“ sein, dass Sie hier sitzen und nachdenken? Warum sollte es schlecht sein, dass Sie heute Abend allein sind? Warum sollte es gut sein, dass Sie ein Auto besitzen? Es ist einfach so. Sie haben Hunger, Sie denken nach, Sie sind allein und Sie besitzen ein Auto... Ich wünsche Ihnen viel Ruhe und noch viel mehr Geduld mit sich selbst.
Eine weitere Übung zu Beginn: Wir empfinden Lüge als etwas ganz „Negatives“. Dass jemand bei der Wahrheit bleibt, vor allem uns Nahestehende (und da kommen der Freund, die Freundin, der/die Geliebte, der Ehemann, die Ehefrau natürlich an erster Stelle) ist uns enorm wichtig. Und wenn wir herausbekommen haben, dass eine(r) nicht die Wahrheit gesagt hat, dass er/sie uns hintergangen hat, dass er/sie uns egoistisch ausgenutzt hat oder dergleichen, dann werden wir enttäuscht und ... „Enttäuscht“ heisst ja aber, dass wir vorher einer Täuschung erlegen waren, von der wir jetzt befreit wurden. Unsere sprachbildenden Vorfahren waren also schon so weit in ihren Beobachtungen, festzustellen, dass im Leben viel Täuschung vorhanden ist. Sprache ist Bewusstwerdung. Sind wir uns dessen bewusst? Leben besteht aus Sein und Schein und wir werden sehen, dass Leben und in ganz besonderem Masse Liebe ohne Lüge gar nicht möglich sind. Und in den meisten Fällen fängt die Lüge nicht damit an, dass wir Andere belügen, sondern damit, dass wir uns selbst belügen. Und wenn wir uns selbst belügen (oder ein bisschen weniger schroff formuliert: Uns selbst über die Verhältnisse „täuschen“, weil wir nicht genügend nachgedacht haben), dann merken wir gar nicht mehr, dass wir Andere belügen. Auch darüber können wir uns täuschen. Es ist sehr wichtig, dass es Ihnen gelingt, Egoismus, Lüge, Verletzung, Schmerz, Intoleranz und viele weitere begriffliche Erfahrungen von den verstandesmässigen und auch gefühlsmässigen Beurteilungen „gut“ oder „böse“, „positiv“ oder „negativ“ oder ähnlichen Begriffspaaren zu trennen. Da diese Beurteilung uns inzwischen so durchdrungen hat, dass sie unsere Gefühlswelt auch völlig bestimmt, braucht es viel viel Zeit und Geduld zur Loslösung. Wie gesagt, ich habe mehr als 20 Jahre dazu gebraucht und bin längst nicht am Extrem, am Ziel angekommen. Aber vielleicht ist das auch gar nicht sinnvoll? Extreme sind meist nur halbe Wirklichkeit (schon gar nicht „Wahrheit“).
Ich schlage vor, dass Sie hier eine Woche Pause einlegen und noch nicht weiterlesen. Im Laufe dieser Woche trennen Sie alles, was Sie um sich her sehen und erleben, von den Begriffen „Gut“ und „Böse“. Das schafft eine völlig andere Weltsicht und lockert Sie auf und entspannt Sie. Nehmen Sie sich viel Zeit dazu, aber bleiben Sie in Ihrem Alltag, dort, wo Sie immer sind. Diese andere Sichtweise zu lernen, ist etwa so aufwändig wie das spielen Lernen eines schwierigen Musikinstrumentes. Das lernen Sie nicht in einer Woche. Und man kann auch nicht einfach mal so tun, als ob man es könnte.
„Gut“ gibt es in dieser Welt nur als „in meinem Interesse“ oder als graue Theorie. Was ich als nützlich für mich halte, das ist „gut“. Die Herstellung dieser Verbindung ist menschlich. „Gut“ als graue Theorie - das ist die Welt der Philosophen (oft in völliger Entfremdung von der Welt). Lassen wir sie dort. Leider sind ihnen viele Menschen und Führer nachgelaufen und haben so viel Leid und unzählige Tote verursacht. Vielleicht finden wir einen anderen, einen menschlicheren, einen liebevolleren Weg?
In ähnlicher Weise gilt das für die Begriffe „progressiv, fortschrittlich, modern, Neuzeit, …“ und „rückständig, reaktionär, hinterwäldlerisch, ...“. Diese Form der Bewertungen streifen wir für unsere Überlegungen, für unser Nachdenken ab und legen sie beiseite. Sie sind nur eine Sonderform von „Gut“ und „Böse“. Wir können alle diese Kategorien später immer wieder hervorholen, falls wir sie dann noch für sinnvoll halten.

In diese Kategorie fallen auch Begriffe wie „rechts“ und „links“, „sexistisch“, nationalistisch, extremistisch, chauvinistisch, faschistisch, rassistisch und viele andere mehr. Wir benutzen sie eigentlich nur, um jemanden abzustempeln und abzuhaken: „Mit Dir rede ich nicht mehr, denn es ist sowieso sinnlos“. Es ist zwar sehr mühsam, sich mit manchen dieser Ansichten auseinanderzusetzen, aber ohne Beschäftigung mit diesen Gedanken werden wir sie nicht verstehen, nicht sinnvoll einordnen und gegebenenfalls überwinden. Es mögen ja auch wertvolle Elemente darunter sein. Wer weiss?
Mit dem Werkzeug der Moral schaffen wir viele Tabus. Was wir als moralisch negativ einstufen, mit dem dürfen wir uns nicht verbinden, darüber dürfen wir nicht nachdenken, dürfen dem unseren Geist nicht öffnen, dürfen nicht darüber reden und dürfen damit auch nicht Anderen dafür eine Plattform geben. Über etwas nicht reden dürfen, bezeichnen wir heute als „Tabu“. Denken und Nachdenken erfordern Sprache. Und wenn wir über Gedanken oder Zugrundelegungen, Voraussetzungen, Folgerungen nicht reden dürfen, dann können wir uns nicht darüber klar werden, wie realitätsnah oder -fern unsere Vorstellungen sind und können uns nicht mit ihnen auseinandersetzen, um sie auch gegebenenfalls zu überwinden. Wir müssen und wollen mit Tabus brechen!
Tabus sind Grenzen und zumindest Männer wollen diese überschreiten.


2. Wir koppeln mal unsere Erkenntnis von dem Eifer ab, alles gleich verändern zu wollen, woran wir uns stossen. Wir wollen bewusst zunächst einfach nur verstehen, was mit uns und um uns herum geschieht. Das Verändern lassen wir sein oder wir verschieben es zumindest auf später. Ob etwas durch Veränderung auf dieser Welt wirklich besser wird, ist ja doch sehr nachdenkenswert. Sie werden da später sicher noch Interessantes (nach-)denken.
Auch die Erlangung dieser Sichtweise, hat mich lange Zeit gekostet. Je jünger Sie sind, desto länger werden Sie brauchen, diese Denkweise zu verstehen. Je älter Sie sind, desto eher wird Ihnen die Kraft fehlen, Veränderungen zu schaffen und desto wahrscheinlicher werden Sie schon Erfahrung haben mit dem Hinnehmen von Tatsachen und Lebensbedingungen nicht verändern zu können. Trotzdem, auch hier sollten Sie sich ruhig einige Tage Zeit lassen, diesen Gedanken (nicht gleich alles „Negative“ ändern zu wollen) in Ihren Lebensprozessen Einlass zu gewähren. Und bitte verfallen Sie auch nicht in den Wahn, im „Negativen“ gleich das „Positive“ zu suchen, nur damit Sie das „Negative“ nicht als so negativ empfinden. Zumindest im Nachdenken wollen wir uns dem Leben stellen, auch den Schattenseiten. Halten Sie es bitte aus. (Nur im Leben lernen wir fürs Leben, aus Büchern (und hier haben Sie ja zumindest einen Text vor sich) lernen Sie nur für Ihr inneres Archiv (und das in erschreckend geringem Masse). Richtig gelernt habe nur ich mit diesen Notizen. Ihnen wünsche ich es, aber Sie haben es sehr viel schwerer und falls Sie es wirklich wollen sollten, wird es Sie Jahre bis Jahrzehnte Ihres Lebens kosten.


3. Wer hat hier eigentlich Recht? Natürlich Sie! Wenn Sie also der Ansicht sind, dass Beobachtungen und Gedanken, die ich hier schreibe, nicht stimmen, dann gratuliere ich Ihnen. Sie haben damit eine eigene Position entwickelt. Und das ist von mir absolut so gewollt. Das macht Sie zu einer Person, zu einem Menschen (im Gegensatz zu den meisten Tieren (sicher nicht allen!)). Aber denken wir weiter. Recht hat man, wenn man normenkonform (rechtskonform, gesetzeskonform) denkt und handelt. Dann hat man ein Recht darauf, dass man Recht hat und dieses Recht einklagen kann. Das nützt nur (gar) nichts. Auch da gibt es Interessantes nachzudenken. Wir wollen uns und unsere belebte und tote Umwelt verstehen. Da gibt es kein „Recht haben“, sondern da gibt es nur „suchen und fragen und vielleicht entdecken und dann den Versuch, das Entdeckte zu beschreiben, für mich nachdenkbar und für andere nachvollziehbar, verstehbar zu machen“. Das ist ein anspruchsvolles Ziel. Ihnen das so gut wie möglich zu ermöglichen, hat mich viel Zeit und Nachdenken gekostet. Das habe ich sehr gern getan und es hat mir viele Erkenntnisse geschenkt. Diese Notizen sind nicht zum Durchlesen da, sondern zum Nachdenken, vor allem für Männer, ausnahmsweise auch für Damen.
Wenn Sie anderer Ansicht sind als ich, könnte es aber auch sein, dass Ihre Intuition Sie einfach nur aufs Glatteis geführt hat. Ihre Intuition wird Sie in die innere Abgrenzung führen, wird Ihnen suggerieren, dass der (also: ich) gar nicht Recht hat und dass Ihre abweichende Ansicht richtig ist. (Kam ich auf Reisen an einem Lokal vorbei mit diskutierenden jungen Menschen. Draussen stand gross dran als Thema: „Du hast Recht(e)!“ Ich hatte aber Karten für eine andere Veranstaltung und musste daher vorbei gehen. Das löste in mir Fragen aus und ich schrieb an den jungen Verantwortlichen und stellte seine Ansicht in Frage. Seine Antwort: Das könne ich doch so gar nicht sagen, weil ich ja gar nicht mit ihm diskutiert hätte. Meine Antwort: Entschuldigung. Sie haben Recht. Das kann ich so nicht sagen. Nachgedanke: Ich hatte ihn in Frage gestellt, also rechtfertigte er sich (er bestand also darauf, dass doch er Recht habe und ich nicht). Ich erwartete eine Antwort auf mein zweites Schreiben, aber es kam keine. Ich hatte ihm ja Recht gegeben. Damit war er zufrieden. Nachgedanke: Er war zufrieden, weil er jetzt Recht hatte. Nur: Damit hatte er selbst in zwei aufeinanderfolgenden kleinen Handlungen seine grosse Aussage: Du hast Recht(e)! gleich zweimal widerlegt. Intuition! Ob er das wohl begriffen hat?)


4. Als Folge der Grundentscheidung unserer Gesellschaft „Jeder ist frei, sich mit seinem Willen zu entscheiden und sein Leben zu bestimmen und damit ist er verantwortlich für alles, was in seinem Leben geschieht“, sind wir gewohnt, bei allen von uns mit „Minus oder Negativ“ verbundenen Ereignissen, nach einem Schuldigen zu suchen. Es ist irgendetwas nicht wunschgemäss gelaufen. Also muss der Schuldige gefunden werden. Und selber „schuldig“ sein ist etwas, was wir kaum noch aushalten können in unserer Gesellschaft. Denn „schuldig sein“ heisst Versagen, Schlecht sein, Böse sein, zu wenig Einsatz … Wir selbst empfinden uns plötzlich als wertlos und von Anderen glauben wir noch viel mehr, dass sie uns als wertlos empfinden. Schuld sein und Schuld geben sind furchtbar. Sie vernebeln uns das Denken dermassen, dass wir kaum noch zum Nachdenken in der Lage sind. Und wer schuldig gesprochen wird (medial oder persönlich oder vom Gericht) muss sich und den Anderen sofort und immer und überall beweisen, dass er doch eigentlich gar nicht Schuld ist, sondern... Dieser Tage machte es wieder der österreichische Altbundeskanzler Sebastian Kurz bei seiner Abschiedsansprache vor.

Also lassen wir es doch auch gleich sein. Aber ich sage Ihnen: Drei Monate Zeit sollten Sie sich mindestens nehmen, um das zu üben. Es ist wahnsinnig schwer, nicht gleich den Schuldigen zu suchen, allen zu beweisen, dass man selbst an nichts Schuld ist und wenn man doch Schuld bekommen hat, diese zu tragen. Selbst beschuldigt zu werden löst seelischen Schmerz aus. Schmerz löst aber wieder Schuldzuweisung aus. Wer mir weh tut, der ist Schuld. Das ist eine körperliche, eine intuitive Reaktionsform, der wir uns kaum entziehen können. Sie bestimmt unseren ganzen Körper und Geist. Am Ende von Beziehungen spielt diese Reaktion regelmässig eine wahnsinnig intensive Rolle. Du tust mir (seelisch?) weh, also bist Du Schuld. Der Beschuldigte spürt den genannten Schmerz und beschuldigt den Ersteren. Es bedarf schon viel Nachdenkens und Selbstkontrolle, wenn nicht Liebe, um diesen körperlich-intuitiven Mechanismus auszuschalten. Im täglichen Leben schaukeln sich beide nur immer weiter hoch. Wenn am Ende nicht der Tod steht, dann ist der Prozess doch ausgesprochen glimpflich ausgegangen? Meinen Sie, dass man das mit Gesetzen verhindern kann? Das ist einfach tierisch, menschlich. Das ist einfach Biologie.

Vieles, was wir auf den folgenden Seiten bedenken, wird in Ihnen sofort die intuitive Reaktion auslösen: Der gibt mir Schuld. Das muss ich abwenden. Und schon sind Sie mit Gefühl und Verstand auf Abwehr geschaltet und dann ist Ende mit Nachdenken. Ich will weder Ihnen, dem Ehepartner, dem Freund, der Freundin, dem Mann oder der Frau, noch dem Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, dem Diktator oder dem Journalisten, dem Täter oder dem Opfer Schuld geben. Wir wollen einfach nachdenken und uns über Mechanismen klar werden (die wir in der Regel von aussen gesetzt bekommen und eben nicht oder nur zu einem kleinen Teil selbst beeinflussen können). Diese Reaktion in Ihnen zeigt uns aber eben auch, dass wir gar nicht so einfach mal auf „Nachdenken“ umschalten können. Nachdenken ist ein Mysterium, ein Geheimnis. Nachdenken können ist auch ein Geschenk, selbst wenn wir nicht wissen, von wem. „Nachdenken“ können wir genauso wenig anschalten wie wir das „Denken“ ausschalten können („Denke mal an nichts!“). „Nachdenken“ und „Denken“ sind genau so relativ wie unsere Vorstellungen von „gut“ und „böse“. Wir können die Grenze gar nicht definieren. Wir können gar nicht sagen: „Bis hierher habe ich gedacht. Jetzt denke ich nach.“ Oder umgekehrt. Im täglichen Fragen stellen und sich selbst hinterfragen wird sich im Denken auch immer wieder Nachdenken ereignen. Nachdenken ist ein Abenteuer. Wenn ich Ihr Denken oder Nachdenken in Frage stelle, dann gehört das zum Fragen stellen. Ich darf mir nicht anmassen zu sagen, wann Sie nachgedacht haben und wann nicht. Nehmen Sie diese Frage bitte nie als in Fragestellung Ihrer Person, sondern immer nur als Infragestellung Ihres Handelns und Ihrer Ansichten. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Sie dürfen (ja, Sie werden es sogar müssen) mir Fragen stellen, mich in Frage stellen, meine Ansichten und Gedanken. Auch in mir sind Denken und Nachdenken nicht klar voneinander abzugrenzen.

Wir werden es später noch eingehender bedenken: Man könnte hier sogar die Frage stellen, ob denken und nachdenken eine Verbindung in die Transzendenz aufweisen? Vielleicht sind wir beim Denken und Nachdenken gar nicht allein?


5. Keine Regel ohne Ausnahme. Ausnahmen bestätigen häufig die Regel. Das ist ein Grund, warum ich später in der leblosen Welt von Naturgesetzen spreche (wie wir das gewöhnt sind, obwohl interessanterweise, auch das ein Vorurteil ist. Sie werden staunen!), aber in der lebenden Welt von „biologischen Naturregeln“. Je weiter das Leben in seiner Entwicklung fortschritt, desto freier wurde es. Freiheit bedeutet die Möglichkeit, eine Ausnahme zu schaffen oder selbst eine zu sein. Und doch zeigt die Ausnahme, dass die Regel gilt. Allerdings ist das auch eine Folge unseres sehr beschränkten Weltbildes. Das könnte man auch ganz anders sehen und Ausnahmen würden dann gar keine Ausnahmen mehr sein, sondern sie wären völlig normal. Nachdenken ist wirklich spannend, weil Sie plötzlich ganz ungewöhnliche und doch sehr lebensnahe Gedanken bekommen. Lassen Sie sich überraschen. Ich wurde und werde immer wieder überrascht.


6. Alle hier geschriebenen Feststellungen und Schlussfolgerungen sind Vorurteile. Sie bedürfen der Überprüfung und Bestätigung, immer wieder, bis ans Ende unserer Tage, denn die Welt um uns verändert sich laufend und bleibt doch immer gleich.


7. Mathematische Logik und biologische Logik sind nicht konform. Wenn wir eine Beobachtung in eine Richtung gemacht haben, dann ist damit nicht automatisch gesagt, dass die Gegenrichtung auch stimmt und dass wir rückwärts gedacht, auch dort wieder ankommen, wo wir gestartet sind. Unser Leben verläuft nicht mathematisch oder wie der Lauf einer Maschine, sondern Leben ist viel komplexer, viel beziehungshafter als die Mathematik (zumindest wünsche ich Ihnen das). Die Mathematik und damit die Informatik mit allen ihren vielen verschiedenen Anwendungen sind zunächst einmal Theorie mit Zahlen. Sie vermögen unser Leben teilweise zu erfassen. Die Informatik schafft ein allenfalls möglichst genaues Abbild der Wirklichkeit. Mathematik und Informatik sind Theorie und Praxis in Einem und bei jedem Vorgang, den wir in Zahlen erfasst und definiert haben, bleibt uns nichts Anderes übrig, als zu erforschen, wie nahe an der Realität unsere Zahlen, unsere Formeln, unsere geometrischen Figuren, unsere formelhaften Definitionen tatsächlich sind. Selten werden Theorie und Praxis deckungsgleich übereinstimmen. Im täglichen Leben und Arbeiten gehen wir aber in der Regel intuitiv davon aus, dass in der Mathematik und Informatik Theorie und Praxis deckungsgleich sind. Informatiker müssten also (!!!) zu allererst Philosophen sein. Die meisten machen sich aber gar keine Gedanken über ihr Weltbild oder wehren sich aktiv gegen solche Vorstellungen. „Wir digitalisieren alles! Das ist die Zukunft!“ Sie kennen die weite Entfernung zwischen Theorie und Praxis? Dem lohnt es sich, nachzusinnen. Dazu später...

(Einfaches Beispiel: Es fährt jemand über eine Kreuzung und wird geblitzt. Ätsch, sagen wir, bist bei „rot“ gefahren. Stimmt aber nicht. Die Kamera löst auch bei Temposünden aus. Unser Fahrer war einfach zu schnell gefahren. Rückwärts gibt es zwei Möglichkeiten, wo wir vorwärts nur eine hatten. Komplexeres Beispiel: Wenn wir sagen „Frauen sind lieb“ oder „Männer sind stark“, dann meinen wir das so wie es gesagt ist. Dass aber nicht alle Frauen lieb sind oder Männer nicht nur stark sind, heisst nicht, dass diese Aussagen automatisch im Grundsatz falsch sind.) Wir führen keine mathematischen Beweise in Richtung und Gegenrichtung durch. Wir denken zwar logisch, aber für uns ist Leben grösser und umfassender als mathematische Logik. Einzelne Tatsachen, die unsere Annahmen unterstützen, sind noch lange keine Beweise für die Richtigkeit (oder Falschheit) unserer Annahme. Daher stellen wir das Leben auch nicht unter ein „Prinzip“ oder erwarten, dass wir das Leben mit einem „Naturgesetz“ erfassen und erklären können. Aber wer weiss?
Nachdenken heisst auch offen für alles zu sein und nicht von vorneherein vorzugeben, was herauskommen darf und was nicht. Ja, wir wagen es nicht einmal, neutral einfach vorauszusagen, was da auf uns zukommen mag. Nachdenken heisst ausbrechen aus seinen täglichen Denk- und Leitstrukturen, die der Intuition folgen. Nachdenken heisst seine intuitiven Lebens- und Denkvorgänge verlassen. Wer immer nur irgendeinen Bildschirm vor sich hat oder Stöpsel im Ohr oder das Telefon abnimmt oder e-mails und andere Nachrichten annimmt und auch wer nur zielstrebig sein Ziel verfolgt, hat kaum Chancen, nachzudenken.
Nachdenken heisst, sich selbst und seine Ansichten und Positionen zu relativieren oder relativieren zu lassen, also in Frage zu stellen. Ich verlasse die Position „Ich habe Recht!“ und „Meine Ansichten sind richtig!“, denn die Folge ist ja sonst doch immer wieder: Weil ich Recht habe, hast Du nicht Recht und deshalb sage ich Dir, wie Du richtig lebst und dass Du Dich ändern musst. „Ich habe Recht“ und „Du bist Schuld“ oder „Der Andere ist Schuld“ sind Zwillinge.
Natürlich ist nachdenken auch querdenken. Aber wer querdenkt, muss ja noch nicht gleich querschlagen. Wahrscheinlich wäre es sonst oft auch eine Form von Selbstaggression. Das muss nicht sein.
Nachdenken führt zur Bildung neuer Synapsen und Gedankenbahnen im Hirn. Es ist nicht sicher, ob wir das wesentlich selbst steuern können. Spielen hier Zufall, das allgemeine Sein und/oder Gott und/oder die Evolution eine von uns unabhängige Rolle?
Wir gehen nicht davon aus, dass das, was wir sehen, alles ist, was ist. „Ich sehe nichts“, heisst einfach nur, „ich sehe nichts“. Die Schlussfolgerung „Da ist nichts“ ist nur eine der Möglichkeiten. Dort könnte doch noch etwas sein, etwas, was wir mit den angewandten Mitteln (noch?) nicht erkennen oder erfassen oder etwas, was wir gar nicht erfassen können. Auch so etwas wäre ja denkbar (Transzendenz z.B.). Auch dazu später ...
Wir beobachten den Menschen (und damit natürlich auch uns selbst), wie er lebt und denkt und empfindet und versuchen, ihn zu verstehen. Die Gedanken, die uns bei diesem Prozess kommen, sind Interpretationen.


8. Jeder darf sich in Freiheit äussern und sollte seine (abweichende) Ansicht bilden und vertreten. Fans und Likers machen sich zu Statisten. Dessen sollten Sie sich bewusst werden. In der Pubertät ist das erlaubt.


9. Ich gebrauche hier das Wort „Verstand“ und nicht „Geist“ oder „Vernunft“ (obwohl alle 3 manches übereinstimmend ausdrücken), um zu betonen, dass wir uns mit unserem Denken allein im materiellen Raum dieser Welt bewegen. Wir denken, begreifen und drücken hier Immanentes aus. Somit gebrauchen wir den Begriff ähnlich wie Kant. Das Jenseits ist zwar sehr interessant, aber für uns nicht von innen erreichbar. Wir werden auch darüber nachdenken, aber sind uns darüber im Klaren, dass das Schreiben darüber nur Spekulation sein kann.

Ich will niemandem Angst machen, weder Männern noch Frauen. Ich will niemanden deprimieren. Ich will mit denen zusammen, die bereits leiden, nachdenken, warum es so gekommen sein könnte, wie es kam. Vielleicht findet der eine oder andere dann doch einen günstigen Ausweg aus der Lage? Ich will mit denen, die ins Leben starten, erforschen, was auf sie zukommen könnte, damit sie sich darauf vorbereiten können (falls so etwas überhaupt möglich ist). Ich will denen, die viel mehr Glück als Andere im Leben haben, zurufen: Geniesst Euer Glück! Ob man etwas machen kann, das Glück zu erhalten oder dem Pech auszuweichen, weiss ich nicht. Ich habe es versucht und bin immer wieder gescheitert. Wir sind sowohl aktiv wie passiv, Täter wie Erleidender, dem Zufall (wer oder was immer das auch sei) ausgeliefert. Glück muss man geniessen, wenn man es hat. Die Feste muss man feiern wie sie fallen. Was überhaupt ist für Sie Glück?
Ohne Moral und noch viel mehr ohne Zweck betreiben wir sozusagen philosophische und anthropologische Grundlagenforschung. Die ist wichtig, nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der persönlichen Entwicklung. Jeder braucht diese Forschung für sich, um seine Identität und seine Position in der Gesellschaft zu finden und seine Beziehungen zu entwickeln. Das können Sie nicht in Form von „Wissen“ von Anderen übernehmen und lernen, auch nicht von mir. Wie wir leben, hängt sehr davon ab, wie wir über diese Fragen nachgedacht haben. Wer es nicht tut, wird zum Spielball und Konsumenten degradiert im Vergleich zu denen, die nachdenken. Wir denken viel zu wenig nach und sind viel zu unkritisch. Aber nachdenken tut auch weh, weil wir uns damit selbst in Frage stellen (sozusagen eine zweite Pubertät). Wir müssen fast fragen, ob jemand wirklich nachdenkt, wenn es ihm nicht weh tut. Denkt er dann nicht doch vielleicht in den alten liebgewordenen Bahnen? Nachdenken kostet viel Energie, bedeutet, die Spannung zwischen „So möchte ich das“ und „So ist es“ auszuhalten. Nicht gleich ändern!
Was wird sich ändern durch das Nachdenken? Nichts! Wir können nur leben, wie wir leben. Wir können nicht aus unserem Leben heraustreten. Aber wir werden nachgedacht haben und werden uns und unserer Position im Leben bewusster werden, werden besser wissen, warum wir so sind, wie wir sind. Wir werden selbstkritischer und kritischer werden. So werden Sie ein „Ich“, eine Persönlichkeit.
Beobachten Sie sich und die Menschen um sich herum. Denken Sie nach, was mit Ihnen selbst und mit den beobachteten Menschen passiert. Die banalsten Dinge sind es wert, darüber nachzudenken. Deshalb werden uns oft der menschliche Körper und unsere Beziehungen beschäftigen. Sie sind die wichtigsten Dinge in unserem Leben. Keine Scheu!
Es muss uns aber auch klar sein, dass wir damit eine unsichtbare Barriere zwischen uns und die Anderen bringen. Menschen lieben direkte, unbeeinflusste Beziehungen. Beobachtung macht das Gegenüber und auch mich selbst zum Objekt. Beziehung findet aber am wertvollsten statt zwischen zwei Subjekten. Bleiben Sie nicht stehen beim Nachdenken, leben Sie liebevolle Beziehung. Unser Nachdenken ist nicht Selbstzweck. Nachdenken ist nicht das Leben!
Menschen denken und verstehen sich selbst grundsätzlich als „gut“. Anders geht es kaum. Ein Leben in der Grundhaltung „Ich bin schlecht“ ist schwer möglich (vielleicht krank?). Dann verstehe ich mich zumindest als Opfer. Dem Grundgedanken der Philosophen und Religionen der mindestens letzten 3000 Jahre nach, sind „gut“ und „böse“ etwas von aussen Gegebenes, etwas Absolutes. Da wir aber keinen Sinn für Ausserirdisches, für Jenseitiges, für Transzendenz, für das „Absolute“ haben, haben wir eigentlich auch keine Vorstellung von „gut“ und „böse“. Wir definieren beides selbst. Und wie definieren wir es selbst? Ich bin „gut“ und was ich denke, fühle und handele, das ist „gut“ und noch viel mehr, was mir nützt, ist „gut“ und alles Andere um uns herum ist dann folgerichtig „schlecht“, ist „böse“. Damit verbunden ist auch die Vorstellung von Recht und Unrecht. „Ich habe Recht“ und „Du bist im Unrecht“ ist so intuitiv in unsere Wertvorstellung eingebaut, dass in aller Regel diese Einstellung unser Handeln bestimmt, noch ehe wir irgend einen Gedanken gefasst haben. Kaum wurden wir kritisiert (im Unrecht vermutet), beginnt schon unsere Abwehr, unsere Erklärung, warum wir doch im Recht sind. Da braucht es keine Sekunde Zeit. Damit belügen wir uns selbst, weil wir uns selbst bestätigen, dass wir „gut“ und „im Recht“ sind. Die Anderen sind damit automatisch „böse“ und „im Unrecht“. Wir bestimmen damit auch, dass unsere egoistischen Ziele, unser Selbsterhaltungstrieb etc. „gut“ sind. So haben wir auch die perfekte Berechtigung, uns gegenüber den Anderen durchzusetzen. Und so haben wir den wunderbaren Stoff für Krimis: Die Guten jagen die Bösen und wir sympathisieren natürlich mit den Guten. Und der Böse, der Andere, wird bestraft oder kommt um. Und was noch viel wesentlicher ist: Unser Leben wird zum Krimi! Wir „Guten“ jagen die „Bösen“. Oh, sind wir gut! Oder?
Platons absolutes „Gutes“ war natürlich ein gefundenes Fressen für jeden denkenden Menschen. Der Selbstbetrug „Ich suche das Gute, also bin ich gut“ war ja ein wunderbares Schutzschild für sich selbst, zu vergessen, wie egoistisch wir doch selber sind. Auch Kants „kategorisches Imperativ“ gehört in diese Klasse.

Einen Anspruch habe ich nicht geschafft, umzusetzen: Ich wollte gerne meine Positionen bestimmen und darlegen, ohne Gegenpositionen und damit Gegner zu benennen und zu beschreiben. Und natürlich kommen die Gegenpositionen und Gegner bei mir und immer im Leben schlecht weg. Sonst hätte ich ja ihre Positionen übernommen und sie wären gar keine „Gegenpositionen“ mehr. Aber die Bestimmung von Positionen in dieser Welt ist relativ, ist immer auch bezogen im Verhältnis zu Anderen. Wahrscheinlich geht es gar nicht anders oder wie gesagt, ich habe es nicht geschafft. So muss ich Sie also bitten, wenn Sie eine andere oder sogar eine konträre Position vertreten oder einnehmen, dann verzeihen Sie mir bitte meinen Eifer und meinen Enthusiasmus und meine Arroganz im Gedankengefecht. Lachen Sie lautschallend über meinen Unsinn und denken Sie weiter nach. Wenn uns jemand persönlich in Frage stellt, und das tue ich mit meinen vielen Fragen und Ansichten ja, dann empfinden wir denjenigen als arrogant. Wenn Sie das nicht so empfinden würden, wäre das ein Zeichen, dass Sie schon viel nachgedacht hätten. Sie müssen mir wegen meiner Arroganz böse sein, aber ich bitte Sie, verzeihen Sie mir meine Arroganz.
Ich betrachte den Menschen als Mensch, nicht von aussen. Auch ich bin Mensch und kann nicht aus meinem Menschsein heraustreten. Meine Gefühlswelt als Mensch und mein Nachdenken bestimmen mich.
Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie in Frage stelle, obwohl Sie Professor sind an einer renommierten Universität oder Chef eines grossen Betriebes mit vielen Angestellten oder Präsident eines grossen und einflussreichen Landes. Denken Sie bitte immer daran, dass Sie einfach die Webseite wechseln können, dass Sie sich immer einfach Ihre eigenen Gedanken machen können, dass Sie abschweifen können. Schluss mit dem lästigen Nachdenken. Schluss mit dieser Konfrontation mit Ihrem eigenen Sein. Die Zeit, die Sie dem geopfert haben, verbuchen Sie bitte unter der Rubrik „Lehrgeld“. Wer kritisch selbst erleben und denken will, zahlt viel Lehrgeld. Einen grossen Teil meines verdienten Geldes habe ich als Lehrgeld bezahlt. Ich werde Ihnen nicht nachspüren lassen, keine Daten von Ihnen sammeln, Sie auch nicht dauernd mit Newslettern und Werbung vollmüllen. Sie sind Ihr eigener Chef über Ihre Gefühle und Gedanken. Fühlen Sie sich bitte frei.


Der freie Mensch (12/2021)



In den letzten sechs Jahrhunderten wurde zumindest die westliche Gesellschaft von der Ansicht durchdrungen, dass der Mensch frei sei und sich selbst entscheiden könne, wie er leben wolle. Hier könnten wir eine Reihe von Philosophen zitieren. Der Mensch sei dabei weder von Eltern noch von Genen noch von anderen Faktoren abhängig. Er begebe sich nur in die Abhängigkeit aus eigenem Willen. In der Kindheit, der einzigen Phase, in der Abhängigkeit nicht zu umgehen ist, werde der Mensch von seinen Eltern vor allem falsch beeinflusst oder deutlicher benannt: „geprägt“. Damit verbunden ist, seit es Philosophen gibt und seit unser kritischer Verstand zum Massstab für „richtig“ und „falsch“ wurde, dass wir geradezu betrunken sind von der Erkenntnis, dass unser Verstand das höchste Gut dieser Erde sei und dass wir mit ihm die ganze Welt in Besitz nehmen könnten und dass es damit ein gutes Ende nehmen müsste und würde.
Die Erfahrungen mit den zwei Hälften des 20. Jahrhunderts ( 1. der kriegerischen und 2. der besitzergreifenden und geniesserischen) und dem Beginn des 21. lassen mich diese Ansicht hinterfragen. Deshalb denken wir kritisch nach. Und trotzdem! Was haben wir mehr, als unseren kritischen Verstand zum Nachdenken? Doch, wir haben mehr! Dazu gibt es auch sehr interessante Erkenntnisse aus der Hirnforschung, die uns viel Grund zum Nach- und Umdenken geben. Wir werden das später noch intensiv durchdenken.




"belebt" und "unbelebt (12/2021)



Die Materie funktioniert nach Gesetzen (Naturgesetzen). Viel ist Physik und Chemie. Die Wissenschaft erforscht die Gesetze und die Technik wendet sie an. Kaum Einer kommt auf die Idee, dass man die Naturgesetze ändern oder negieren könnte, nicht einmal hinterfragen (oder doch?). Die Wissenschaft versucht, diese Regeln und Vorgänge so gut wie möglich zu verstehen. Die Technik wendet eben diese Regeln an und bewegt sich im Rahmen dieser Gesetze so fantasievoll wie möglich. Es ist ja schon enorm, was der Mensch auf diese Weise auf dieser Kugel und selbst auf dem benachbarten Trabanten schon alles verändert hat und auf anderen Planeten zu ändern beginnt.
Das Leben, die biologische Welt hat sich offenbar auf dem Boden der Materie entwickelt. Immer wieder stellt sich die Frage, was unterscheidet eigentlich „leben“ von „blosser Materie“ und dann auch noch von „tot“? Zunächst waren es wahrscheinlich nur komplexe chemische Kombinationen, die entstanden. Es kam Bewegung in die tote Welt und vieles mehr. Aber dann? Machen wir uns nichts vor. Im weiteren Verlauf reden wir von Teilung, Zeugung, von Gebären. Hier entsteht so etwas, wie ein Sprung, ein „missing link“, ein fehlender weicher, nahtloser Übergang. Leben birgt im Verhältnis zu toter Materie ein Geheimnis, das wir bis heute nicht gelüftet haben, falls wir es überhaupt klären und erkennen können. Geburt und Tod sind zwei Türen, die „Bekannt“ von „Unbekannt“ trennen und wir selbst kennen uns nicht, selbst in unserem eigenen Leben auf dieser Erde nicht. Bereits hier stellen sich zutiefst weltanschaulich-religiöse Fragen, die jeder Mensch für sich beantwortet und beantworten muss. Dazu kommen wir später noch.
Es entstand die Aufteilung in männlich und weiblich und die weitere Entwicklung ist die Entwicklung des Widerspruches 1+1=2 und doch 2=1. Das Leben entwickelt sich nicht mehr nur durch Teilung. Hiermit tritt die Widersprüchlichkeit in die biologische Welt. Und wir sehen, wie in der Welt der Tiere, die Version „männlich – weiblich“ in immer wieder neuen Versionen und Ausführungen durchgespielt wird. Jede Art entwickelt ihre eigene Form. Aber am Vorhandensein von „männlich“ und „weiblich“ wird in der Entwicklung meines Wissens nie ernsthaft gerüttelt. Dies ist eine Struktur in der lebenden Welt, die sich offenbar so sehr bewährt hat, wie z.B. das Gesetz der Anziehungskraft von Materie, die Schwerkraft in der toten Welt.
Warum haben das allgemeine Sein und/oder Gott und/oder die Evolution immer Weibchen und Männchen geschaffen? Auch wenn wir ihn nicht sicher kennen, wird das einen Grund haben, einen sehr erfolgreichen noch dazu. Warum soll dann ein Geschlecht von beiden weniger Mensch sein, weniger zur Art gehören, als das andere?
Entwicklung heisst offenbar Spannung, auch zwischen den Geschlechtern. Wir bauen die Spannung auf und bekämpfen sie gleichzeitig wieder durch Forderung nach Gleichheit, Gleichbehandlung etc. Wieder: Darüber später noch...
Damit verbunden ist auch die Entwicklung von Elternschaft und Übertragung von Fähigkeiten durch Lernen von den Eltern, durch Prägung von den Eltern, Entwicklung von sozialen Strukturen, von Familie.
Dann kommt es zur Entwicklung der Primaten und schliesslich des Menschen.
Wir können die Zeitachse der Entwicklung von Leben aus blosser Materie als Entwicklung von Freiheitsgrad, von Vielfalt, von Widerspruch auffassen. Die lebenden Wesen entwickeln im Laufe der Entwicklung der Tierwelt bis endlich zum Menschen Freiheitsgrade. Den wichtigsten nennen wir „Freien Willen“. Die Freiheit ist nicht sehr gross im Vergleich zum biologischen Körper und der Prägung. Die Freiheit des eigenen Willens muss immer wieder gegen die eigene Intuition (Die im Fluss des Körpers und der Prägung verläuft) gewonnen werden. Wir können frei sein, aber wir scheuen uns immer wieder vor der eigenen Freiheit, vor der Entblössung im Gegenwind zu allen Anderen im gleichen Fluss. Wir verhalten uns lieber körpergerecht, intuitiv, im Sinne von bequem und faul und gesellschaftsgerecht im Sinne von „mit dem Strom schwimmen“. So verlieren wir aber unsere Identität, unsere Freiheit zum eigenen Willen und zur Übernahme von Verantwortung.
In der unbelebten Welt gibt es den Begriff der Entropie. Energie bewegt sich immer vom höheren Niveau zum tieferen. Wenn man pfiffig ist, kann man die Energie dabei noch Arbeit verrichten lassen. So funktionieren ja viele unserer Antriebssysteme. Aber Energie fliesst nicht von allein in die Gegenrichtung. Die Entropie betrachten wir als ein Naturgesetz.
Leben funktioniert in die entgegengesetzte Richtung. Leben baut Spannung auf. Lebende Zellen setzen eine Grenze und bauen eine Spannung von innen nach aussen auf. Sterben die Zellen, geht diese Spannung verloren und die Entropie wird wirksam.
Je höher dieses Leben entwickelt ist, desto mehr Spannung zur Umwelt baut das Lebewesen (und die Gesamtheit der Lebewesen) auf. Natürlich gibt es auch die Langweiler, die schon im Leben der Entropie gehorchen, die (Energie-)Verbraucher, die bequem und faul von einem Energieniveau zum nächsttieferen fliessen, fast schon leblos, obwohl sie noch leben. Aktives Leben aber baut Spannung auf und wirkt daher entgegen der Entropie. Das ist eine biologische Naturregel. Das ist ein Charakteristikum von „leben“.
Leben entwickelte sich wahrscheinlich im Laufe von vielen Jahrmillionen. Je mehr das Leben dem Menschsein näher kam, desto widersprüchlicher wurden das Individuum und die Gesellschaft der Individuen und desto bewusster wurden sich die Individuen ihrer Individualität. Menschsein heisst unter vielem Anderen „widersprüchlich sein“ und „sich seiner selbst bewusst sein“. Sich seines Menschseins bewusst zu sein, heisst, getrennt von der Welt und den anderen Menschen in der Welt zu sein, aber doch in der Welt. Diese Trennung verursacht Schmerz, den der Arzt nicht mit Schmerztabletten lindern oder mit Schlaftabletten vergessen machen kann. Auch der Psychiater kann diesen Schmerz nicht wegnehmen, nicht einmal ein Seelsorger. Es gibt viele Menschen, die diesen Schmerz weg haben wollen und viele, die anderen versprechen, den Schmerz tatsächlich wegzumachen (Politiker, Ärzte, Psychiater, Theologen, Religionsführer, Werbefachleute, Eltern...). Aber so sehr sie Macher sind, gute Ideen haben oder sonst wie geschickt sind, sie schaffen das nicht. Sie haben gar keine Chance, das zu schaffen. Das Menschsein ist von aussen (vom allgemeinen Sein und/oder Gott und/oder der Evolution) gegeben und der (Trennungs-)Schmerz damit auch. Das sollten wir aus der Geschichte der letzten Jahrtausende lernen. Unsere Ansprüche sind nicht zu hoch. Sie sind einfach nicht der Realität angemessen. Nicht genug nachgedacht!
Folglich hat es auch keinerlei Sinn, gegen diese Trennung und den damit verbundenen Schmerz anzukämpfen, den Anderen für diesen Schmerz verantwortlich zu machen und ihn dessen zu beschuldigen. Dieser Schmerz gehört zur realen Welt und ist nicht zu beseitigen. Wir können ihn allenfalls gemeinsam ertragen. Vielleicht wird er damit erträglicher?

Wir werden noch sehen, wie sich diese Trennung in den verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereichen von uns Menschen auswirken wird, in der Familie, in dem, was wir „Erziehung“ nennen, in der Politik, in der Wissenschaft, in der Medizin, Kunst und Kultur, ja sogar im Gebrauch von Sprache und Mathematik.

Welchen Sinn sollte unser höchst entwickeltes Gehirn denn haben, wenn nicht den, nachdenken zu können und sich seiner selbst, des Anderen neben mir und der Welt um mich herum, bewusst zu werden? Könnte es sein, dass das allgemeine Sein und/oder Gott und/oder die Evolution diese Entwicklung vor hatten? Sehr wahrscheinlich sind wir doch auf dieser Erde, weil nicht wir selbst das wollten (wie denn auch?), nicht einmal unsere Eltern (obwohl sie sich Kinder wünschten), sondern weil ein Anderer das wollte. Der oder die Andere wollte nicht nur, dass wir hier sind, alleine, sondern eine Hülle und Fülle von anderen Lebewesen mit uns. Als solch Einer kommen ja nur die unpersönliche Evolution oder das allgemeine Sein und/oder Gott in Frage, wer sonst?
Offenbar wollten und wollen die Evolution und/oder das allgemeine Sein und/oder Gott, dass sich das Leben auf dieser Erde in vielfältigster Weise entfaltet. Aber mit der Erde und unserer Umgebung haben sie uns natürlich auch eine Vielzahl von Bedingungen gegeben, an die wir als entfaltete Menschen uns anpassen müssen und die wir nicht umgekehrt ohne Folgen uns anpassen können.

Ich lade Sie wieder ein, an dieser Stelle weiter nachzudenken.