Naturverbunden

Ende Februar 2024. Im Universitätsspital Zürich wird ein hochverdienter Professor in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Der Saal ist voll mit lauter Kolleginnen und Kollegen, Studentinnen und Studenten nicht nur aus Zürich und der Schweiz, sondern auch aus einigen anderen Ländern.

Natürlich hat ein hochverdienter Professor (und sicher wird das mit den Professorinnen bald ähnlich sein) vieles geleistet und viele gute Taten getan. Die Einen staunen, die Anderen loben, manche sind neidisch. Es wird gefeiert.

Da er auch eine tiefe Verbindung nach Afrika hatte und hat, werden auch Bilder von seiner Arbeit dort gezeigt. Eines zeigt ihn auf einem Frontsitz eines stehenden Jeeps, etwa 20 m vor einem im Gebüsch liegenden Löwen. Der Löwe schaut auf das Auto und damit sicher auch auf den Professor. Der Professor dreht sich gerade zum Fotographen nach hinten um. Oh, ist das schön. Oh, wie lieben wir diese Natur. Alles ist so richtig nach unserem Geschmack. Wir lieben die Natur. Augenblick, verweile doch. Du bist so schön.

Nun stellen wir uns einmal vor, wir setzten den hochverdienten Professor an dieser Stelle einfach auf einen bequemen Stuhl aus natürlichem Holz und das Auto wäre gar nicht da. Das wäre doch ein schönes Bild. Oh, wie lieben wir die Natur. Alles in trauter Eintracht, die Natur und der Professor. Ein Genuss.

Ich nehme an, dass Sie sich noch so gut in der Natur auskennen, dass Sie ahnen, dass hier wohl irgendetwas nicht stimmt. Sehr lange würde der Professor dort wahrscheinlich nicht so ruhig und die Natur geniessend sitzen. Wenn er geistesgegenwärtig ist, dann hat er vielleicht eine kleine Chance, falls er sich ganz still auf dem Stuhl verhält und sich tot stellt. Vielleicht trottet der Löwe nach 2 bis 3 Stunden in irgendeine Richtung davon? Dann wäre der Professor noch am Leben mit einer Naturerfahrung mehr (und vielleicht einem veränderten Weltbild?).

Viel wahrscheinlicher ist, dass der Professor aus lauter Angst sofort die Beine unter die Arme nehmen würde, um zu fliehen. Dem fliehenden Lebewesen würde der Löwe mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einigen Sprüngen nachsetzen und um unseren lieben Professor wäre es geschehen. Nanu? So ist das in der so friedlichen und schönen Natur?

Wir lieben die Natur. Gibt es einen im Saal oder eine Leserin oder einen Leser unter uns, der diese Aussage von sich abstreiten würde? Wahrscheinlich sind es nur wenige? Wir lieben die Natur, aber … Jetzt kommt das grosse „Aber“. "Wenn sie uns nichts tut". Wenn wir also so durch unsere Technik gesichert sind, dass der Löwe oder andere Tiere uns nichts anhaben können, wenn wir also aus der Natur entrückt sind.

So wandern wir gerne in den Bergen auf schmalen Wegen quer durchs Dickicht und über Stock und Stein. Aber, bitte, lassen Sie als Verantwortlicher für dieses Berggebiet alles völlig natürlich und unberührt und sichern Sie doch bitte alles so, dass niemand zu Schaden und schon gar nicht ums Leben kommen kann.

Sie wollen die eisigen Weiten der Arktis oder Antarktis so natürlich, wie möglich erleben, aber da Ihr Geld knapp ist, kommen Sie mit einem Riesenkreuzfahrtschiff, legen an und Tausende ergiessen sich auf das Eis, um ein paar Stunden in der eisigen, leider nicht mehr unberührten Natur, denn in den letzten Monaten kam jede Woche solch ein Schiff, zu geniessen.

Wir fahren in den afrikanischen Regenwald. Oh, wie schön ist die Natur. Sie laufen völlig allein durch den sehr dicht bewachsenen Regenwald und 200 m in der Tiefe des Regenwaldes planen Sie ein Picknick. Decke ausgebreitet, Geschirr verteilt, Kunststoff, damit nichts kaputt geht in der freien Natur. Kaffee eingegossen und ein Stück Sahnetorte verdrückt. Oh, wie schön ist die Natur, wie lieblich, wie friedlich. Sie haben schon einmal Beschreibungen vom afrikanischen Regenwald gelesen oder gehört? Ob es überhaupt so möglich wäre mit dem Gang durch den Regenwald und dem Picknick? Aber das könnten wir uns doch von Anderen so herrichten lassen, dass das in der freien Natur auch so geht. Dafür bezahlen wir ja. Und den Kampf ums Überleben schon einen Meter neben dem Picknickplatz lassen wir auch unterbinden oder zumindest verstecken. Wir können ja eine Mauer um den Platz ziehen. Die Natur gehört hinter die Mauer, nach draussen, wir auf den eingezäunten Platz. Oh, wie schön ist jetzt die Natur.

Natürlich sind es immer die Anderen, die so handeln und wir empfinden und interpretieren das als dumm, oder? Wir selbst sind ja möglichst immer die Ersten, wie Reinhold Messmer oder viele Männer, die unbekannte Gegenden erkundeten, Nord- und Südpol, etc. Die Folge war in der Regel, dass nach bestimmter oder unbestimmter Zeit bald viele Andere das auch wollten und irgendwann die ganze Menge, z.B. am Mt. Everest. Die Natur ist schon längst keine unberührte Natur mehr. Wir Menschen haben sie durch unser Sein, unser Dasein und Dortsein und unser Handeln zur aufgebrauchten Natur gemacht. Ginge das auch anders?

Zumindest theoretisch ginge das auch anders. Wir richten Reservate ein und Menschen gehen einfach nicht mehr hin. Können Sie sich das vorstellen? Menschen gehen einfach nicht mehr hin? Schutz braucht das Reservat mindestens, eine gewisse Ordnung auch. Forschen, was dort vorgeht, müssen wir auch. Wir brauchen ja schliesslich Daten dazu. … Das Reservat bekommt die gleiche CO2-überhaltige Luft, wie die ganze Erde drum herum. Also ohne Einfluss sind wir Menschen von weit weg auch auf diese Reservate nicht. Es gibt auf der Erde keine Natur ohne die Veränderung durch uns Menschen. Das Anthropozän ist wirklich da, auch wenn manche Wissenschaftler es jetzt wieder weghaben wollen, wo doch die Idee und der Name geboren und geprägt sind. Realität, ungeliebte Realität, ist es ja nun sowieso schon.

Wir leben in und mit der Natur, aber eben doch zum grössten Teil gegen die Natur. Wollten wir das nicht mehr, müssten wir uns bewusst dafür entscheiden, uns den Regeln der Natur wieder zu unterordnen, wie dort, Hunger zu leiden, Krankheiten, den frühen Tod, Ungewissheit, Unsicherheit.

Nein, das wollten wir nicht. Das ist ja kein Leben für uns Menschen, für mich. Deshalb haben wir uns ja aus diesem Zustand „befreit“. Ich will leben, so bequem es geht, so wohlhabend, wie es geht, so lange, wie es geht. Im Zweifel muss die Natur dran glauben oder bezahlen oder ihre Schätze hergeben, aber bitte nicht umgekehrt. Bitte? Nein, das ist keine Bitte. Das ist mein Befehl!

Es gibt gute Gründe, warum wir nicht mehr in den Verhältnissen der Vergangenheit leben, leben wollen und leben können. Ein „Zurück“ ist uns verbaut. Wir geben doch unsere Freiheit nicht wieder her! Wir können ja die Zeit sowieso nicht zurück drehen. Aber die Zukunft? Wenn wir die Entwicklung, wie sie bisher erfolgte, so gut es geht, in die Zukunft weiter extrapolieren, dann kommen die Einen ins Schwärmen, weil sie selbst ja nur gute Dinge tun. Sich beklagen tun ja immer nur die Anderen. Wer weiter in der Runde schaut und nachdenkt, sieht all die Gefahren, Unwägbarkeiten, Risiken, Zerstörungen, aber kann sie nicht wieder gut machen, kann sie nicht in der Zukunft vermeiden, kann die Zeit nicht anhalten. Augenblick, verweile doch, du bist zwar nicht schön, aber wahrscheinlich immer noch besser als die Zukunft... Wir haben gar nicht uns und die Umwelt, die Natur im Griff, sondern wir glauben das nur und um drei Ecken geschaut und gedacht merken wir, dass wir fest im Griff sind von …, ja von Wem oder Was?

Nach langem, langem Suchen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es immanent, also diesseits unserer Horizonte, innerhalb unserer Welt, gar keine Lösung für unser Dilemma gibt. Wir wurden in unser Sein gesetzt, von Wem oder Was auch immer. Wir selbst sind Mensch, sind Person und ich wünsche Ihnen und mir, dass wir auch Persönlichkeit sind. Wäre unser Ursprung und wäre unsere Zukunft nur ein Es, eine evolutionäre Natur oder irgendetwas ähnliches, dann wäre das ja doch keine Lösung. Ich bliebe allein in einem gedachten Kosmos für die Zeit meines Lebens. Leben, Moral, Reichtum, Schönheit, Wissen, … Egal. Über mein Empfinden würde mein Körper entscheiden, ob ich gerade optimistisch oder pessimistisch, vielleicht sogar depressiv bin. Es fällt mir schwer, ein solches Sein sinnvoll zu denken. Es ist alles völlig sinnlos.

Wie bei Polizei und Feuerwehr oder Krankenwagen, Rettung aus Not kann nur von aussen kommen, denn sonst könnte man sich ja selbst retten, wäre also gar nicht in Not.

Auch wenn uns der Glaube an einen uns unbekannten Gott aus irgendeinem unerfindlichen Grunde schwer fällt, nur er kann eigentlich eine Lösung sein, eine Lösung bieten, Sinn anbieten. Da kommt eigentlich nur der eine Gott in Frage, Jahwe, der Gott der Juden, der zum Gott der Christen wurde und Jesus Christus auf diese Erde schickte mit dem Angebot „Ich biete Dir meine Hand und mache Dich sinnvoll!“ Mohammed hat diesen Gott dann abgewandelt. Es wurde wieder ein Gott daraus, wie schon bei Abraham „Lebe so, wie ich es will, dann hast Du Dir Deinen Sinn bei mir erarbeitet, erkämpft. Dann gehörst Du zu mir.“ Nach Mohammed haben in den christlichen und nachchristlichen Gemeinschaften noch Viele solch einen abgewandelten Gott gepredigt. Offenbar verfallen wir leicht und immer wieder in dieses Fahrwasser. Unsere Nervenautobahnen im Hirn lassen wohl schwer andere Denk- und Lebensweisen zu?

14 March 2024
wf