Erdbebenversicherung

Wir basteln uns eine Erdbebenversicherung


Da leben wir nun bereits im 21. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Wir haben die Welt in den letzten 200 Jahren bereits um so vieles „besser“ gemacht, aber es ist uns bisher nicht gelungen, die Gefahren und Schäden von Erdbeben an Natur und Lebewesen und da besonders an uns Menschen, in den Griff zu bekommen. Das muss uns doch gelingen. „Wir schaffen das!“ Wir betreiben ordentlich Forschung, um Erdbeben zu verstehen und wir basteln uns eine Erdbebenversicherung, die uns in Zukunft vor den Schäden schützt. Das ist doch ein lohnendes Ziel, dessen Erreichen unsere Welt mit Sicherheit „besser“ macht, oder?

Was können und wollen wir denn versichern?

Verhindern werden wir Erdbeben kaum können. Das ist schon eine bittere und uns begrenzende Erkenntnis zum Anfang. Wir werden also die materiellen Schäden in der Weise versichern können und müssen, dass hinterher alles wieder aufgebaut werden kann.

Da stellt sich schon die 1. Frage: Zum Ist-Wert am Schadenstag vor dem Erdbeben oder zum Neuherstellungswert am Ende des Wiederaufbaus? Wie wollen wir denn wieder neu aufbauen? So wie es war oder jetzt nicht doch „erdbebensicher“? Na und ein bisschen schöner und moderner und mit mehr Technik dürfte es doch auch sein, oder? Das macht einen deutlichen Unterschied. Die KFZ-Versicherungen begannen mit einer Versicherung zum Neuanschaffungswert und sind inzwischen schon lange weitgehend beim Ist-Wert vor dem Unfall angelangt. Die Beitragskosten wurden zu hoch, aber als Geschädigter bekommt man auch viel weniger Ersatz. Bei den Fahrzeugen gab es Ist-Modelle mit festem Preis. Bei den neu zu bauenden Immobilien wird jede wieder etwas anders und man kann seiner Fantasie und seinen Ideen freien Lauf lassen (und Ideen haben wir viele), was bei der neuen alles besser werden muss und mit rein muss. Das verändert die Kosten nicht um Zahlen nach dem Komma, sondern multipliziert die Zahlen vor dem Komma. Und da Bescheidenheit eine Tugend ist, die wir als abschreckendes Beispiel ins Museum gestellt haben und keiner will sich anschauen, wie sie funktionierte und welche Folgen sie hatte, so dürfen wir sicher sein, dass der Wiederaufbau auf Kosten einer Versicherung eine willkommene Gelegenheit ist zur weiteren Selbstbereicherung.

Für die vielen Verletzten brauchen wir Suchtrupps, Transport, medizinische Hilfe im Krankenhaus, Invalidenhilfe für alle, die nicht wieder gesund werden und arbeiten können. Das bedeutet dann auch Kosten noch für lange Zeit nach dem Erdbeben. Es ist also doch nicht einfach mal so mit schnell und kurz und grosszügig getan, sondern es bleiben anhaltende Schäden und Hilfsbedarf. Der Schaden ist nachhaltig, unsere Hilfe meist eher nicht.

Für die vielen Toten brauchen wir natürlich Ersatz für die Bestattungskosten. Alle Begräbnisse müssen in angemessener Weise mit Würde ausgeführt und dann auch bezahlt werden, auch die Friedhofskosten für die nächsten 20 Jahre.

Für alle toten Ernährer und Erzieher einer Familie, egal ob Mann oder Frau, müssen die zu leistenden Zahlungen und Arbeiten für die Familie von der Versicherung übernommen werden. Auch das sind langfristig von der Versicherung zu tragende Kosten.

Für die Toten selbst, für die Schmerzen, Ängste und Einschränkungen der Verletzten und andere Schäden an Menschen können wir keine Wiedergutmachung in Form von Geld festlegen. Nicht alles auf dieser Welt ist mit Geld ersetzbar. Die wichtigsten Schäden, die an uns Menschen, bleiben unersetzbar. Das ist aber ärgerlich. Wir können gar nicht sinnvoll alles versichern?

Wie liesse sich aus dieser Auflistung von Schäden eine Schadenssumme zusammenrechnen, die am Ende versichert sein müsste, damit auch wirklich alle diese Schäden versichert sind? Keine leichte Aufgabe. Aber viel zu hoch angesetzt dürfte diese Summe auch nicht sein, denn sonst legen wir unnötig Geld in Form von unseren Beiträgen bei der Versicherung fest, wo wir das Geld doch sonst lieber für unseren eigenen Konsum nutzen könnten, für unseren eigenen Genuss? Zu niedrig darf die angesetzte Gesamtsumme aber auch nicht sein, sonst funktioniert die Versicherung gar nicht und ist im Schadensfall pleite. Dann ist das Geld weg und der Schaden doch nicht ausgeglichen.

In die Zukunft schauen kann auch eine Versicherung nicht, nicht mal eine Minute. Ob die Versicherungsmathematiker prophetische Gaben haben? Nach welchen Prämissen oder Vorurteilen und Formeln rechnen sie oder lassen sie rechnen? Gewinn braucht die Versicherung auch noch. Als Gemeinschaft der Beitragszahler müssen wir also mehr einzahlen, als wir am Ende als Gemeinschaft der Geschädigten herausbekommen. Na, das ist doch ein Skandal?! Nur, Vorsicht mit unseren Vorurteilen! Keine voreiligen Konsequenzen bitte!

Jede Versicherung, die für Schäden aufkommen soll, muss Geld von den Versicherten einsammeln und sparen. Wer oder was wäre denn zu versichern? Natürlich die Immobilien, die in Hochrisikogebieten für Erdbeben stehen. Wo sollten wir da die Grenzen ziehen? Wollen wir von den Forschern bestimmte Gebiete ausweisen lassen? Oder sollen alle Immobilien versichert werden, auf der ganzen Erde oder im ganzen Land? Sollen alle Immobilien zum gleichen Satz versichert werden oder wollen wir wie im KFZ-Wesen Versicherungsraten nach Schadensrisikoklassen führen? Im Hochrisikogebiet ist die Prämie höher als im Niedrigrisikogebiet? Dann würden vielleicht in Zukunft Immobilien eher in Niedrigrisikogebieten gebaut, was Sinn ergäbe? Aber könnten die Hausbesitzer in Hochrisikogebieten ihre Prämien überhaupt bezahlen? Die müssten ja wahrscheinlich sehr hoch sein? Da müssten wohl die Hausbesitzer in Niedrigrisikogebieten höhere Beiträge bezahlen, für die Besitzer in Hochrisikogebieten mit?

Für alte Häuser in Hochrisikogebieten würden wir vielleicht sehr hohe Prämien einführen, denn warum sollen alle Eigentümer von Immobilien in Niedrigrisikogebieten, die vielleicht auch noch sehr stabil und damit erdbebensicher, aber teurer gebaut haben, für die Dummen und Geizigen (oder auch nur Armen?) mit bezahlen, die unsicher in Hochrisikogebieten gebaut haben oder sogar noch bauen wollen? Sollen alle im Land gleich bezahlen müssen oder sollen alle entsprechend dem für sie geltenden Risiko bezahlen müssen? Könnte das Einer sicher berechnen und festlegen? Was wäre eigentlich gerecht, die eine Berechnungsmethode oder die andere oder sogar eine nicht bedachte dritte? Geht „gerecht“ überhaupt?

Nun haben viele Versicherte Beiträge bezahlt und es ist eine Menge Geld zusammengekommen. Was mit dem Geld tun? Diebe, meist in Weiss und mit weissen Handschuhen und völlig unschuldigen Gesichtern und Händen, gibt es überall. Wo viel Geld ist, wird der Wert des Geldes geringer, auch wenn der Zahlenwert auf den Banknoten gleich bleibt. Inflation? Wir müssen also das viele Geld anlegen, natürlich risikoarm und schnell verfügbar. Soll es Zinsen bringen, müssen wir es verleihen zu lukrativen Zinskonditionen. Das würde dazu führen, dass wir viele Darlehensnehmer bräuchten, die die lukrativen Zinsen für uns bezahlen müssten, ohne selbst davon arm oder sogar zahlungsunfähig zu werden. Das geht nur mit reichen Menschen, aber das Problem sind doch gerade die vielen Armen.

Wir könnten das Geld natürlich auch am Aktienmarkt anlegen. Solange dort Luftgeld und Inflation die Kurse in die Höhe treiben, sind wir alle glücklich und von Sinnen. Aber wenn wir uns selbst die viele Luft im Geld und die Inflation nicht mehr glauben können und wollen...? Dann ist das Geld für die Erdbebenopfer nicht einmal mehr halb so viel Wert. Dann darf aber kein Erdbeben kommen, oder?

Nun ist das unglaubliche wieder passiert. In dicht besiedeltem Gebiet hat die Erde heftig gewackelt und viele Häuser sind teilweise eingestürzt und haben Tausende unter sich begraben. Geld ist da, aber wo die Helfer hernehmen? Der Staat konnte gar nicht so viele Spitäler, Rettungswagen, Ärzte und Personal für diesen seltenen Fall vorhalten, weil einfach die Kosten für ihn, damit ja für uns, zu hoch gewesen wären. Nur damit diese Hilfsmittel zweimal in 100 Jahren zur Hilfe vorhanden sind, können wir nicht das viele Geld damit festlegen. Das rechnet sich ja gar nicht. Zum Glück können wir ja die vielen Helfer und Hilfsmittel auch für andere Dinge oder Ereignisse nutzen, aber dann sind sie im Bedarfsfall auch gar nicht einfach da, weil sie woanders im Einsatz sind.

Beim Retten von Menschenleben unter den Trümmern geht es um Stunden. Da muss überall schweres Gerät bereit gehalten werden und das in ausreichendem Masse. In solch einem Falle braucht es sehr viel, aber wir können nicht über Jahrzehnte das alles im Lager vorhalten und alle und alles bezahlen, damit es zweimal im Jahrhundert für den eingetretenen Notfall da ist. Wer kann das dann?

In solch einem Falle brauchen wir viele Krankenhäuser mit Ausrüstung und Personal. Aber sonst wurden die ja nicht gebraucht und wurden die uns viel zu teuer, so dass wir sie aus gutem Grunde eingemottet hatten. Mal schnell aus dem Boden stampfen können der Staat und wir sie nicht.

Und dann muss es an das grosse Aufräumen und den Wiederaufbau gehen. Grosse Firmen mit vielen Ressourcen und Personal werden jahrelang damit beschäftigt sein. Was, jahrelang? Wir wollen doch aber nach zwei Monaten alles wieder aufgeräumt und bezugsfertig wieder aufgebaut haben. Wer ist da so faul, dass das nicht schneller geht? Wahrscheinlich niemand. Wir sind einfach Menschen mit Grenzen. Selbst unser Sozialstaat ist begrenzt und das lässt sich auch nicht ändern. Die Grenzen werden wir jetzt merken.

Und nun zum Schluss: Alles hat gut geklappt. Alle sind glücklich, dass der Wiederaufbau schneller ging, als vorher geplant. Die Verletzten sind kurz- und langfristig gut versorgt. Die Wirtschaft hat nur kurzfristig einen Dämpfer erhalten. Wir rechnen mal die Summe Geldes zusammen, die das Erdbeben gekostet hat: Eine 3 mit 10 Nullen (30.000.000.000) bei einer Einwohnerzahl von einer 1 mit 8 Nullen (100.000.000). Das bedeutet doch, dass jeder Einwohner dieses Landes, solche mit hohem Risiko und solche mit niedrigem Risiko, Arbeitsfähige genauso wie Kinder, Rentner und Kranke, Sozialhilfeempfänger, Reiche wie Arme, jeder mit 300 Mäusen dabei war, also die meisten Familien mit einem Tausender. Zählen wir mal die Zahlungsfähigen in einem Volk zusammen, dann machen sie gegenüber den nicht Zahlungsfähigen nur unter sehr günstigen Umständen mehr als die Hälfte aus. Das bedeutet für jeden zahlungsfähigen Familienvater eher 2 Tausender statt einem. Wenn wir das nicht direkt so abrechnen, dann über den Staat, aber dort funktioniert es über die Steuern sehr ähnlich, nur mit zusätzlichen Kosten. Die Versicherung macht den Schaden nicht weg, wie wir uns das doch erhofft und erträumt hatten, sondern sie verteilt die Schadenssumme nur gleichmässiger auf alle Einwohner, sogar nur mehr oder weniger gerecht, je nach dem, von welchem Standpunkt wir das betrachten, in der Realität sogar völlig ungerecht. Die Bescheidenen (deshalb meist Ärmeren) zahlen für die Unbescheidenen (deshalb meist Reicheren) mit und die Unbescheidenen (deshalb meist Reicheren) nehmen völlig selbstverständlich von den Bescheidenen (deshalb meist Ärmeren), oft sogar, ohne das selbst wahrzunehmen, dass sie das so tun. Für sie ist das völlig selbstverständlich, dass das so geht und dass man damit nicht Andere mehr belastet.

Solch eine Versicherung ist also eher nicht eine Versicherung, sondern eine Schadensverteilorganisation. Weg ist das Geld für Sie als Versicherten auf jeden Fall. Ob Sie dann eine Schadensregulierung entsprechend Ihren Wünschen auch bekommen, steht auf einem anderen Blatt. Die Wahrscheinlichkeit ist extrem hoch, dass Ihre Wünsche nicht erfüllt werden, die des Anderen aber zumindest teilweise eben doch oder sogar noch viel mehr. Daran kann kein Versicherungsmanager, kein Wirtschaftsboss, kein Politiker etwas ändern, nicht einmal ein Reicher. Der könnte sicher einmalig einen solchen Schaden regulieren, aber mit vielen nachteiligen Nebeneffekten, die wir auch nicht haben wollten, wenn wir von ihnen wüssten. Solche Schadensfälle aber gibt es öfter. Gewünscht und gefordert ist solch eine Versicherung schnell, von Bürgern und Politikern und wem auch immer. Wünsche und Träume und dann auch Theorien, wie das machbar sein müsste, haben wir immer. Die Realität sieht jedoch erheblich anders aus und erst in der Realität kann sich solch ein Instrument dann als möglich herausstellen oder gar bewähren. Wie gut so etwas funktioniert, werden wir in den nächsten Jahrzehnten an unseren Renten- und Krankenversicherungen sehen. Sie bzw. wir werden es erleben, unvermeidlich, denn wir erleben nicht unsere Wünsche, Träume und Theorien, sondern die Realität.

Wir können nicht solche Schäden wegmachen, ohne dass wir die entsprechenden Kosten doch selbst tragen müssen. Damit haben wir den Schaden eben nicht weggemacht, versichert, sondern nur anders verteilt. Ach so?

Kosten aber haben wir doch heute schon genug, oder nicht? Dinge, die wir uns leisten wollen, müssen wir selbst erarbeiten, auch über den Umweg von Dritten wie dem Sozialstaat oder Sozialversicherungen, staatsnahen Betrieben etc. Wenn wir aber mehr nicht mehr erarbeiten wollen oder können, dann ist der Höhepunkt des Wohlstands, der für uns Menschen als Gesamtheit, als Menschheit erreichbar ist, erreicht. Mehr geht nur für Einzelne auf Kosten Anderer, so wie das früher war mit einem Herrscher und seinem Volk. Nun ist der Ring wieder frei für den Verteilungskampf auf Kosten der Anderen und weil ich auch ein Anderer bin, auch auf meine Kosten.

Bitte nehmen Sie es unseren Regierungen nicht übel, wenn die nicht einfach so eine Erdbebenversicherung schaffen können. So einfach ist das nicht, wie wir uns das als Bürger denken. Schon unser Sozialstaat ist gar nicht so zu organisieren, wie wir uns das wünschen und unsere Versicherungen funktionieren auch nicht so.

Denken Sie bitte immer daran: Ich bin nur ein alter, dummer, weisser Mann. Die Experten, die Ihnen solch eine Versicherung zukunftssicher und nachhaltig ganz professionell bauen und nicht nur basteln, die sitzen gut bezahlt in den Universitäten, den Hochschulen, den Denkfabriken, Kaderschulen und Start-up-Schmieden sowie Versicherungen. Was ich gedanklich als unmöglich erkenne, dass können die Ihnen in der Realität mit Sicherheit schnell und zukunftssicher bauen.

Sie aber haben heute meine Ansicht gelesen: Versicherungen sind gar keine Sicherungen, sondern Kostenverteilungen und die Kosten bleiben doch an uns hängen, es sei denn, wir schaffen es, die Anderen und die Gesamtheit unbemerkt zu betrügen und so unseren eigenen Egoismus auf Kosten der Anderen auszuleben. Die sind am erfolgreichsten, die das schaffen, ohne sich dessen selbst bewusst zu werden, denn die behalten dabei sogar ein reines Gewissen.


15 September 2024
wf