(Eigentlich gehörte dieser Text ja zu den medizinischen Informationen. Vorübergehend stelle ich ihn hier ein)
Unser mechanistisches Weltbild
Husten ist eine Grundfunktion menschlichen Lebens. Sogar die höher entwickelten Tiere haben diese Funktion. Lebewesen, die atmen und damit Luft und andere fliegende Teilchen in ihren Körper saugen, müssen dafür sorgen, dass alle unverwertbaren oder sogar schädlichen Teilchen auch wieder den Körper verlassen. Das ist sicher ein Sinn des Hustens.
Schleimhäute in den Atemwegen reagieren auf äussere Einwirkungen und innere Einflüsse. Das tun sie unterschiedlich je nach dem, welche Gene wir von unseren Eltern geschenkt bekommen haben. (Die konnten das nicht einmal beeinflussen) Wenn Sie „asthmatische“ Gene bekommen haben, reagieren Ihre Schleimhäute auf bestimmte Weise. Wenn Sie eher Gene einer chronischen Bronchitis (COPD) bekommen haben, reagieren Ihre Schleimhäute anders. Viele Menschen haben ein Gemisch aus beiden Sorten von Genen bekommen und reagieren entsprechend. Andere haben Gene bekommen, die Schleimhäute entwickeln, die wir heute nach unseren mehr oder weniger wissenschaftlichen Kriterien für „gesund“ erklärt haben.
Auf eine Menge von äusseren Reizen und inneren Einflüssen reagieren unsere Schleimhäute mit irgendeiner Form von Entzündung. Da gibt es eine ganze Reihe unterschiedlicher Formen von Entzündung und anderen Reaktionsweisen. Bei vielen wird Schleim gebildet, Schleim in unterschiedlicher Ausprägung. Der kann wässrig sein (z.B. aus der Nase). Der kann klar und schleimig sein, fester und sogar in Form harter Brocken. Fast alle Farben sind möglich, je nach Beimengung von frischem oder altem Blut, Schmutz, Bakterien etc.
Meist führt die Entzündung auch zur Schwellung der Schleimhäute, was wir in der Nase sehr einfach und nachhaltig mit einer verstopften Nase spüren, was sich aber auch in den Bronchien (Bestandteil der Lunge) stark bemerkbar machen kann.
Dieser Schleim ist allerdings auch Nährboden für Bakterien. Viren brauchen zum Überleben und zur Vermehrung lebende Zellen. Sie sind daher wohl oft die „Starter“ von Infektionskrankheiten in den zuvor gesunden Zellen der Schleimhäute. Bakterien sind oft Folgekeime, wenn die Viren die Zellen der Schleimhaut schon geschädigt oder umgebracht haben. Wenn eine Erkrankung schon abzuheilen schien und sich dann plötzlich verschlimmert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass jetzt Bakterien zusätzliche Angreifer sind. Der Schleim muss aus verschiedensten Gründen möglichst schnell heraus.
Dazu hat die Evolution den Husten entwickelt. Wissenschaftler fanden Rezeptoren, die den Hustenreiz auslösen. Diese Rezeptoren befinden sich an vielen Stellen der Atemwege, in der Nase, im Rachen, am Kehlkopf, natürlich in den Bronchien, aber sogar an den Zwerchfellen und in der Speiseröhre. So finden wir es zumindest in vielen Veröffentlichungen dargestellt.
Mechanistisch, wie wir denken, glauben wir nun natürlich leicht, das der Dreck und Schleim einfach die Hustenrezeptoren reizen und diese dann über Nervenbahnen den Husten auslösen. An vielen Stellen in der medizinischen Literatur, in der Presse und im Internet bei ärztlichen und anderen Gesundheitsorganisationen fand ich in deren Ratgebern diese Erklärungsweise. Entsprechend wird dann darauf reagiert und werden Massnahmen empfohlen. Wir behandeln auch entsprechend.
Mindestens vier Fragen stellen sich mir an dieser Stelle:
1. Wie kommt der Schleim oder Dreck an die Zwerchfelle, dass er dort einen Hustenreiz auslösen könnte? Oder sind dort die Hustenrezeptoren nutzlos, Überfluss, Falschentwicklung der Evolution, sinnlos?
2. Welchen Sinn ergeben Hustenrezeptoren in der Speiseröhre? Dort kommt eine Menge Schleim und Dreck vorbei. In diesem Falle nennen wir es Nahrung, Getränk, hoffentlich lauter geschmackvolle, schöne und nahrhafte Dinge. Nur, lösen die bei jedem Schluck Husten aus? Das wäre ja furchtbar. Diese Rezeptoren haben offenbar eine sehr sinnvolle Fehlfunktion eingebaut?
3. Viele unserer Patienten haben mehr oder weniger Reizhusten, also Husten ohne Schleim. Die vielen Virusinfektionen der Corona- und Nachcoronazeit haben uns das wieder stark vor Augen geführt. Da ist gar kein Schleim da (es kommt zumindest keiner heraus beim Hustenvorgang) und trotzdem leiden diese Patienten oft unter maximalem Husten. Husten können wir ja auch schwer unterdrücken.
4. Viele Asthmatiker husten schon bei geringen inhalativen Reizen wie feuchtkalter Luft, schwülheisser Luft, Gerüchen, Dämpfen, Stäuben etc. Feste Teilchen wie Schleim oder Dreck braucht es dazu gar nicht und hat es auch gar nicht.
Unser mechanistisches Weltbild scheint beim Husten, seiner Entstehung, seiner Funktion und seiner Wirkung wohl nur teilweise der Realität zu entsprechen. Natürlich ist es denkbar, dass über diesen Mechanismus Husten ausgelöst wird, aber dann müsste es auch noch andere Mechanismen geben, die zu Husten führen.
Eine weit verbreitete Vorstellung ist, dass Schleim in der Nase gebildet wird und nicht nur vorne heraus kommt, sondern auch hinten den Rachen hinunter läuft. Dort müsste der Schleim ja dann an den Hustenrezeptoren Husten auslösen. Wäre das sinnvoll, wenn das so wäre? Müssen Sie immer husten, wenn Sie dort Schleim merken? Achten Sie mal drauf. Müsste der Schleim nicht eigentlich dort Niesen auslösen und tut er das nicht auch tatsächlich? Unsere weitere Vorstellung: Der Schleim läuft dann hinunter und in die Lunge, weil die Lunge oft mit bei dem Infekt betroffen ist. Dazu müsste der Schleim aber die Stimmbänder im Kehlkopf passieren, so wie beim Verschlucken. Was passiert, wenn wir uns verschlucken? Es kommt zu heftigstem Husten. Viel wahrscheinlicher halte ich, dass der hinten herunter rinnende Schleim den Schluckakt auslöst, der dafür sorgt, dass der Eingang in die Luftröhre fein verschlossen ist und Speise, Getränk und eben auch Schleim den Abgang hinten in die Speiseröhre und in den Magen machen. Die Magensäure dort sorgt für Desinfektion und anschliessende Verdauung. Gar kein Problem. Gar kein Schaden. Sogenannte Aspirationen, also Schleim durch den Kehlkopf in die Luftröhre und Bronchien werden gelegentlich mal vorkommen und lösen dann heftigen Hustenreiz aus, wie wir uns ja auch leider mal verschlucken, aber regelrechte Krankheitsmechanismen auf diese Art? Ich habe da meine Zweifel. Die Verbindung der oberen Atemwege mit den unteren funktioniert sicher anders?
Natürlich müssen Ärzte und Gesundheitsorganisationen für uns als Volk die Zusammenhänge vereinfacht darstellen. Dann geht dabei aber auch Information verloren. Wir selbst haben ein anderes Bild, wie unser Körper funktioniert und verstehen die Darstellung in den Beschreibungen anders, als sie gemeint sind. Wir dürfen also das, was wir dort lesen, nicht einfach als „So ist es!“ verstehen und glauben. Ketzerische Frage: „Oder wissen es die Wissenschaftler und Ärzte selber nicht?“ Bei den Ärztinnen und Ärzten erlebe ich es sehr oft, dass wir es selbst nicht wissen. Unsere mechanistische Denkweise hat uns sofort auf ihrer Nerven- und Gedankenautobahn. So ist es. In Apotheken und bei anderen Gesundheitsdienstleistern nehme ich es ähnlich wahr. Bei den Wissenschaftlern selbst weiss ich es nicht.
Nun folgt als Konsequenz natürlich eine Dummheit. Dieses mechanistische Weltbild führt dazu, dass wir in der Apotheke und bei Ärzten gleich erstmal einen „Schleimlöser“ bekommen (Tabletten oder Saft eines Medikamentes, dass den Schleim lösen soll), selbst wenn der gar nicht vorhanden ist. Bei produktivem (Schleim auswerfendem) Husten hätte er einen gewissen Sinn, aber da kommt der Schleim ja schon heraus; aber bei trockenem Reizhusten (eben ohne Schleim)?
Andere verwenden ätherische Öle als Salbe auf der Brust, als Nasenspülung, als Dämpfe zum Einatmen, als Säfte und in anderen Formen. Unserer Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Aber unsere Asthmatiker sind auf den Bronchien sehr empfindlich, sehr leicht reizbar. Ätherische Öle sind da wunderbar geeignet, Reizhusten zu verursachen (den wir ja nun eigentlich verhindern oder heilen wollten). Unter Umständen führen die ätherischen Öle sogar zu mehr Atembeschwerden. Häufig angewandt führen die ätherischen Öle zu häufigem Reiz der Schleimhaut mit Verstärkung der Entzündung und dann auch noch vermehrter Schleimproduktion. Dann haben wir das Gegenteil von dem erreicht, was wir wollten. Wir können also auch nicht alle Patienten mit Husten einfach über einen Kamm scheren und nach Schema F mit allem, was vorhanden ist, behandeln. Vorsicht und Eingehen auf die Situation jedes Einzelnen ist nötig. Dazu muss ich ihn natürlich auch kennen, was in der Apotheke kaum der Fall sein dürfte, schon beim Arzt nicht immer.
Da stellt sich mir schon wieder eine Frage: Heisst, ich habe Husten, immer gleich, dass ich handeln muss und irgendwelche Massnahmen einleiten muss? Das reicht von viel trinken über gewisse Bonbons lutschen, Wickeln, Säften ... Wieder, der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Wäre es denkbar, dass wir einfach unserem Immunsystem vertrauen und abwarten, ob es das nicht völlig alleine schafft? Bei Menschen mit den „gesunden Genen“ (siehe oben) wird das in 80 bis 90 % der Erkrankungen funktionieren. Bei Menschen mit Asthma oder chronischer Bronchitis kann das in vielen Fällen anders sein, aber auch nicht immer.
Bei Asthmatikern kennen wir einen trockenen Reizhusten, sehr oft bei inhalativen Reizen. Eine sinnvolle Massnahme wäre, die Entzündung mit medikamentöser Behandlung zu dämpfen. Dann lässt der Husten oft mehr oder weniger gut nach. Aber beim Asthma denken wir an Atemnot. Husten als Zeichen von Asthma? Unbekannt.
(Ich habe Ihnen nun eigene Ansichten dargestellt. Bitte glauben Sie die auch nicht! Auch meine Ansichten sind nicht des Wissens letzter Schluss. Ich habe mehr Fragen als Antworten und leider haben wir Menschen noch viel weniger Lösungen als Antworten (auch wenn wir natürlich pausenlos damit beschäftigt sind, Anderen zu erklären, wie gut wir deren Probleme lösen). Aber wir tun, was wir können und versuchen, Ihnen zu helfen, wo wir können. Sich gegenseitig verstehen, ist eine Kunst. Realitätsnahe von unrealistischen Informationen zu unterscheiden ist fast unmöglich. Wir glauben einfach fast alles.)