Unsere Welt hat viele Fehler. Zumindest empfinden wir das so. Das muss sich ändern. Oder sehen Sie das anders?
Jede Generation oder jede Gruppe von Generationen hat so ihre Modemethode, mit der sie das ändern, die Welt besser machen will.
Die Jahrhunderte nach dem Ende des Mittelalters fanden diese Methode im Erobern der Welt und in der Befreiung durch die Auswanderung in andere Länder und damit Inbesitznahme von Land, das den Eroberern und Auswanderern gar nicht gehörte.
Im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand man die Lösung in der Industrialisierung, der Mechanisierung, der Nutzung mechanischer Kräfte (Dampf, elektrischen Strom, fossile Brennstoffe).
In den letzten vierzig Jahren hat sich zunehmend die Digitalisierung entwickelt. Inzwischen ist sie das Licht der Welt, das Mittel, das alle Probleme löst. Nach einer rasanten Anfangsentwicklung bei unbegrenztem Optimismus zeigen sich aber zunehmend bremsende Faktoren.
Plötzlich sind wir in der Entwicklung zu langsam, zu weit hinterher. Das ist in der Schweiz so, in Deutschland und ich möchte das Land sehen ausser den USA, das hier nicht auf die gleiche Liste gehört. Die Ausnahme der USA hat völlig andere Gründe, die wir hier und jetzt nicht durchdenken müssen. Ein anderes Mal.
Die Digitalisierung hat aber ein ähnliches Kaliber wie die erstgenannten Methoden. Die Digitalisierung beruht auf der Schaffung einer Parallelwelt zur realen Welt, einer digitalen Welt. Das ist an sich ja nichts schlimmes. Jeder Traum, jede Theorie ist so etwas ansatzweise und wie viele Träume und Theorien hat unsere Gesellschaft nicht schon überlebt (allerdings auch mit zig Millionen Toten)? Die digitalisierte Welt, wie sie sich heute offenbar viele junge Menschen, Wissenschaftler, Politiker und Unzufriedene vorstellen, geht aber deutlich darüber hinaus. Sie will die reale Welt erfassen, in digitaler Form abbilden und dann verändern. Sie wird es tun, aber mit welchem Ergebnis?
Schon beim Erfassen der realen Welt tun wir Menschen uns seit mindestens 3000 Jahren sehr schwer. Je nach philosophischer oder religiöser Ausrichtung kommen völlig unterschiedliche Ansichten zustande. Die ganz Selbstbewussten beanspruchen dann auch noch, dass ihre Ansichten „Wissen“ oder „Wahrheit“ seien, also in Übereinstimmung mit der Realität. Erlauben Sie uns, das ein wenig zu hinterfragen?
Dann soll die Realität in digitaler Form abgebildet werden, wie bisher in Sprache und in mathematischer Darstellung resp. Formulierung. Natürlich glauben auch da die Optimisten und die Nutzniesser dieser Methoden, in Übereinstimmung mit der Realität zu sein. Wer kritischer und intensiver mit diesen Darstellungsversuchen umgeht, merkt jedoch, wie schwierig das ist und dass doch ein erheblicher Graubereich zwischen der Realität und den Darstellungsversuchen (Sprache und Mathematik) zurückbleibt. Die Realität entzieht sich unserem Zugriff auf diese Weise erstaunlich hartnäckig. Es stellt sich die Frage, ob das nicht sogar evolutionäres System ist, das wir als Menschen in Gegenüberstellung zur Welt gar nicht überwinden können.
Da kommt nun die Digitalisierung mit dem Anspruch „Wir bilden die Realität 1:1 ab und verlagern unsere Kommunikation und vieles mehr (Steuerung, Regelung, Bildgebung, Berechnung, ja selbst Intelligenz) einfach in die digitale Welt. Dann ist alles gut (oder wenn schon nicht „gut“, dann wenigstens „optimal“!)“
Allem Anschein nach hat sich dieser Ansatz so in unseren Köpfen festgesetzt, dass jede Art von kritischem Denken, geschweige denn Nachdenken völlig ausgeschaltet ist. Hier verkennen die Vorbilder, die Influencer, die Meinungsmacher, die Wissenschaftler und Experten, die Medienschaffenden völlig die Lage und keiner der Nachgeordneten stellt Fragen? Da haben uns gerade in der Corona-Krise die digitalen Methoden sehr eindrücklich demonstriert, wie aufwändig, zeit- und kostenintensiv, bürokratisch und nur eingeschränkt effektiv die digitalen Methoden sind und uns fällt nur ein: „Wir müssen noch schneller, noch intensiver, mit noch mehr Geld, wir müssen Vorreiter sein, ...“ Kann die digitale Technik, die digitale Welt überhaupt die reale Welt 1:1 abbilden, geschweige denn verbessern? Wenn nicht, dann sollten wir das doch auch gar nicht von ihr erwarten?! Der Aufwand, die Zeit, das liebe Geld wären (nein, sind) doch auf die Strasse geworfen oder wären und sind es zumindest teilweise.
Müssen wir nicht längst an unserer menschlichen Intelligenz zweifeln? Natürlich sehen wir Menschen bei fast allen Dingen zuerst die Vorteile. Es nützt mir jetzt, also ist es gut, vor allem, wenn ich damit Geld verdiene oder ich mich gut fühle. Welche Kollateralwirkungen (ich spreche mal noch gar nicht von Kollateralschäden) solche Techniken und Methoden haben, interessiert uns noch gar nicht. Wenn dann doch solche Schäden offenbar werden, leugnen wir sie. Wenn die Kosten steigen, schieben wir sie unseren Kindern in Form von Staatsschulden in die Schuhe. Wir wollen nur den Nutzen, wir sehen nur den Nutzen, wir kennen nur den Nutzen! Nach uns die Sintflut!
Schauen wir doch heute auf den freudevollen Gebrauch der fossilen Brennstoffe. Was haben uns diese Brennstoffe an Einkommen, an Bequemlichkeit, an guten Gefühlen gebracht! Wahre Wunderkräfte. Wir (auch ich) haben sie genossen. Nach der Party haben wir nun die Rechnung im Briefkasten und keiner will sie zahlen. Da folgt auch schon die nächste, die digitale Party?!
Wohlgemerkt, ich glaube nicht, dass die Nutzung digitaler Techniken prinzipiell böse, schädlich, teuflisch oder was immer man jetzt an schlechten Adjektiven finden kann, ist. Wir sollten uns aber klar sein darüber, dass diese Technik auch nach 40 Jahren noch neu ist, dass sie Wirkungen haben wird und sicher nicht nur nützliche und dass die Rechnung kommen wird. Also am besten keine neuen Schulden vorher (und das ausgerechnet in der Corona-Krise).
Achten Sie darauf, dass Sie sich in der digitalen Welt nicht völlig verirren. Wir sind inzwischen völlig abhängig von guten Führern in der digitalen Welt, ohne beurteilen zu können, wer und was „gut“ ist. Wir neigen laufend zur Selbstüberschätzung, vor allem Männer und Frauen laufen einfach mit.