Chronisch obstruktive Lungenkrankheiten

(COPD und Asthma)

1.1. Wie geht es los? (3/2020)


Was ist Krankheit eigentlich? Natürlich können wir jetzt zur WHO gehen und uns dort allgemeine Definitionen holen. Nein, uns interessieren nicht die allgemeingültigen Prinzipien, sondern was Krankheit in Bezug auf uns und unsere Mitmenschen bedeutet. Da stellen wir fest, dass der Begriff „Krankheit“ sehr unterschiedlich gefüllt wird, je nach Kultur, je nach Alter, je nach Geschlecht, je nach Interessenslage, je nach bildlicher Darstellbarkeit oder Messbarkeit der Beschwerden im Gegensatz zu Gefühl im Körper bei fehlender Messbarkeit und anderem.


Infektionskrankheiten sind Kampfzustände. Der menschliche Organismus kämpft gegen ein Heer kleinster Gegner. Sucht, Übergewicht, Diabetes mellitus Typ II, Burnout, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), sind zu grossen Teilen Ausdruck von Dummheit, von unangepasster (unmenschlicher) Lebensweise, aber vielleicht doch nicht immer? Depression ist oft eine Fehlbeurteilung geistiger Kampfzustände. Echte Krankheiten? Asthma? Chronische Bronchitis? Rheuma? Bipolare psychotische Störungen? Allergien? Herzinfarkt? Zerstörte Nierenfunktion, Demenz? Teilweise sind sie echt. Es hat den Anschein, dass auch Krankheit diesen doppeldeutigen oder sogar mehrdeutigen Charakter hat, der uns Menschen so eigen ist und der daher alle uns betreffenden Dinge und Prozesse quasi infiziert. Wenn ein Arzt nicht auch Philosoph ist, also nachdenkender Mensch, werden Sie als Patient wahrscheinlich kaum mehr Nutzen als Schaden von ihm haben.

Beginnen wir vorne, zeitlich vorne. Den Beginn festlegen zu wollen, scheint mir vermessen. Dann müssten wir den Anfang wohl an den Anfang des Lebens stellen, an den Übergang von leblosen Strukturen zu lebenden Zellen als kleinsten Einheiten von Leben. Allerdings ist auch dieser Übergang diskussionsfähig, da es Zwitter gibt, wie z.B. die Viren. Denken wir wieder daran, wenn wir bei Lebewesen, insbesondere dem Menschen, Eindeutigkeit wollen, wenn wir Grenzen setzen wollen zwischen „ist“ oder „ist nicht“, richtig oder falsch, dazugehörig oder nicht dazugehörig durch klare Definitionen, dann liegen wir in der Regel im Bereich von Theorie und nicht im Bereich von Realität. Wir führen Luftkämpfe, was die Wahrheit anbetrifft, leider meistens nicht, was uns Menschen anbetrifft. Da befinden wir uns dann mitten in der Realität mit zumindest Verletzten, fast immer aber auch Toten (manchmal sogar Millionen Toten). Die Widersprüchlichkeit des Menschen ist eine biologische Naturregel, gegen die schon so viele selbstbewusste Männer gekämpft haben. Keiner hat diese Regel bisher bezwungen. Denken wir an die Gaussche Kurve für Beschreibung von Leben, nicht das Säulendiagramm. (Ich bitte um Entschuldigung! Die unterschiedliche Sichtweise menschlichen Lebens an Hand dieser beiden mathematischen Bilder beschreibe ich in Kapitel 9, „Menschliches Zusammenleben“ meines lebenden Buches.) Zurück …

Nein, es scheint einen langen Evolutions- und/oder Schöpfungsprozess gegeben zu haben, in dessen Verlauf sich immer mehr, immer komplexere und immer festere genetische Strukturen gebildet haben, die Menschsein in seiner Einheit und in seiner Vielfalt bestimmen. So bilden diese genetischen Strukturen eine Art von Tier heraus, die wir „Mensch“ nennen und die sich miteinander fortpflanzen und daher immer wieder neue Nachkommen zeugen und ins Leben bringen kann. Zum Anderen schaffen aber eben diese Strukturen durch ihre Vielfalt von Mutationen, verschiedenen Ausführungen ein und desselben Gens (Allele) und die Gene umgebenden Strukturen (Epigene) eine Variationsbreite, die wahrscheinlich ebenso viele verschiedene Typen wie Menschen ermöglicht. Keiner gleicht dem Anderen ganz. Wo aber wollen wir in dieser Bandbreite eine Grenze zwischen „gesund“ und „krank“ definieren? Ähnlich wie bei „gut und böse“ in uns Menschen müssen wir wohl viel eher von einem breiten Graubereich ausgehen, der je nach Gen, je nach Prozess oder Zustand wieder anders zu beurteilen ist. (Wieder bitte ich um Entschuldigung! Die Besonderheit von „gut und böse“ finden Sie wieder hinten im lebenden Buch „Wie leben“. Aber das durchzieht das ganze Buch. Da gibt es viel zu lesen.) Gesundheit an sich gibt es nicht und Krankheit an sich auch nicht. Die Grenze definieren wir doch recht eigenwillig, recht willkürlich je nach unserem eigenen Gefühl, unserem eigenen Nutzen, unserer eigenen Interessenslage, je nach dem, ob wir es für uns selbst tun oder ob wir es für andere tun. Diese Grenze kann auch von Tag zu Tag variieren.

Dann kommen unsere überkommenen kulturellen Einflüsse aus Kultur, Volk, Religion, Familie, Erziehung, Schule, Bildung und vielem mehr dazu. Wieder definieren wir jeder „Gesundheit“ und „Krankheit“ je nach diesen erhaltenen Prägungen unterschiedlich. (Auch dazu hinten in „Wie leben“ mehr)

Nicht zuletzt kommen dann die gegenwärtigen Einflüsse von Klima, Wetter, Nahrung, körperlicher Bewegung, Arbeits- und Lebensweise, gesellschaftlichen Einflüssen und vielem mehr dazu.

Der Mensch mag zwar eine Wurzel in Afrika gehabt haben, aber er ist offenbar in Wellen über die Hunderttausende von Jahren immer wieder nach Eurasien ausgewandert und hat irgendwann und irgendwie sogar die Sprünge auf den amerikanischen und australischen Kontinent geschafft. Überall hat er sich den Lebensräumen angepasst. Das hat nicht nur in den täglichen individuellen Lernprozessen Platz gefunden, auch nicht nur in den von den jeweiligen Elterngenerationen in Form von Prägung weitergegeben Lebens- und Gewohnheitsstrukturen, sondern auch in Form biologisch (im weiteren Sinne: genetisch) fixierter Strukturinformationen. So haben sich Hautfarbe, Körperformen und vieles mehr entwickelt. Dazu gehört auch, dass sich genetisch eine Vielzahl von Konstitutionen entwickelt hat, die sehr unterschiedlich auf die äussere Umwelt reagieren.

Vieles spricht dafür, dass die obstruktiven Erkrankungen der Lunge zu wesentlichen Teilen vererbt werden. Bei einigen Asthmaformen ist das sehr deutlich. Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma werden als eine Einheit aufgefasst und „Atopie“ genannt. Hier ist die familiäre Häufung so deutlich, dass die Erblichkeit kaum bezweifelt wird.

Auch die Kombination von Allergien und Asthma im weiteren Sinne wird oft vererbt. Es kommen auch einzelne Asthmatiker vor, bei denen wir in der Familie keine weiteren Erkrankten finden, aber sie sind zahlenmässig in der Minderheit.

Schwieriger ist die Herstellung des Zusammenhanges bei den an chronischer Bronchitis Erkrankten. Aber auch hier lassen sich oft Verwandte mit ähnlichen Beschwerden finden. Früher wurde dem natürlich weniger Beachtung geschenkt. Die Tuberkulose stand noch im Vordergrund. Wenn man sich etwas Geduld nimmt und seine Patienten wiederholt sieht, kommt es nicht selten vor, dass plötzlich doch noch von erkrankten Vorfahren oder Familienmitgliedern berichtet wird. Indirekte Hinweise wie „chronischer Husten“ oder auch „verminderte Belastbarkeit wegen Kurzatmigkeit“ geben Hinweise. Die Dunkelziffer für das Vorliegen solcher Erkrankungen bei unseren Vorfahren wird vermutlich hoch liegen.

Unsere Wissenschaftler gehen heute beispielsweise davon aus, dass die Neigung zu Allergien und zu Asthma in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen habe. Wenn ich aber meine Patienten fragte, ob sie Familienmitglieder kennen, die lange oder immer gehustet haben oder die unter eingeschränkter Belastbarkeit litten (beispielsweise wegen Kurzatmigkeit oder sogar Atemnot), dann war die Zahl ungefähr doppelt so hoch, als wenn ich fragte, ob jemand in der Familie an Asthma oder chronischer Bronchitis (sprich: COPD) litt. Natürlich werden da auch noch einige herzkrank als Ursache gewesen sein. Aber die Herzerkrankungen sind eher die Erkrankungen der älteren Leute (also derer, die damals im Erkrankungsalter schon tot waren). Das Asthma aber ist die Erkrankung der jungen Leute, also derer, die noch eine Chance zum Leben hatten.

Einen „freien“ Willen haben manche Menschen ja auch noch. Also auch unser selbstbestimmter Umgang mit Gesundheit und Krankheit bestimmt, was „gesund“ und was „krank“ für uns ist.

Dagegen muten Definitionen der WHO, der Wissenschaft, der Politik und Wirtschaft geradezu theoretisch, abgehoben, allgemein und unwirklich an. Was für alle gilt, gilt meistens eher für niemanden. Was für „den Menschen an sich“ gelten soll, ist für den einzelnen betroffenen Menschen allzu häufig unmenschlich, unpersönlich, unzutreffend. Wo immer möglich, sollten wir solche Festlegungen meiden. Sie gehören nicht zum allgemeinen Wissen oder zum speziellen wissenschaftlichen Wissen, sondern sie gehören in den grossen Kreis willkürlicher Festlegungen, also theoretischer Annahmen. Herrscher, Regierungen, Administrationen, Partner in Dreiecksstrukturen (wie z.B. Versicherungen, siehe in „Wie leben“) sollten sich dieser Tatsache immer bewusst sein, wenn sie diese Festlegungen Menschen gegenüber anwenden. Eigentlich möchte man nur allzu dringend vor der Nutzung dieser Festlegungen warnen. Wir nutzen diese Festlegungen jedoch jeden Tag in vielfältigster Weise und so selbstverständlich, dass einem nur Angst und Bange werden kann. Es kann doch kaum einem Verantwortlichen auch nur annäherungsweise klar sein, was er da tut und fast immer über die Köpfe der Betroffenen hinweg für diese rechtsgültig tut?

So lebten unsere Vorfahren in einem Zustand von „gesund“ und „krank“, der oft gar nicht sicher zu bestimmen war. Die ganz offensichtlichen und sprachlich ausdrückbaren Zustände waren relativ klar. Dahinter spielte sich vieles ab, was die Betroffenen zwar fühlen konnten (Schmerz, Atemnot, Schwäche etc.), vielleicht auch beschreiben konnten, aber von denen oft nicht klar zu bestimmen war, ob das jetzt „gesund“ oder „krank“ war oder als solches empfunden wurde oder von anderen so angesehen wurde. Zeitliche Zusammenhänge wurden sicher eben so schnell wie wir es heute bei uns erleben, zu kausalen Zusammenhängen gedeutet. So ist es nicht verwunderlich, das die allermeisten Urteile eigentlich Vorurteile waren oder schlichte Falschannahmen. Das hat sich bis heute kaum geändert. Wenn unsere Wissenschaftler dann heute Studien machen und Vergleiche anstellen zwischen früher und heute, ist es egal, was für Zahlenresultate sie uns nennen. Sie können fast sicher nur falsch sein. Vielleicht ist die Wahrscheinlichkeit, dass qualitative Ergebnisse etwas häufiger stimmen, höher? Quantitätsangaben sollten wir wohl besser gar nicht erst versuchen, geschweige denn glauben? Bis heute hat sich in unserer Gesellschaft und Wirtschaft ja das Misstrauen von Gesunden gegenüber Kranken erhalten, dass diese ja gar nicht krank seien, sondern es nur vortäuschten, um irgendwelche Hilfen oder Vergünstigungen zu bekommen. („Beweise mir Deine Krankheit, sonst bezahle ich Dir keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder IV-Rente.“)

Viele Asthmatiker leiden in der Kindheit an einer Infektanfälligkeit, die sich ungefähr mit dem Eintritt ins Schulalter verliert. Im Nachhinein, wenn als Erwachsener schon das halbe Leben vorliegt und aufgerollt werden kann, ist die Anfälligkeit relativ leicht als Asthma auszumachen. Wenn ein Kinderarzt nur das Kind vor sich hat, ist die Unterscheidung von etwas gehäuften Infekten, aber noch normal und asthmabedingter Infektanfälligkeit kaum machbar. Die Grenze zwischen beiden ist ein breiter Graubereich, erst Recht, wenn in diesem Alter noch keine Atemnot, keine Obstruktion bemerkbar ist, sondern nur der entzündliche Anteil mit Husten, Schleim und gehäuften Infekten.

Früher, zu Zeiten hoher Kindersterblichkeit, werden die Asthmatiker sehr wahrscheinlich häufiger an Infekten gestorben sein als andere Kinder. So wurde man ihrer Anzahl gar nicht gewahr. Von denen, die das Kindesalter überlebt haben, haben viele selbstverständlich mit ihrer kurzatmigkeitsbedingten Einschränkung der Belastbarkeit gelebt, haben diese versteckt, so gut sie konnten, um ja nicht aufzufallen als unnormal. Ärzte gab es nicht und so gab es gar keinen Grund, über die Einschränkungen der Atmung oder den Husten nachzudenken. Wer hat damals nicht alles gehustet? Wer nicht konnte, war doch nicht krank, sondern faul. Also haben viele Asthmatiker ihre Atemnot versteckt, so gut sie konnten. Später gab es Ärzte, aber sie waren teuer. Erst seit den 1980iger Jahren setzte eine breite Versorgung der Bevölkerung und damit auch der Asthmatiker mit Ärzten ein. Klar, dass wir heute viel mehr Asthmadiagnosen stellen. So ist es schwer, heute einen einigermassen zutreffenden Vergleich zwischen damals und heute anzustellen. Man kann fast nur falsch liegen. Dann sollten wir solche Aussagen in wissenschaftsnahen Publikationen oder den Medien aber auch gar nicht erst glauben. Wir wissen es nicht und werden es auch nur sehr ungenau wissen können. Das ist eher eine Frage für Geisteswissenschaftler als für Naturwissenschaftler.

Schwieriger ist diese Betrachtung für Menschen mit chronischer Bronchitis oder wie man heute oft sagt, mit COPD, zu führen. Es gibt deutliche Hinweise dafür, dass sich hinsichtlich der Erblichkeit, des Umgangs mit der Erkrankung und dem subjektiven Empfinden Asthma und COPD recht ähnlich verhalten. Da die chronische Bronchitis (COPD) eine Erkrankung eher der zweiten Lebenshälfte ist, ist ein Zusammenhang zur Frage Erblichkeit mit Vorgenerationen schwerer herzustellen. Dann interferieren noch Einflüsse wie das Rauchen. Auch die Entwicklung einer COPD wird wesentlich bestimmt sein durch die ererbte Kondition der Lunge, später modifiziert durch äussere Einflüsse, unter anderem an dieser Stelle durch das Rauchen. Eine Konsequenz aus der Annahme der Erblichkeit wäre, dass der Start einer chronischen Bronchitis zunächst mit dem Rauchen gar nichts zu tun hat. Früher werden viele Menschen eher gestorben sein als sie ihre chronische Bronchitis überhaupt erleben konnten.

Häufig werden diese Erkrankungen bzw. Beschwerden auch als psychisch verursacht abgetan. Vererbung ist somatisch (körperlich). Ursächlich wären Asthma und chronische Bronchitis damit nicht psychisch bedingt. Diese Tatsache muss man sehr betonen, weil sie die heute gängigen Auffassungen in der Bevölkerung und breiten Arztkollektiven stark in Frage stellt.

Eine beliebte Fehleinschätzung ist auch, solche Beschwerden als durch Übergewicht oder Trainingsmangel oder das Alter oder eben das Rauchen verursacht anzusehen. Eine Einschränkung der Belastbarkeit durch Atemnot kann zwar teilweise durch Übergewicht im Sinne eines Co-Faktors verursacht sein. Beides lässt sich aber nicht selten mit ein bisschen Mühe und Gespür doch differenzieren.

1.2. Was verstehen wir unter Asthma und COPD? (3/2020)


COPD“ heisst zu gut englisch „chronic obstruktive lung disease“, also deutsch „chronisch obstruktive Lungenerkrankung“. Früher wurde dieser Begriff undifferenziert benutzt. Eigentlich hätte man die Buchstaben „en“ hinten anhängen müssen, denn eigentlich verwendete man den Begriff wie eine Gruppenbezeichnung für chronisch verlaufende mit Verengung der Bronchien einhergehende, entzündliche Lungenerkrankungen (Plural). Ende der 1980iger Jahre wurde die Bedeutung jedoch umgewidmet und fortan verstand die wissenschaftliche Medizin darunter in der Einzahl „COPD“ im Gegensatz zum „Asthma“. Benutzt wurde dieser Begriff dann auch nicht mehr wie die Gruppenbezeichnung, sondern wie der Name einer Erkrankung.

Diese Nutzung des Begriffes war dem Umstand geschuldet, dass man die einzelnen Komponenten oder die einzelnen Erkrankungen im Rahmen der chronischen Bronchitis nicht ausreichend beschreiben und damit unterscheiden konnte. So fasste man sie zusammen und begriff sie als Einheit. Daran ist natürlich Wahrheit, nämlich die, dass es um verwandte Zustände geht und dass sie sich vom Asthma zumindest teilweise trennen lassen.

Ausser Acht gelassen wurde aber, dass diese Zustände jedoch auch ganz eigene Eigenschaften besitzen, damit ganz unterschiedliche Beschwerden und Krankheitsverläufe hervorrufen und damit getrennt werden müssten. Mehr und mehr setzt sich inzwischen unter den Experten wieder die Erkenntnis durch, dass wir die Unterschiede nicht einfach ausser Acht lassen können. In der Fachsprache hat sich dafür jetzt der Begriff „Phänotypisierung“ eingebürgert. Ich halte auch diesen Begriff für unzutreffend, weil zu kurz greifend. Es handelt sich nicht nur um nach aussen sichtbare unterschiedliche Verläufe und Beschwerden. Aber wie das so ist in der Wissenschaft, einer oder eine kleine Gruppe schafft einen Begriff, oft noch nicht einmal realitätsnah, und alle anderen laufen mehr oder weniger gedankenlos hinterher.

Die Wissenschaft verstand seit Ende der 1980iger Jahre unter Asthma eine Erkrankung mit Verengung der Bronchien. Mit der Lungenfunktionsmessung musste man das messen können. Wer keine Lungenfunktionsstörung aufweist, konnte eigentlich kein Asthma haben. Man sah, dass das sehr wechselhaft war und bestimmte das Asthma als die Erkrankung mit medikamentös leicht zu öffnender Verengung der Bronchien. Natürlich fand die Wissenschaft dafür auch Zahlen und legte damit Grenzen fest. Was ein bisschen vergessen ging, war die Tatsache, dass bei Asthmatikern damit auch zeitweise eine normale Lungenfunktion bestehen kann. Dann kann der Mensch doch eigentlich kein Asthma haben? Dann muss er doch gesund sein! Meines Erachtens eine blanke Fehldeutung, die uns aber in der Medizin seitdem immer wieder in die Irre führt, auch viele Pneumologen, also Lungenfachärzte und Experten.

Die COPD legte man als eine Erkrankung fest, die auch eine Verengung der Bronchien aufweist, also messbar ist. Aber deren Verengung der Bronchien ist medikamentös kaum zu beeinflussen, also irreversibel. Man legte wieder Zahlen, also Grenzen fest, wie das in der Wissenschaft so ist und hatte eine einfache Unterscheidung zwischen Asthma und COPD. COPD war für fast vierzig Jahre eine eigentlich ganz und gar wissenschaftliche Vereinfachung und doch zugleich eine ganz und gar unwissenschaftliche Vereinfachung. Erst seit Mitte der 2010er Jahre setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass Wissenschaft so einfach doch nicht funktioniert und dass diese beiden Erkrankungsgruppen doch ein sehr viel spannenderes und interessanteres Innenleben haben. Wissenschaft ist eben doch ganz menschlich.

In den nächsten Jahren wird sich eine Aufteilung der heute unter „COPD“ zusammengefassten Erkrankungen entwickeln. Der Begriff der chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen wird dann sehr wahrscheinlich wieder als Oberbegriff (Plural) benutzt werden und wird dann auch das Asthma wieder mit einschliessen.

Inzwischen zeigen weitere Forschungen, dass auch unter dem Begriff „Asthma“ eine Reihe unterschiedlicher Erkrankungen zusammengefasst sind. Zunehmend können wir sie differenzieren. Es ist zu erwarten, dass wir immer genauer in der Lage sind, sowohl die verschiedenen unter „COPD“ zusammengefassten Erkrankungen als auch die unter „Asthma“ gemeinten Krankheiten (oder vielleicht nicht einmal Krankheiten, sondern besser verschiedenen „Konstitutionstypen“) zu erkennen und zu unterscheiden sowie medikamentös entsprechend differenziert zu behandeln.

Auch „COPD“ und „Asthma“ sind nicht strikt von einander zu trennen, denn auch diese Erkrankten haben oft Beschwerden aus beiden Teilbereichen. Wenn Sie also im Internet von seriösen und unseriösen Verfassern Texte zu diesen Erkrankungen lesen, dann machen Sie sich bitte immer klar, dass Sie nicht alles, was dort steht, einfach 1:1 auf Ihre Person übertragen können. Manches wird stimmen und manches auch nicht. In jedem Einzelfall muss geklärt werden, was für Sie stimmt und was nicht.

Wenn ich jetzt den Begriff „COPD“ verwende, dann ist die alte, von mir als falsch begriffene Bedeutung von chronisch obstruktiver Lungenerkrankung gemeint. Sonst schreibe ich von „Chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen“ im Plural und ohne Abkürzung.

Asthmatiker erleben vielfältige Lebenseinschränkungen, die wir messtechnisch mit der Lungenfunktion gar nicht wahrnehmen. Es gibt noch einige andere Messmethoden, die uns einiges klarer werden lassen, aber die Empfindungen und Körpererlebnisse des Asthmatikers sind so nicht vollständig nachvollziehbar und schon gar nicht „objektivierbar“ im theoretischen und medizinisch gewollten Sinne. Wir erleben zunehmend, dass die medizinische Wissenschaft mit ihrer Methode der Erkenntnissuche keine realitätsnahen Ergebnisse liefert. Grosse Studien mit vielen Patienten und Probanden, die nach klar definierten Messmethoden ausgewählt werden, mit klar definierten Untersuchungs- oder Therapiemethoden bearbeitet werden und dann nach komplizierten statistischen Methoden ausgewertet werden, um Zufallsabweichungen herauszurechnen, sind nur scheinbar erfolgreich. Diese Ergebnisse werden dann im grossen Stile verallgemeinert, vor allem auch auf Menschen oder Patienten, die den Studiendefinitionen gar nicht genau entsprechen. Mit dieser Methode haben wir viele Erkenntnisse und medizinische Erklärungssysteme und Krankheitsdefinitionen bekommen. Ihr Problem ist jedoch, dass sie zu einem Teil mit der menschlichen Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Wir haben heute viele Asthmatiker, die mit ihren Problemen völlig alleingelassen werden, weil sie durch die Maschen der medizinisch wissenschaftlichen Definitionen und Messmethoden fallen. Die wissenschaftliche Medizin wird denen nicht gerecht und deshalb gibt es auch so viele paramedizinische Erklärungs- und Therapieversuche. Die medizinische Wissenschaft hat sich ein (Erklärungs-)System geschaffen teilweise neben und ohne Zusammenhang mit dem Menschen resp. Patienten. Und für das Gutachtenwesen für Versicherungen (Invaliditätsversicherung, Taggeldversicherung und andere) gilt das Gleiche. Die Scalierung zur Einteilung der Schweregrade stimmt nur teilweise mit der Realität überein. Das wird die Medizin teilweise ändern können, aber die Lücke zwischen Theorie und Praxis oder Theorie und Realität wird sie nie füllen können. Das ist eine strukturelle Lücke, eine biologische Naturregel. Womöglich treffen wir hier schon auf die Grenze von „Hier und Jetzt“ und „Jenseits“, auf die Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz? Darauf müssen wir achten!

Forschung an obstruktiven Lungenerkrankungen geschieht vor allem beim schweren Asthma und bei COPD an ganz bestimmten Stellen. Es ist auffallend, dass sehr intensiv geforscht wird dort, wo Medikamente oder Materialien angewendet werden können (die gekauft und bezahlt werden). Forschung kostet Geld. Da führt kein Weg dran vorbei. So ist heute auffallend, dass vor allem dort geforscht wird, wo Anwendungen denkbar sind, die Geld bringen. Um wirkliches Verständnis geht es nur im Hintergrund. Jeder muss sein Produkt verkaufen, der Pharmaproduzent seine Medikamente, der Ingenieur seine medizinischen Hilfsmittel, Prothesen etc., der Informatiker seine Gesundheits-Apps und was man nicht noch alles für Maschinen am Körper anwenden kann und nicht zuletzt muss der Forscher seine Ergebnisse möglichst gewinnbringend verkaufen. Am gewinnbringendsten ist Forschung dort, wo Not und Geld einander treffen? Also wird dort geforscht. Viel mehr Leute sind von leichtem Asthma betroffen, aber dort ist die Not nicht so ersichtlich, Geld fehlt und Versicherungen und Regierung blockieren eher noch durch ihre Sparpolitik. Geld regiert die Wissenschaft. Da helfen auch die diffizilsten Gesetzgebungen zur Korruptionsbekämpfung in der Medizin nicht. Die vielen kleinen Fische werden gequält und die grossen hingenommen, weil es gar nicht anders geht. Sollte man dann nicht auch das Quälen der kleinen Fische beenden?

Unsere Gefühle bestimmen die Welt: In jüngeren Jahren spannend, interessant, neu, bedingungslos annehmend; in älteren Jahren angenehm, bequem, sicher, nicht in Frage stellend, … Dafür geben wir Geld aus, unser eigenes oder auch das der Anderen (des Staates, der Versicherungen, der Leistungserbringer). Dem Schein nach regiert das Geld die Welt, real ist es aber doch wohl eher unser Gefühl, unser Körper, der regiert und Geld ist nur das Mittel zum Zweck.


1.3. Asthma und COPD – Lebensweise und/oder Krankheit (02/2021)


Asthma und COPD sind obstruktive Lungenerkrankungen, Krankheiten mit mehr oder weniger Entzündung und Verengung der Bronchien in der Lunge. Wie kommt es zu diesen Erkrankungen und wie entwickeln sich diese?

Je länger ich Medizin und im Speziellen Pneumologie betreibe, desto mehr bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass diese Erkrankungen als ersten grossen Entwicklungsfaktor die Vererbung haben. Wir bekommen von unseren Eltern eine sehr unterschiedliche Kombination von Erbanlagen, von Genen. Daraus folgt, dass wir auch sehr unterschiedliche Lungen in die Wiege gelegt bekommen. Diese unterschiedlich beschaffenen Lungen führen zu unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeiten der Lungen oder auch zu unterschiedlichen Einschränkungen der Funktion der Lungen. So neigen die Lungen von Kindern mit eher zum Asthma tendierenden Genkombinationen eher zu einer Infektanfälligkeit in den ersten Lebensjahren. Für Kinderärzte und Hausärzte und die Eltern stellt sich dann oft die Frage “Ist die Anzahl der Infekte noch normal oder nicht mehr?” Natürlich kann man auch da nicht alle Kinder über einen Kamm scheren und so ist die Grenze eher eine Grauzone und wir können im Einzelfall schwer sauber unterscheiden. (40 Jahre später unter Zuhilfenahme eines Lebenslaufes ist das viel leichter.)

Mit dem Eintritt ins Schulalter gibt sich das häufig, wahrscheinlich oft sogar völlig unabhängig davon, was wir an Therapie gemacht haben, ob wir überhaupt Therapie gemacht haben und was wir an Komplementärmedizin, Vitamingaben, Säftchen, Kügelchen und anderen Massnahmen angewendet haben. Wenn es besser wird, haben natürlich immer unsere Medikamente oder Massnahmen geholfen. Aber es gibt auch Kinder, die weiter asthmatische Beschwerden behalten, manche sogar trotz all unserer Behandlung. Daher ist die Frage, was wäre im Einzelfall gewesen wenn … nicht zu klären. Da helfen uns auch keine Studien mit klaren Definitionen und statistischen Methoden weiter. Klare Definitionen in Studien helfen uns nicht weiter, wenn die Einzelfälle, auf die wir später die Ergebnisse anwenden wollen, nicht klar zu definieren sind. Manche Menschen merken von ihrer asthmatischen Genkonstellation zu dieser Zeit noch gar nichts und Menschen, die später an COPD leiden, merken in diesem Alter auch nichts. Nicht so ganz sicher bin ich mir, ob nicht doch schon manche Menschen einfach in ihrer Belastbarkeit etwas eingeschränkt sind gegenüber Anderen. Erst viel später wird das relevant und weckt unsere Aufmerksamkeit. Leider gibt es natürlich manche Kinder, die in den frühen Kindheitsjahren schon unter schwerem Asthma leiden. Da ist für alle Betroffenen und Beteiligten völlig klar, dass es sich um eine Krankheit “Asthma” handelt.

In der Schulzeit haben viele dieser Betroffenen Beschwerden eines Heuschnupfens. Sie leiden an Augentränen und -jucken und -rötung und -schwellung. Auch die Nase reagiert in ähnlicher Weise mit, was oft zu einer verstopften Nase mit kompensatorischer Mundatmung führen kann. Diese Menschen sind oft in dieser Jahreszeit deutlich in Mitleidenschaft gezogen, schlafen schlecht, können sich weniger konzentrieren, sind müde und erschöpft. Wenn dann auch noch Kratzen im Hals, Heiserkeit, Schleimbildung im Hals, ein Fremdkörpergefühl oder Jucken im Hals und mehr oder weniger starker Husten oder sogar Kurzatmigkeit dazu kommen, dann sind diese Beschwerden schon Ausdruck von Asthma. Da die Pollensaison wetterabhängig mehr oder weniger intensiv ist und nicht das ganze Jahr über dauert, lassen die Beschwerden ja auch wieder nach und dann ist alles wieder gut. Dann ist man wieder “gesund”. So machen sich viele Betroffene selbst, viele Eltern von Betroffenen, Kinder und Ärzte gar keine grossen Gedanken. Schnell ein Medikament, um die Akutzeit zu überbrücken und weiter geht das gewöhnliche Leben.

Vergessen dürfen wir auch nicht, dass natürlich auch menschliche Reaktionen Einfluss auf diese Erscheinungen haben. Da gibt es Familien, in denen solche Erlebnisse unter den Teppich des Schweigens gekehrt werden. “Kind, stell Dich nicht so an”. “Was der schon wieder hat”. “Die kleine Leidende, die Mimose wieder” und viele ähnliche Reaktionen. Und die Betroffenen selbst wollen vielleicht gar nicht auffallen und versuchen die Beschwerden zu vertuschen. Ja nicht als Schwächling erscheinen. Andere wieder finden es ganz schön, wenn alle besorgt sind um einen selbst. Je nach familiärer Situation gibt es da viele unterschiedliche Verhaltens- und Umgangsweisen mit solchen Situationen. Überbeschützende Eltern können natürlich auch die gegenteilige Reaktion oder Lebensweise auslösen. Manche Kinder sind vielleicht einfach nicht so belastbar wie andere, wie sich Jahrzehnte später vielleicht herausstellen wird, wegen einer bestimmten genetischen Konstellation, die später eine obstruktive Lungenerkrankung unübersehbar macht. So gehen Lebensweise “Asthma” und Krankheit “Asthma” ineinander über. Auch hier ist die Grenze fliessend und von betroffenem Menschen zu betroffenem Menschen unterschiedlich.

Die medizinische Wissenschaft geht heute davon aus, dass die Zahl der Asthma- und COPD-Kranken in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen habe. Dafür kann man eine Reihe von Studien zitieren. Wir müssen aber davon ausgehen, dass vor hundert Jahren viele dieser Einschränkungen gar nicht als “Krankheit” wahrgenommen worden sein werden. Die Menschen waren unterschiedlich fit, unterschiedlich belastbar, unterschiedlich infektanfällig. Gehustet haben sowieso viele. Ärzte gab es nur ausnahmsweise und sie waren teuer. Viele Erkrankungen konnte man gar nicht ausreichend unterscheiden, messen, feststellen. Man lebte mit den Beschwerden und versuchte, bestmöglich damit zurechtzukommen und sich den Möglichkeiten anzupassen und sicher auch möglichst wenig davon bekannt werden zu lassen. Ein eigenes Manko war ja nicht selten ein Selektionsnachteil, Grund zur Verachtung und Ausgrenzung, den man lieber verheimlichte. Heute im Nachhinein den Gesundheitszustand früherer Generationen bestimmen zu wollen, ist nicht einfach. Da werden uns deutliche Genzen gesetzt sein, denn wer will heute noch sicher erfassen, was unter damaligen Zuständen empfunden, gedacht, erlitten und verdeckt wurde? So ergaben sich einfach gewisse Lebens- und Umgangsweisen mit bestimmten Einschränkungen ohne Benennung, ohne Diagnose, ohne Therapie. Heute würden wir vielleicht im Kontext von “Krankheit” reden?

Die Reaktion “Stell Dich nicht so an” und ähnliche gab es auch später weiter. Es gab zwar Ärzte, aber sie waren teuer. Auch die Reaktion “Bloss nicht zeigen, es könnte ja als Abwertung verstanden werden” stand einer Krankheitswahrnehmung unverändert entgegen.

Bei den obstriktiven Lungenerkrankungen, beim Asthma mehr als bei der COPD, wechseln die Beschwerden. Natürlich glaubt sich jeder in beschwerdefreien Zeiten gesund. Daher gibt es Zeiträume, in denen die Erkrankung schwer zu finden ist, vielleicht auch gar keine Therapie braucht. Wir Menschen neigen dazu, was wir nicht sehen oder was wir nicht fühlen, für nicht existent zu halten. Dieser Neigung ist nur schwer zu entkommen, denn sie funktioniert völlig intuitiv. Unsere Intuition ist stark körpergebunden und unser Körper übertrifft an Einfluss auf unser Leben den Verstand bei Weitem. So ist eine angemessene Einschätzung der Situation sehr abhängig von einer ausgewogenen Abstimmung von Intuition und gedanklich kritischer Beobachtung. Ein einfaches Studiendesign mit Vergleich zweier Epochen reicht da nicht, ein einfaches Entscheiden nach Gefühl nicht und auch ein einfacher Entscheid nach theoretischen Überlegungen nicht. Andere Epochen verstehen können wir nicht mal eben so im Vorbeigehen oder “Vorbeidenken”.

Viele Menschen leben mit einer unterschiedlichen genetischen Ausgangslage, mit wechselhafter und unterschiedlicher Ausprägung von Fähigkeiten und Einschränkungen ihrer Wahrnehmung, ihrer Lebensfähigkeit und Leistungsfähigkeit sowie ihrer Reaktionsfähigkeit. Asthma mehr als COPD macht die Schleimhaut der Bronchien und damit indirekt die Lunge empfindlicher gegenüber inhalativen Reizen wie Luftfeuchtigkeit, Gerüchen, Stäuben, Dämpfen etc. Insbesondere Asthmatiker reagieren oft auch auf verschiedene Stresslevel mit mehr oder weniger Zeichen von Entzündung (Husten und Schleimbildung) als auch Obstruktion (Kurzatmigkeit bis Atemnot). Belastung, Stress und andere äussere Einflüsse verändern die Wahrnehmung und die Aktionsfähigkeit der Lunge und damit des Körpers. Das ist vor allem bei Asthmatikern sehr ausgeprägt der Fall, bei genauerem Hinsehen mit geringerer Auswirkung aber auch bei Menschen mit chronischer Bronchitis.

Entgegen unseren Vorurteilen ist auch die Verträglichkeit des Rauchens genetisch bedingt sehr unterschiedlich. Von zumindest oberflächlicher Nützlichkeit bei einem Teil der Asthmatiker (weil es zu mehr Stabilität und weniger Atemnotanfällen führt und mehr Distanz zum eigenen Körpererleben schafft) bis zu schneller und nicht reversibler Lungenschädigung mit schweren Auswirkungen wie Husten, Schleimbildung und Kurzatmigkeit bis Atemnot ist alles möglich.

Nun kommen natürlich wieder unterschiedliche Aktions- und Reaktionsmuster der Personen oder Persönlichkeiten zum Tragen. Agile, schnelle, aktive, eher extrovertierte Menschen werden auf solche Körpererlebnisse anders reagieren als eher langsame, introvertierte oder bequeme und geniesserische Typen. Krankheit definieren wir selbst je nach unserer körperlichen Ausgangslage völlig unterschiedlich. Was für den Einen noch normal ist, ist für den Anderen schon erheblich einschränkend und wird dann leicht als “krank” eingestuft. Ein Anderer hat da andere persönliche Massstäbe und definiert deshalb natürlich auch Krankheit anders. Krankheit ist ja oft einfach, was mich am eigenen Körper stört. Die Schulmedizin dagegen versucht, „objektive“ Massstäbe für Krankheit zu setzen, was natürlich in Kontrast zu unserem Empfinden geraten muss oder sogar in Gegensatz. Es folgt ein Messtest und wenn er positiv ist, dann “ja” und wenn er negativ ist, dann “nein”. Oder es wird die Lungenfunktion gemessen und wenn ein Grenzwert überschritten ist, dann “ja”, wenn er drunter bleibt, dann “nein”. So kann man auch gleich noch Schweregrade “objektiv” festmachen. Dass aber die so gefundenen Feststellungen oft erheblich vom Empfinden und auch der Leistungsfähigkeit der Betroffenen abweichen, wird gar nicht wahrgenommen. Dann kommt dazu, dass viele Schulmediziner ihre Massstäbe für richtig, also gewissermassen unfehlbar halten. Das muss ein Spannungsverhältnis sein. Das geht gar nicht anders.

Bei vielen Menschen mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen schreitet die Erkrankung im Laufe des Lebens fort, bei chronischer Bronchitis oder COPD oft relativ gleichmässig, bei Asthma oft wechselhaft mit Auf und Ab. Die Medizin beschreibt diese Krankheiten mit bestimmten Begriffen und Zahlen. Dann werden die Beschwerden erhoben und skaliert. Werden bestimmte Werte erreicht oder nicht erreicht, entscheidet das über Ja oder Nein. Bei beiden Erkrankungen werden dann vorübergehend Werte erreicht, die gewisse Einteilungen nach Ja oder Nein oder Stadieneinteilungen erfüllen oder nicht. Das zu einem späteren Zeitpunkt wieder ganz andere Messwerte zu anderen Ergebnissen führen können, liegt auf der Hand. Die Einteilung nach bestimmten Zahlenwerten, wie das in der Wissenschaft so Praxis ist und natürlich auch in der Medizin und hier in der Lungenheilkunde, führt gar nicht zu eindeutigen und dauerhaften Ergebnissen. Selbst die Definition von gesund und krank ist in diesem Bereich nicht eindeutig. Was heute krank ist, kann morgen gesund sein und umgekehrt, oder kann für den Einen gesund und für den anderen krank sein oder bedeutet verschiedene Schweregrade. Kürzlich hörte ich, dass eine Patientin von mir, die ich als Asthmatikerin einstufte und behandelte, nach der kompletten Besserung der Beschwerden zum nächsten Pneumologen ging und sich bestätigen liess, dass sie gar nicht an Asthma leide. Zu dem Zeitpunkt litt sie wirklich nicht, was mich sehr freut. Die Entscheidung Asthma ja oder nein, richtig oder falsch, stellt sich so bei genauerer Betrachtung gar nicht. Die Antwort ist sehr abhängig von den Vorentscheidungen und somit gar nicht generell gültig (oder gar objektiv) beantwortbar. Es gibt gar kein “richtig” oder “falsch”, sondern es gibt nur Menschen, die uns ihre Definition als richtig oder falsch aufzwingen, oft Wissenschaftler, Bürokraten oder Politiker, in umgekehrter Weise aber auch Ärzte und Patienten. Wir wollen aber ein richtig und ein falsch und natürlich auch ein “richtig” so wie ich das will und was ich nicht will, soll dann auch “falsch” sein. Wir leben ja so gerne mit unseren lieb gewordenen Vorurteilen und bis zu einem gewissen Grade geht das ja, Gott sei Dank, auch. Solche Patientinnen habe ich immer wieder, weit überwiegend Frauen und selten Männer.

Interessant an dieser Konstellation ist, dass ich diese Patientinnen ja nicht selbst ausgesucht habe. Sie kamen mit Beschwerden, nicht selten, nachdem sie schon bei mehreren anderen Ärzten waren. Sie waren ratlos, hilflos und litten an ihren Beschwerden. Hinterher war dann alles nicht mehr wahr. Und wenn ich solche Patientinnen nach solch einer Diagnosestellung durch einen anderen Arzt, nach entsprechender Therapie und Besserung bei ihm, nach Therapieende und Verfliessen längerer Zeit bei mir in der Praxis hatte und die gleiche Diagnose noch einmal stellte, dann war sie völlig neu, völlig unbegreiflich. Warum hatte der Arzt sie denn damals nicht gefunden? (Hatte er! Aber …) Kurios was?

Wenn ich heute daraus Erkenntnisse ziehen sollte, dann vor allem die, dass wir furchtbar subjektiv sind und selbst eine wissenschaftliche Medizin nicht in der Lage ist, uns aus dieser Subjektivität herauszuholen. Auch die medizinischen Ergebnisse, Festlegungen und Erkenntnisse sind zumindest relativ, teilweise auch sehr subjektiv.

Viele Jahre habe ich mit Patienten nach der Erstabklärung festgestellt, wie viele Jahre und Jahrzehnte sie doch schon Beschwerden und damit die “Krankheit” hatten, ohne dass jemand auf die Idee kam, dass es so sei. Nicht selten waren wir betreten, dass das so lange dauerte und dass selbst viele Hausärzte überhaupt nicht auf die Idee kamen, dass hier Handlungsbedarf bestehen könnte. Unter den oben genannten Gedanken könnte man aber auch die Frage stellen, ob das denn so schlimm ist. Die Patienten haben offenbar lange damit gelebt und vielleicht nicht einmal Kosten verursacht? Da müssen wir aber sehr vorsichtig sein. Denn Kosten entstanden oft, doch nur auf andere Art und Weise. Aber für manche Menschen war es auch eine Herausforderung, mit den Einschränkungen durch die Erkrankung zu leben und sich zu arrangieren. Andere haben darunter schwer gelitten.

Die Wissenschaft oder besser die Wissenschaftler brauchen natürlich möglichst definierte Diagnosen und Zahlenwerte, damit sie über gleiche Dinge miteinander sprechen können. Es geht gar nicht ohne Definitionen und Zahlenwerte. Wenn man das tut, muss man sich nur vorher philosophisch darüber klar werden, wie realitätsnah unsere Festlegungen sein können oder sind (und auch nicht) und welche Vorentscheidungen wir als Grundlage nehmen. In den letzten Jahrzehnten hat es sich an den Bildungsinstituten so eingebürgert, darüber einfach stillschweigend hinwegzugehen. Diese Mühe sparen wir uns. Die Weltanschauung (die Philosophie) ist die Grundlegung aller Wissenschaft, aber in der Realität betreiben wir Wissenschaft, ohne vorher überhaupt über unsere Weltanschauung nachgedacht und Rechenschaft abgelegt zu haben und die Konsequenzen für unsere wissenschaftlichen Ergebnisse bedacht zu haben oder zu bedenken. Das ist ein enormes und häufiges Defizit in der Wissenschaft heutzutage.

Mindestens drei Wahrheiten! Was nun? Gibt es nicht nur eine Wahrheit? Viele sprechen Gott die Wahrheit zu, noch viel mehr sich selbst. “Ich sage die Wahrheit” und “Ich sorge dafür, dass die Wahrheit, Wahrheit bleibt!” und “Ich trete für die Wahrheit ein!”

Müssen wir jetzt entscheiden, welche der Wahrheiten richtig ist, wer Recht hat? Müssen wir den Streit sogar ausfechten (früher mit dem Degen auf Leben und Tod, heute in Diskussionen oder härteren Kämpfen zumindest um die Vorherrschaft, wenn nicht doch auch um Leben und Tod).

Oder könnten wir diese Wahrheiten nebeneinander stehen lassen und jeder lebt unbehelligt mit seiner Wahrheit? Wäre das nicht rechte Toleranz?

Noch einmal eine andere Frage ist es in diesem Zusammenhang, wenn man aus Gründen der Gleichheit, der Vergleichbarkeit oder gleichen Rechten alles über einen Kamm scheren muss, damit Renten, Versicherungsgelder und andere Leistungen in Form von festen Beträgen gezahlt werden können.

1.4. Co-Faktoren von aussen und innen. (3/2020)


Wir haben eine Lunge mit einer gewissen Konstitution in unsere Wiege gelegt bekommen. Sie wächst und gedeiht über die Jahre und sie leistet einen grossen Teil an Austausch verschiedener Stoffe mit der Umgebung. Dabei ist sie vielen Faktoren wie Gasgemischen, Stäuben, Luftfeuchtigkeit, Temperaturschwankungen, Krankheitserregern etc. ausgesetzt.

Manche Lungen vertragen dabei Stäube und Gase besonders schlecht, andere besser. Sie haben offenbar gewisse Abwehrsysteme nicht oder nur in schwächer wirksamem Ausmass, so dass sie schon bei geringeren Konzentrationen Schaden nehmen. Dagegen haben manche Menschen das Glück, sehr widerstandsfähige Lungen bekommen zu haben.

Andere Lungen reagieren wieder eher mit einer Entzündung der Atemwegsschleimhäute, die die Bronchien leichter reizbar macht. Dann werden Änderungen von Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur und Luftzusammensetzung mit Husten, Schleimbildung oder/und Verengung der Bronchien quittiert.

Bei anderen Lungen führt der Aufbau der Schleimhäute bzw. deren Entzündung zu einer verringerten Abwehrkraft gegenüber Viren, Bakterien oder letztlich sogar Schimmelpilzen.

Der derzeit am weitesten verbreitete und stark wirksame Co-Faktor ist das Aktiv-Rauchen (in geringen Massen auch das Passiv-Rauchen). Arbeiten mit Asbest für einige Zeit, Bergarbeiten unter Tage für lange Zeit, häufige bis dauernde und intensive Einatmung von Dieselabgasen an viel befahrenen Strassen und einige seltene Staubexpositionen sind ebenfalls in absteigender Reihenfolge bedeutsam.

Das Rauchen kann uns einige Beobachtungen liefern:

Jeder weiss, dass Rauchen häufig Lungenkrebs verursacht. Das stimmt, soll uns hier aber nicht beschäftigen. Viel häufiger und in stärkerem Ausmass führt das Rauchen zu anderen Schäden in der Lunge. Und dieses Ausmass kann sehr unterschiedlich sein. Es gibt Menschen, die trotz intensiven Rauchens sehr alt werden und die wenig von Lungenschäden merken. Wir Ärzte finden bei ihnen auch wenig Schäden. Deren Lunge ist also gegenüber dem Rauchen offenbar sehr widerstandsfähig. Andere rauchen nur wenige Jahre und haben schon erhebliche Schäden in der Lunge. Sie vertragen das Rauchen also sehr schlecht und leiden unter den Schäden stark. Dazwischen gibt es viele Zwischenstufen. Den meisten Menschen können wir nicht vorhersagen, wie gut ihre Lunge das Rauchen verträgt. Wir sehen es erst später an den eingetretenen Schäden, die dann oft nicht wieder reversibel sind.

Selbst bei Asthmatikern ist die Verträglichkeit des Rauchens höchst unterschiedlich. Es gibt einige, die obwohl sie Asthmatiker sind, 40 Jahre lang intensiv geraucht haben und dann erstaunlicherweise keine wesentliche Schädigung an der Lunge im Sinne einer rauchbedingten COPD aufweisen. Offenbar gibt es einen Anteil von vielleicht einem Drittel Asthmatiker, denen das Rauchen die Verschlimmerung des Asthmas verhindert und bei denen das Rauchen Beschwerden lindert. Vor hundert und mehr Jahren hat so mancher Asthmatiker geraucht, weil das einem Teil von ihnen Linderung verschaffte und andere Medikamente noch nicht entdeckt worden waren. Andere Asthmatiker vertragen das Rauchen sehr schlecht und haben schnell einen zusätzlichen rauchbedingten Schaden an der Lunge. Sie haben dann sozusagen zwei Schäden, einen durch das Asthma, den anderen durch das Rauchen. Und wieder gibt es alle Abstufungen dazwischen. Generell wird das Rauchen aber von Asthmatikern eher schlechter vertragen als von Gesunden. All die anderen Schäden durch das Rauchen sollen uns hier nicht beschäftigen.

In der Landwirtschaft gibt es ungünstige Einflüsse auf die Lunge. Der eine Weg führt über den Mechanismus „Allergie“ zu asthmatischen Beschwerden. Das können verschieden Arten von Tieren direkt sein wie Pferde, Rinder, Ziegen, Katzen, Hunde und andere. In Ställen gibt es oft eine hohe Dichte an Schimmelpilzsporen. Auch dagegen kann man allergisch werden. Pollen können eine Rolle spielen.

Der zweite Mechanismus, über den solche Beschwerden ausgelöst werden können, ist der Mechanismus „Reiz“. Die chronisch entzündeten Atemwegsschleimhäute bei Asthmatikern sind viel sensibler als gesunde. Sie reagieren daher viel intensiver auf Ammoniak in der Luft, verschiedene Düfte in der Stallluft z.B. beim Misten oder Stäube beim Heuen oder trocken Füttern und Ähnlichem.

Ein sehr wichtiger, weil weit verbreiteter und in unseren Breiten sehr wirksamer Faktor ist schlichtweg Wasser in gasförmigem Zustand oder am Übergang zum flüssigen Zustand (Schwüle, Nebel, feuchtkalte Luft unter der Nebeldecke). Je höher die Luftfeuchtigkeit, desto stärker in der Regel die Atemwegsbeschwerden wie Husten, Schleimbildung und/oder Kurzatmigkeit. Ist die Luft trocken, sind die Beschwerden geringer oder fehlen ganz. Wer aus einer trockenen in eine feuchte Wohnung umzieht (oder umgekehrt), wer aus einer trockenen Gegend dieser Welt in eine feuchte (oder umgekehrt) reist oder umzieht, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechend spüren. Der Faktor Temperatur spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle.

Generell können wir sagen, dass sich diese Faktoren bei Asthmatikern viel dramatischer auswirken als bei Patienten mit chronischer Bronchitis. Allergien spielen nur beim Asthma eine Rolle, bei den Formen von chronischer Bronchitis nicht. In geringerer Ausprägung können diese Faktoren aber alle auch bei chronischer Bronchitis Beschwerden verschlimmern oder umgekehrt verbessern.

Es gibt kein „Belastungsasthma“. Es gibt nur Menschen, die unter Asthma leiden und die Beschwerden belastungsabhängig merken. Belastung verursacht kein Asthma. Daher ist die Bezeichnung „Belastungsasthma“ oder „Exercise induced asthma“ schlichtweg falsch. Dazu kommt noch, dass die Belastung gar nicht der entscheidende Faktor ist. Viel wichtiger ist, was Asthmatiker unter Belastung einatmen. Joggen sie im Herbst, Winter oder Frühjahr draussen, werden nicht wenige schnell kurzatmig und müssen langsamer laufen, Pausen einlegen oder den Lauf ganz beenden. Laufen die gleichen Personen im Fitness-Center auf dem Laufband und stellen es sich steiler als draussen die Laufstrecke war, so merken viele nichts. Sie laufen und laufen und laufen. Draussen war die Luft feucht und kalt, drinnen ist sie warm und trocken. Das macht offenbar den Unterschied. Laufen aber zehn Menschen in einem engen Fitnessraum nebeneinander, so dass der Schweissgeruch und die Körperfeuchtigkeit die Luft vernebeln, kann die Reaktion wieder wie draussen sein.

Sie haben so viel Stress im Leben? Seien Sie froh. Sie leben, statt sich zu langweilen. Immer wenn Sie Stress haben, schnürt es Ihnen die Luft ab? Das ist keine Seltenheit. Trotzdem, wieder wie beim „Belastungsasthma“. Stress verursacht kein Asthma. Stress kann aber vorhandenes Asthma verschlimmern. Gute Asthmatherapie macht sie heute deutlich stressresistenter.

„Ich mache doch Leistungssport und das ohne Probleme. Also kann ich doch gar kein Asthma haben!“ Weit gefehlt. Asthma heisst nicht Atemnot. Es gibt Asthmatiker, die in ihrem Leben nie Atemnot gemerkt haben. Das Hauptproblem ist Entzündung, Entzündung der Atemwegsschleimhäute. Je nach Ausprägung der Entzündung und Ausprägung der Verengung der Bronchien ist es möglich, dass sie ungehindert Leistungssport betreiben können. (Siehe auch unter Asthma und Sport.)

1.5. Asthma und COPD in bestimmten Lebensumständen: (3/2020)


Nehmen wir an, jemand hat bereits eine kranke Lunge mit Asthma oder chronischer Bronchitis. Leidet er immer darunter? Unter welchen Einflüssen hat er mehr oder weniger Beschwerden?

Für das Asthma gilt in besonderer Weise, dass es eine wechselhafte Erkrankung ist. Es gibt bestimmte Verläufe der Erkrankung und abhängig von äusseren Einflüssen können die Beschwerden stark variieren, von beschwerdefrei bis zu starken Beschwerden. Oft stellen sich dann folgende Fragen: Habe ich Asthma? Oder: Kann man bei mir ein Asthma ausschliessen? Oder: Bin ich gesund oder krank? Diese Fragen kann ich beantworten, je nach dem, welche Anschauung ich zu Grunde lege. Rede ich von „gesund“, wenn ich keine Beschwerden habe, dann gibt es zwischenzeitlich „gesunde“ Zeiträume. Wenn ich daran denke, dass ich meine Erbanlagen vom ersten bis zum letzten Tag habe und dass die Beschwerden sehr abhängig von äusseren Einflüssen etc. sind, dann rede ich nicht von „gesund“, sondern von „beschwerdefrei“. Für den jetzigen Zustand hat das ja wenig Bedeutung, aber für langfristig ändert sich zum Beispiel eventuell meine Einstellung zur Therapie.

Beispiel: Wenn jemand eine Katzenallergie hat und nur auf Grund dieser Allergie asthmatische Beschwerden hat, dann kann es sein, dass er ohne Katzenkontakt völlig beschwerdefrei ist. Er braucht keine Therapie, muss nur darauf achten, dass er Katzenkontakt meidet. Mit viel Glück hält dieser Zustand lebenslang an. Andere haben Pech und bekommen wieder Beschwerden, entweder, weil sie doch wieder unbemerkt irgendwo Katzenkontakt haben oder weil sie beispielsweise neu eine Milbenallergie entwickelt haben. Wiederum die Frage: Waren diese Menschen zwischenzeitlich „gesund“ oder haben sie nur „nichts gemerkt“?

Beispielsweise führt diese Abhängigkeit von äusseren Reizen dazu, dass vor allem Asthmatiker (in geringerem Ausmass auch an chronischer Bronchitis Erkrankte) mehr oder weniger Beschwerden haben, wenn sie die Wohnung wechseln. Wohnen in einer feuchten Wohnung macht oft deutlich mehr Beschwerden als in einer trockenen Wohnung und umgekehrt. Dazu bedarf es keiner Schimmelpilzentwicklung. Die ist noch einmal ein Problem ganz anderer Art zusätzlich, aber sehr viel seltener. Das Ausmass der Feuchtigkeit und geringer der Temperatur in der umgebenden Luft macht sich deutlich bemerkbar. In seltenen Fällen (unter 5%) können die Auswirkungen auch mal gegenteilig sein.

Ein bedeutendes „Gift“ für Asthmatiker ist Wasser in der Luft, Wasser, das wir nicht sehen. Aber das Frauenhoferinstitut erforscht die optimale Luftfeuchte für angenehmes Wohnen und findet, dass eine höhere Luftfeuchtigkeit besser wäre. Das führt zu mehr Beschwerden bei Asthmatikern, mehr als die „Umweltgifte“. Das Frauenhoferinstitut muss also mehr differenzieren, z.B. zwischen „Gesunden“ und Asthmatikern (COPD-lern). Das Optimum an Luftfeuchte wird nicht für alle gleich sein.

Das Leben unter „raumlufttechnischen Anlagen“ (z.B. Klimaanlagen, Lüftungen, Langstreckenflüge, manchmal sogar Minergiehäuser) führt relativ oft (über 50 % der Erkrankten) und schnell zu einer Zunahme der Beschwerden. Bei Menschen mit chronischer Bronchitis wirkt sich das viel weniger intensiv aus.

1.6. Beschwerden bei Asthma und chronischer Bronchitis (und VCD oder ILO): (5/2022)


Asthma und chronische Bronchitis werden überwiegend mit Atemnot in Zusammenhang gebracht. Das stimmt auch, ist aber eine sehr einseitige Betrachtungsweise. Atemnot ist eigentlich nur eine häufige und mehr oder weniger beeinträchtigende Ausdrucksform beider Erkrankungsformen. Die Atemnot stört uns am auffälligsten und wir verstehen den Zusammenhang am einfachsten. Beide Erkrankungen kommen auch ohne Atemnot vor. Zur Definition der Erkrankungen sind Atemnot und damit auch die Einschränkung der Lungenfunktion nur eingeschränkt benutzbar.

Beim „klassischen“ Asthma tritt die Atemnot unter gewissen Umständen sehr heftig auf, während unter anderen Umständen die Atmung überhaupt nicht eingeschränkt sein muss. Das ist die typische anfallsweise Atemnot bis fast zum Ersticken bei zwischenzeitlichem Wohlbefinden. Auf der anderen Seite treten bei der COPD Husten und Atemnot langsam zunehmend auf und es gibt nur sehr wenig Varianz. Über Jahre nimmt die Belastbarkeit langsam wegen Kurzatmigkeit immer weiter ab. Schnellere Verschlechterungen treffen wir bei Infekten an, weshalb diese nach Möglichkeit zu vermeiden sind und wenn sie doch auftreten, möglichst bald angemessen behandelt werden sollten.

Zwischen diesen beiden Extremen und in beiden jeweiligen Gruppen von Erkrankungen gibt es aber jede Menge unterschiedlicher Verläufe. Es zeigt sich, dass es auch Asthmatiker gibt, die die Kurzatmigkeit fast nur unter Belastung spüren. Der Begriff „Belastungsasthma“ oder „Exercise induced asthma“ rührt daher. Der Begriff ist nicht sehr glücklich, weil er uns dazu verleitet, zu glauben, wir hätten das Asthma nur unter Belastung. Asthmatiker sind wir aber immer und die Belastung ist nur ein Co-Faktor, unter dem wir das Asthma merken. Oft spielt ja nicht einmal die Belastung die Hauptrolle, sondern was wir unter dieser Belastung einatmen. Deshalb ist die Belastbarkeit oft gar nicht immer gleich.

Es gibt auch Verläufe, wo Menschen schon seit vielen Jahren, oft seit der Jugend, wegen Atemnot in ihrer Belastbarkeit eingeschränkt sind. Sie haben versucht, diese Einschränkung zu verstecken, haben sich daran gewöhnt und ihr Leben völlig darauf eingerichtet. 10 bis 60 Jahre später fällt das aus irgendeinem Grunde auf und bei der Aufarbeitung und Diagnostik stellen wir fest, dass das Asthma eigentlich schon so viele Jahre besteht, nur keiner hat es als Krankheit bemerkt.

Oft sind Atemnot und Husten unter Belastung kombiniert.

Viele Asthmatiker und Bronchitiker haben einen leichten Dauerhusten, haben ein Fremdkörper- oder ein Schleimgefühl im Hals und glauben, das weghusten zu müssen und zu können. Manchmal kommt dann auch ein wenig Schleim. Auch dieses Gefühl ist je nach äusseren Umständen wechselhaft und zeitweise stärker, zeitweise schwächer. Jeder beschreibt dieses Gefühl ein bisschen anders. Es kratzt im Hals oder der Hals fühlt sich ganz trocken an oder es ist eng im Hals, im Schwiizertüütschen spricht man von einem „Chrott im Hals“. Da gibt es viele sehr blumige Beschreibungen und Vorstellungen, was da im Hals eigentlich los sei. Wahrscheinlich müssen wir davon ausgehen, dass alle diese Gefühle und Interpretationen gar nicht stimmen. Das Problem liegt eigentlich in der Lunge, in den Bronchien. Dort aber, wie in vielen Organen bestehend aus Gewebe und einer Haut drumherum (Gehirn, Lunge, Leber, Nieren, Milz, …) haben wir sehr empfindliche Nerven in der umgebenden Haut, aber fast keine Nerven im Gewebe. Deshalb werden Tumoren, die nicht solch eine umgebende Haut zerfressen, sondern nur im Gewebe wachsen, oft erst so spät oder zu spät entdeckt. Wir spüren sie nicht. Oben im Bereich des Kehlkopfes beginnen die Nerven, die uns die Krankheit anzeigen können. Der Kehlkopf ist mit betroffen, aber nur am Rande. Deshalb merken wir das Problem dort, aber wenn wir etwas lutschen, trinken, die Luft befeuchten oder vieles Andere anwenden, was uns findige Apotheker oder andere Gutmenschen für Geld anbieten, dann ändert das zwar kurzfristig unser Gefühl (und deshalb begeben wir uns gerne in die Abhängigkeit dieser Gutmenschen und zahlen ihnen, was sie wollen) nur helfen am Ort des Geschehens tut es nicht. Nach kurzer Zeit stören uns die nervigen Gefühle im Hals wieder.

Hinter diesen Gefühlen im Hals, Husten, Schleim und Atemnot stecken beim Asthma vor allem Entzündung der Schleimhaut in den Bronchien, bei der chronischen Bronchitis Entzündung und Funktionsschwäche respektive Fehlfunktion von Schleimhaut und Lungengewebe. Diese drücken sich oft primär aus in einem Fremdkörper- oder Schleimgefühl im Hals oder am Kehlkopf. Manche werden auch heiser davon. Wenn es etwas schlimmer wird, kommen häufiges Räuspern, trockener Reizhusten und schliesslich Husten mit Schleimbildung dazu.
Der Husten und die Schleimbildung sind oft abhängig von äusseren inhalativen Reizen. Schneller Wechsel von Lufttemperatur und mehr noch Luftfeuchtigkeit reizt zum Husten. Manche husten schon beim kräftigen Lachen oder beim Sprechen, vor allem, wenn es laut sein muss. Staubige Luft (z.B. auch bei massivem Pollenflug, obwohl gar keine Pollenallergie vorliegt), Dämpfe oder Gerüche führen zum Husten und eventuell auch zu Atemnot.

Seit den 1990iger Jahren versucht die medizinische Wissenschaft diese Gefühle im Hals mit der Refluxkrankheit des Magens zu erklären. Ich bin nicht sicher, ob das nicht gelegentlich auch mal stimmen kann, vor allem, wenn Menschen über häufiges und intensives Sod- oder Magenbrennen klagen und wenn der Untersucher in der Magenspiegelung entsprechend schwere Folgen der Refluxkrankheit an der Speiseröhrenschleimhaut gefunden hat. In den meisten Fällen dieses Gefühles im Hals besteht gar kein Sod- oder Magenbrennen und die Untersucher in der Magenspiegelung haben allenfalls eine leichte Rötung als Ausdruck von Entzündung gesehen. Aber der Erklärungsmechanismus ist schon recht haarsträubend und in der Praxis helfen die Magensäureblocker in sicher mindestens 80 % der Fälle auch nicht. Nicht nur vor hunderten von Jahren haben Menschen (Patienten und Ärzte) in der Medizin viel Unsinn geglaubt. Nein, heute tun wir das genauso. Wahrscheinlich werden wir das nicht einmal ändern können. Das ist nicht eine Frage von schlechtem Qualitätsmanagement.

Bei Kurzatmigkeit oder gar Atemnot unter Belastung wird nicht selten das Atemgeräusch lauter. Es pfeift beim Atmen oder es wird ein lautes Keuchen. In etwa zehn Prozent der Fälle kann es auch abends nach dem ins Bett Gehen zu leisen pfeifenden Atemgeräuschen kommen, die meist der Partner eher wahrnimmt als der Patient selbst.

Die Atmung ist ein sehr lebensnotwendiger Vorgang. Nicht einmal 3 Minuten können wir Pause machen. Kurzatmigkeit und erst Recht Atemnot führen daher oft zu Angst, manchmal regelrecht zu Panikattacken. Ein häufiger Start der Beschwerden ist bei jungen und völlig gesunden und kräftig erscheinenden Menschen eine Blockade beim Atmen, ein Druckgefühl, ein Gefühl, schwerer atmen zu können. Es kann bei Belastung auftreten, aber auch in Ruhe. In der Regel tritt es nicht zuerst nachts auf. Das Gefühl tritt sehr wechselhaft auf und da keiner mit dem Auftreten von Asthma rechnet, ist natürlich zu Beginn auch völlig unverständlich, warum es auftritt. Mal ist es da, mal nicht. Häufiger wird es bei Stress auftreten, weshalb der Stress oft als Ursache beschuldigt wird. Manche merken es nur bei sportlichen Belastungen, mal eher, mal später, mal ja, mal nicht. Andere merken es oft nicht einmal. Typischerweise wird die Tatsache daher zunächst versteckt, geheimgehalten, versucht, zu negieren.

Wir haben keine Fühler im Körper, die unserem Bewusstsein Sauerstoffmangel signalisieren könnten. Unsere Fühler zeigen uns Luftmangel (den wir möglicherweise als Sauerstoffmangel falsch interpretieren). In unseren Atemmuskeln sind offenbar sehr sensible Sensoren eingebaut, die uns bei kleinen Veränderungen schon kräftige Signale melden. Bei Asthmatikern und Gesunden (anders als bei Patienten mit COPD) sind diese Sensoren offenbar auf volle Lautstärke aufgedreht. Wenn Sie 10 Mal schnell und ganz tief durchatmen, merken Sie schon, dass Ihre Atemmuskeln mehr oder weniger erschöpft sind. Das hängt natürlich auch von ihrem Trainingszustand ab.

Diese Signale von unseren Atemmuskeln bekommen wir schon, wenn die Verengung der Bronchien nur ganz diskret ist und von unseren technischen Messsystemen wie Lungenfunktionsmessung, Peakflow-Messung und anderem noch gar nicht wahrgenommen werden. Deshalb ist es so wichtig, sich darüber klar zu sein, wem wir mehr glauben, den Messsystemen oder dem betroffenen Menschen. Das hängt ab von unseren Definitionen von „subjektiv“ und „objektiv“.

Eigenartigerweise finden wir bei diesen Menschen, die von ihren Atemmuskeln signalisiert bekommen, da stimmt etwas nicht, das Atmen ist schwerer, dass sie dann anfangen zu hyperventilieren. Da ist das Atmen schwerer und sie atmen zu viel. Natürlich, die Muskeln sind gesund, nur die Lunge nicht. Aus Angst und Panik wird dann ordentlich Gas gegeben. Diese Asthmatiker fallen als erstes auf, weil sie hyperventilieren. Also sagt der Notfallarzt in der Ambulanz, „Du hyperventilierst. Hör auf damit. Du spinnst“ und setzt dem Patienten eine Tüte auf die Nase, in die er atmen soll, damit das Kohlendioxid in der Einatemluft ansteigt. Damit kann man das Hyperventilieren beheben. Stimmt oberflächlich. Der Patient geht wieder nach Hause, froh dass alles schnell überstanden ist und er nicht im Krankenhaus bleiben muss.

Nach ein paar Wochen tritt das wieder auf. Ab auf den Notfall. Dort ist heute ein anderer Arzt. Der checkt erst einmal das Herz. Bloss keinen Herzinfarkt übersehen. Recht hat er.

Einige Wochen später tritt das wieder auf. Ab zum Hausarzt. Der weiss eigentlich auch nicht, was wirklich los ist. Aber im Zweifel mal ein Asthmaspray geben und „wenn Du wieder Beschwerden hast, dann benutzt Du das.“ Auch nicht verkehrt.

Inzwischen hat die Jahreszeit gewechselt. Für einige Monate treten keine Beschwerden wieder auf. Alles längst vergessen. Auf einer Reise in einem ganz anderen Land oder bei einer Feier, bei plötzlicher Rauchexposition bei Freunden oder einer Belastung oder vielen anderen Gelegenheiten treten plötzlich und unerwartet wieder Atemnotgefühle auf. „Das Spray habe ich vergessen. Was ist mit meinem Körper los? Da stimmt doch etwas nicht. Hoffentlich wird es nicht immer schlimmer.“ Psychische Veränderungen und Panikreaktionen sind doch fast unausweichlich?

Asthmatiker entwickeln Strategien, um damit umzugehen:

Es gibt die etwas Zurückhaltenderen, oft des weiblichen Geschlechtes, die mit weniger Selbstwertgefühl, die Achtsameren, die sich wegen der Unsicherheit durch diese Gefühle lieber etwas zurücknehmen. Lieber nicht zu viel Sport machen, lieber nicht zu viel wagen bei Reisen, bei Belastungen, bei Risiken. Eher mal andere um einen Gefallen oder eine Hilfe bitten. Mit dem richtigen Charme dargeboten kann daraus eine sehr angenehme und freundliche, angepasste Lebensweise werden. So lässt sich Asthma sehr schön vertuschen, sogar angenehm gestalten und manchmal sogar zur eigenen Bequemlichkeit ausnutzen. Wo wollen wir da Grenzen festlegen zwischen gesund und krank? Wo wollen wir da Therapiebedürftigkeit festlegen? Es darf bis zu einem gewissen Grade in Zukunft sogar schlechter werden damit.

Geht die Anpassung aus irgendwelchen Gründen schief (weil die Krankheit unerwartet doch schlimmer wurde oder die Umstände die Anpassung nicht mehr zulassen), dann lässt sich ein Asthma auch mal sehr schön als Gewaltkeule gegen alle umgebenden Menschen einsetzen. „Euch geht es gut, mir so schlecht. Ihr könntet mir doch wenigstens alle Wünsche von den Augen ablesen und erfüllen!“ Asthmatiker können besten Psychoterror machen, zweifellos, aber die meisten Asthmatiker erleiden den Psychoterror, weil die anderen die Krankheit nicht verstehen, nicht mit- oder nachempfinden können.

Andere reagieren auf ihre Atembeschwerden mit Aktionismus. Sie sind eher männlichen Geschlechtes. Das muss ich doch aus eigener Kraft wegbringen können. Dann wird trainiert, gemacht und getan. Immer bis an die Grenze gehen. Die Grenze muss ich doch wegbekommen. Die Wechselhaftigkeit der Beschwerden suggeriert manchmal, dass das Ziel erreichbar sei. Rückschläge führen zu Enttäuschung und im schlimmeren Falle Resignation. Dann kommen diese Menschen zum Arzt, lassen sich angemessen behandeln und wenden die Medikamente selbst konsequent an. Manche treiben dann ohne Probleme Leistungssport und sind fit. Andere sind es aber wiederum nicht. Sie treiben sich immer wieder bis an die jetzt hinausgeschobene Grenze, um dann wieder zu merken, ich kann nicht so wie die Anderen oder wie ich will. Irgendwann resignieren auch sie.

In den meisten Fällen wirken Asthmatiker nach aussen völlig gesund. Sie müssen aber immer statt nur an Andere und die Umgebung zu denken und sich auf sie einzurichten auch noch zusätzlich auf die Unwägbarkeiten und Einschränkungen durch ihre Krankheit oder Konstitution achten. Das ist am Arbeitsplatz, wo 100 % Leistung und Konzentration oder besser noch mehr gefordert sind, extrem wichtig und störend.

Asthma führt so oft zu verschiedenen Lebensformen, den Angepassten, vor allem Frauen; den Kämpfern gegen, vor allem Männer und Möchte-gern-Männer, den Verkannten und Betrogenen.

Bei Patienten mit COPD (ausser dem Typ „Emphysem“, siehe später) ist die Situation eher umgekehrt. Der Körper scheint Kräfte sparen zu wollen und reguliert die Atmung eher etwas herunter. Niedrigerer Sauerstoff wird vom Körper bis zu einer gewissen Grenze toleriert. Dafür darf der Patient weniger atmen und der Kohlendioxidpartialdruck im Blut steigt eher etwas an. Auch so kann Anpassung erfolgen an die veränderte Atemmechanik.

Heute ist jeder und jede, vor allem Frauen, auf seinen/ihren Körper fixiert. Stimmt irgendetwas nicht, geraten wir in Panik. Früher bekamen die Betroffenen das gar nicht mit. Krankheit und Tod gehörten zum Leben.

Auch bei Panikattacken muss man mal daran denken, dass ein Asthma Auslöser sein könnte und nicht unbedingt eine psychische Überreaktion.

Asthma und in geringerem Masse COPD sind eine Gruppe von Erkrankungen, die die Wahrnehmung der Umwelt verändern. Vor allem Asthmatiker reagieren auf viele äussere Einflüsse viel sensibler und in charakteristischer Weise und das verändert auch ihr Verhalten in der Umwelt. Möglicherweise war diese Achtsamkeit, diese Vorsicht, diese Form von Rücksichtnahme, dieses fehlende oder eingeschränkte Selbstbewusstsein ein Selektionsvorteil in der Evolution? Vielleicht könnte diese Konstitution, diese Krankheit sogar heute für die Betroffenen Vorteile haben?

In dieser Art von Erklärungsversuch werden wir davon ausgehen müssen, dass wir obstruktive Lungenerkrankungen (also die heute „Asthma“ und „COPD“ genannten Krankheiten) zumindest bei vielen Menschen als Konstitution auffassen müssen. Das bedeutet, dass es sich um lebenslange Zustände unterschiedlicher Ausprägung mit Einfluss auf den Körper, die Seele und den Geist handelt. Wir sollten wahrnehmen, dass diese Zustände durchaus nicht einfach per psychologischem Training wegtrainiert werden können. Nicht die Psyche ist das Problem, sondern der Körper, der sekundär auch die Psyche beeinflusst hat.

Asthma ist eine Form, zu leben, ist Philosophie, ist Konstitution und zugleich Krankheit!

Die meisten Asthmatiker wollen nicht wahrhaben, dass sie krank sind oder besser, dass ihre Konstitution sie gewissen Gefahren aussetzt. „Doktor, bei mir ist das alles nicht so schlimm.“ Dann werden sie oft natürlich demonstrativ unvorsichtig, leichtsinnig in Form von „leichten Sinnes“. Sie nehmen es auf die leichte Schulter. Eigentlich ist das ja wünschenswert, dass sie möglichst unabhängig werden. Das wollen wir Ärzte ja. Aber dazu braucht es eben doch oft gewisser Vorsichtsmassnahmen. Das sind gar nicht viele und oft auch gar nicht viel an Medikamenten. Eher die konsequente Annahme ist entscheidend.

Umgekehrt müssen Asthmatiker dann aber im Ernstfall plötzlich beweisen, dass ihre Beschwerden Asthma sind und nicht nur Hyperventilation oder eine Herzkrankheit oder Bequemlichkeit, Faulheit oder anderes. Und wenn sie schwerkrank sind, dann müssen sie plötzlich beweisen, dass sie einen Schweregrad haben, der eine Versicherungsleistung oder Rente begründet. Das passt doch alles hinten und vorne nicht. Aber denken wir daran, im Zweifel sind die Beschwerden der Betroffenen das Mass aller Dinge und nicht die Verständnislosigkeit der Ärzte oder Bürokraten.

In den letzten Jahren haben Fragebögen (Neudeutsch: Questionärs) Eingang in die Medizin gefunden. In der Wissenschaft muss alles messbar und vergleichbar gemacht werden, koste es was es wolle. Nachdenken ist da verboten. Auch die Digitalisierung braucht ja diese Zahlenbeschreibung und Zahlenordnung.

Die Questionärs sowie die digitalen Beschreibungen und Verarbeitungen haben wenig Chance, diesen ganzen Differenzierungen menschlichen Seins gerecht zu werden. Wir sehen es bereits an den angewandten Messungen, wie wenig die Realität wiedergeben.

Da wird von Krankenkassen und von Regierungen verordnet, medizinische Therapie müsse „wirtschaftlich, notwendig und wirksam“ sein. Schöne Theorie, nicht wahr? Ob diese Theorie irgendetwas mit der Realität der Betroffenen zu tun hat?

Beim Asthma finden Sollwertveränderungen statt. Viele hyperventilieren latent, ohne es zu merken und dauerhaft. Die Empfindung der Atmung wird verändert. Das können wir nicht einfach mit Atemtechniken ändern, normalisieren, wieder beheben. Das Atmen wird als schwer empfunden lange bevor wir etwas messen, zumindest in der Ruhelungenfunktion. Pneumologen und Sozialsysteme verstärken das Problem noch durch ihr Unverständnis und ihre Abwehr von Leistungsjägern und Betrügern. Der Patient kommt ihnen gegenüber in einen Beweiszwang, aber er kann seine Gefühle gar nicht beweisen. Bei Asthma und bei COPD liegen die bahnbrechenden Erkenntnisse sicher noch vor uns. Unser Umgang mit Asthmatikern und Patienten, die an einer Form von COPD leiden, ist bisher sicher nicht angemessen.

In den ersten zwanzig Jahren dieses Jahrhunderts hat man auch eine Erscheinung entdeckt, die wir mit dem schönen englischen Begriff bezeichnen: Vocal cord dysfunction. Wie immer in der Medizin sind wir weit schneller mit der Begriffsbildung als mit der Begriffsfüllung und selbst, wenn wir eine Definition haben, ist nicht sicher, wie weit diese mit der Realität und mit dem eigentlich gemeinten, übereinstimmt. Inzwischen hat sich auch der Begriff „ILO“ entwickelt, „Induzierbare, laryngeale Obstruktion“. Ich habe Zweifel, dass der Begriff realitätsnäher ist, aber er ist neu und daher natürlich modern. Nun entspricht er natürlich unserem neuen „Wissen“ (oder doch nur unserer neuen Ansicht?).

Wie schon weiter oben beschrieben, spielen sich bei beiden Erkrankungen Randprozesse am Kehlkopf ab. Dort fühlen wir sie stärker als im Brustkorb. Der Kehlkopf besteht aus einem äusseren Ring, der das Gerüst darstellt. Zwischen dem weitest hinten liegenden und dem weites vorderen Punkt sind die beiden Stimmbänder, die eigentlich keine Bänder, sondern Segel sind, aufgespannt. Mit diesen beiden Segeln singen wir, reden wir, husten wir und zwischen sie hindurch atmen wir. Sie sind sehr feine Strukturen und mit Schleimhaut bedeckt. Wenn am Kehlkopf sich diese Schleimhaut entzündet, schwillt sie natürlich etwas an. Das sehen wir bei jeder Entzündung an unserer äusseren Haut. An den Stimmbändern jedoch machen sich schon zarteste Schwellungen durch eine Veränderung der Tonlage nach unten oder Heiserkeit und Schleimgefühl bemerkbar. Die Stimme kann dadurch versagen. Es kann zu Krämpfen der Stimmbänder kommen. Diese Stimmbandkrämpfe können von einer auf die nächste Sekunde heftigste Atemnot verursachen. Natürlich geraten die Betroffenen in Panik. Das verschlimmert die Situation. Es kann zu einer Bewusstlosigkeit kommen, die in diesem Fall die Rettung ist. Im Zustand der Bewusstlosigkeit lösen sich die Krämpfe schnell, die Atmung wird wieder frei und die Betroffenen erwachen. Dann ist es fast wieder so gut wie vorher. Keiner stirbt daran, aber die sekundenlange Dramatik ist enorm.

Gelernt habe ich in der Medizin, diese Tatsachen als Differenzialdiagnose zum Asthma aufzufassen. Der Mechanismus ist auch ein ganz anderer. In der Realität habe ich jedoch immer wieder festgestellt, dass diese Stimmbandfehlfunktion parallel zum Asthma besteht. Wenn ich das Asthma ordentlich behandelte, normalisierten sich auch die Stimmbänder wieder und der Spuk war in den meisten Fällen nach einigen Wochen vorbei. Ausser seltenen Ausnahmen werden wir also diese Dysfunktionen als Asthmabegleiterscheinung annehmen dürfen und müssen. Konsequente medikamentöse Therapie des Asthmas reduziert meist auch diese Symptomatik, so dass es einer spezifischen Therapie nur ausnahmsweise bedarf. Wir haben nämlich auch gar keine. Immer wieder wird Logotherapie oder Stimmschulung angeboten. Ich habe nicht einen einzigen Patienten erlebt, wo sie half. Sie löst nicht das Problem und wir selber können es durch Training, durch Übungen etc. auch gar nicht ändern. Es bedarf der angemessenen medikamentösen Therapie.

Diese Beschwerden treten typischerweise bei der Einatmung auf und die entsprechenden Atemgeräusche hören wir typischerweise beim Einatmen. Deshalb kann man sie gut vom Asthma unterscheiden und trotzdem gehören sie zum Asthma.

Die medizinische Wissenschaft in den Universitäten und nachgeordneten Strukturen fusst auf Bildgebung und Messung. Längst nicht alle Vorgänge und Veränderungen im Menschen lassen sich aber einfach messen oder bildlich darstellen. Krämpfe gleich welcher Art und an welchen Organen zum Beispiel sind solche Beschwerden. Wenn Sie die Stimmlippenkrämpfe haben, schaut gerade kein Arzt auf den Kehlkopf und in die Bronchien. Schauen die Ärzte später auf den Kehlkopf und in die Bronchien, sind die Krämpfe gerade nicht vorhanden. Lösen wir sie aus, was durchaus manchmal möglich ist, ist damit noch keineswegs sicher, dass der Mechanismus der gleiche wie im akuten Notfall ist. Ich kann Ihnen die Richtigkeit meiner Deutung nicht beweisen. Aber ich habe mit einer ganzen Reihe Patienten diese Episoden durchgestanden und ohne eingreifende und skurrile Diagnostik auf einfache Weise mit Geduld und Medikamenten zum Verschwinden gebracht. Nur in sehr wenigen Fällen gelang das nicht.

Kinder mit Asthma sind oft infektanfällig als eines oder vielleicht einziges Zeichen eines Asthmas. Auch im Erwachsenenalter können Infekte eine Rolle spielen, aber es gibt bei beiden Erkrankungen auch Menschen, die ausgesprochen selten Infekte haben, also sehr resistent sind. Häufige Atemwegsinfekte und solche mit im Anschluss relativ lange anhaltendem Husten sind verdächtig auf eine chronisch entzündliche Erkrankung der Lunge.

Viele Patienten mit Asthma und chronischer Bronchitis schwitzen schnell. Schon bei der kleinsten Anstrengung schwitzen sie. Das Schwitzen setzt nicht selten schon vor der Atemnot ein. Auch Menschen mit Übergewicht schwitzen schnell. Wenn Asthma oder chronische Bronchitis und Übergewicht in einer Person aufeinander treffen, was nicht selten der Fall ist, dann addieren sich die Effekte noch. Manche Patienten müssen auch nachts wegen des exzessiven Schwitzens ihre Wäsche wechseln. Das darf nicht verwechselt werden mit Nachtschweiss bei der Tuberkulose, einer Überfunktion der Schilddrüse oder Hormonschwankungen mehr bei Frauen als bei Männern in der zweiten Lebenshälfte.