Börse

Unsere Wirtschaft ist gekennzeichnet durch eine Menge Aktivitäten, die ein Einzelner gar nicht leisten kann, weder finanziell den Aufwand stemmen, noch allein die ganze Arbeit leisten kann (Idee haben, Gründung vollziehen, Organisieren, Vertrieb der Produkte etc.).

Aus diesem Grunde wurden verschiedene Organisationsformen von Wirtschaftseinheiten geschaffen, die Zusammenarbeit mehrerer oder vieler Menschen ermöglichen soll mit dem Ziel, Produktion und Vertrieb zu Nutzen aller Menschen im Land zu ermöglichen. Da gibt es Personengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften und andere. Oder wollten die Akteure doch eher mit diesen Aktivitäten nur mehr Geld verdienen, vielleicht auch beides?

Für das Wohl Aller zusammen wäre damit eigentlich schon genug getan. Aber das würde viele Absprachen und gegenseitige Rücksichtnahme erfordern und würde Handel erfordern, der nur mit Naturalien im Austausch geschieht. Zum Glück gibt es Geld. Das erleichtert den Wechsel von Leistungen und Gegenleistungen im System und in solchen Organisationen und in der ganzen Gesellschaft ungemein. Das Geld hat uns in der Form, wie wir es heute glauben, benutzen zu können und auch gebrauchen, zu einem Wohlstand verholfen, den es in seiner Breite und in seinem Ausmass vermutlich auf der Erde bisher nicht gab.

Aktiengesellschaften sind gut geeignet, grosse Geldsummen einzusammeln für teure und grosse Unternehmungen. Menschen geben Geld und bekommen dafür einen Anteilsschein, eine Aktie oder entsprechend viele Aktien. Diese Aktie bezeugt den Besitz eines Anteiles des Unternehmens. Namensaktien bezeugen auch noch das Recht, mit der eigenen Stimme bei den Aktivitäten des Unternehmens mitreden zu dürfen. Das ähnelt etwas der Demokratie. Und die Aktie bezeugt das Recht auf einen Gewinnanteil, unter Umständen auch auf einen Verlustanteil, wenn das Unternehmen nicht so funktioniert, wie wir uns das Alle zusammen vorstellten, wenn es also zahlungsunfähig wird. Oft wurde das auch rechtlich ausgeschlossen, denn die Verluste müssen natürlich immer die Anderen haben, aber die Gewinne wir.

Wenn man selber wieder Geld braucht oder einfach nicht mehr mitmachen will oder aus anderen Gründen, dann gibt man die Aktien an die Aktiengesellschaft zurück und bekommt dafür seinen Einsatz. Aber wie hoch wäre jetzt ein angemessener Preis für die Aktie? Einfach den Einstandspreis vom Anfang? Dazwischen hat sich unter Umständen eine Menge verändert. Hat die Aktiengesellschaft eine gute Position im Markt mit guter Qualität bei der Arbeit, aber trotzdem niedrigen Produktionskosten und vielleicht sogar noch gutem Gewinnanteil bei den erlösten Preisen, dann dürfte der Wert der Aktie in Geld höher liegen als zu Anfang. Umgekehrt wird das auch gelten.

Man kam auf die geniale Idee, einen Markt für die Aktien aufzubauen, an dem diese Aktien einfach gehandelt werden konnten und wo Preisverhandlungen stattfanden. Die Zahl der Aktiengesellschaften nahm zu und die Zahl der Interessenten an Aktien auch. So wurde eine Börse eingerichtet und inzwischen viele Börsen. Sie sind vernetzt, inzwischen digital. Der Handel geht sehr schnell und zwischen vielen Interessenten und die Geldmengen, die damit umgesetzt wurden, nahmen immer mehr zu.

Das Gründen von Gesellschaften wie auch das persönliche Arbeiten zum Angebot von Waren oder Dienstleistungen ist in aller Regel teilweise eine Wette in die Zukunft. Haben der Gründer und seine Mitstreiter die Lage sehr realistisch eingeschätzt, passen Qualität, Produktionskosten und Erlös neben weiteren Einflussfaktoren gut zueinander, dann ist die Zukunft für die Unternehmung dieses Gründers rosig. Lag die Einschätzung weit daneben, vor allem zu Ungunsten von Gewinn, dann ist eine baldige Zahlungsunfähigkeit sehr wahrscheinlich. Dazwischen gibt es viele Verläufe, die mehr oder weniger günstig für den Gründer und seine Mitstreiter sind.

Die Börse macht aber eine weitere Wette in die Zukunft möglich, die eines steigenden oder fallenden Aktienpreises. Jede Unternehmung funktioniert wie ein Roulett, das wir mehr oder weniger gut beeinflussen können. Die Börse aber schafft ein weiteres Roulett, quasi ein Roulett zum Quadrat. Laufen die Geschäfte der Aktiengesellschaft gut, wird sehr wahrscheinlich auch der Wert der Aktien steigen. Da aber weitere Faktoren Einfluss haben, wie politische und wirtschaftliche Entscheidungen von Regierungen und kriegerische Auseinandersetzungen und Einflüsse von Monopolisten und Anderen, können wir uns auf diese Regel nicht verlassen. Umgekehrt ist das nicht anders.

So trägt die Börse eine Menge Merkmale eines Glücksspiels, sogar teilweise eines doppelten Glücksspiels.

Da wir im Wesentlichen das geniessen können, was wir auch erarbeiten und darüber hinaus kaum, sind unsere Genüsse ziemlich eingeschränkt. Wenn wir andere Menschen ausbeuten können, sodass wir auf ihre Kosten geniessen können, dann haben wir ein bisschen mehr Genusschancen. Aber wenn wir keine Menschen ausbeuten können, dann müssen wir uns selbst ausbeuten. Das ist vor allem bei armen Menschen der Fall. Sie haben niemanden zum Ausbeuten. Wohlhabendere oder gar reiche Menschen haben meist Möglichkeiten, Andere auszubeuten. Sonst verarmen sie auch bald. So war es offenbar schon in früheren Jahrhunderten eine willkommene Chance für ärmere Familienväter und Männer (selten Frauen), dem Glücksspiel zu frönen. Wenn man mal die Mechanismen des Glücksspiels durchspielt, dann ist es eine willkommene Chance, mehr Geld loszuwerden, als zu bekommen. Für die Mehrheit funktioniert es so. Für die Minderheit erbringt das Glücksspiel mehr Gewinn als Einsatz. Zu welcher Gruppe man selbst gehören wird, weiss man hinterher, aber die Wahrscheinlichkeit spricht stärker für die erste Gruppe als für die zweite. Das ist der Grund für das Glücksspiel vieler eher armer Leute, die damit noch ärmer wurden. Der eigentliche Gewinner war in der Regel der Anbieter des Glücksspiels, weshalb nicht selten Herrscher sich dieses Recht sicherten.

Sehr schön und überspitzt wird das von Jaroslav Hasek in „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ beschrieben, der die Verhältnisse in der Zeit des ersten Weltkrieges in Osteuropa beschreibt. Die Regel wird aber auch heute noch so gelten.

Wir werden wohl davon ausgehen müssen, dass Gewinne nicht auf Bäumen wachsen. Gleichfalls werden auch glücklicherweise Verluste nicht auf Bäumen wachsen. In den meisten Fällen werden die Verluste des Einen Gewinne des Anderen sein und umgekehrt. Wenn das tatsächlich so ist, dann gilt das auch an der Börse. Die Kurse steigen nicht, es sei denn, es kommt Geld von aussen ins System, vorhandenes Geld der Aktieninhaber oder geliehenes Geld der Aktieninhaber, -käufer oder -verkäufer. Eingesetztes Geld des Einen kann so auch die Kurse der Anderen mit sich in die Höhe ziehen. Solange das Spiel von allen gespielt wird und alle Teilnehmer Geld einsetzen können und an weitere Gewinne glauben, lässt sich das Spiel fortsetzen. Aber in den Kursen ist durch diese Nebengewinne eine Menge „Luftgeld“ unbekannter Menge enthalten. Keiner weiss, wie viel das ist und keiner kennt die zukünftige Entwicklung. Entsteht eine Situation, die zu einem Ende des Vertrauens oder Glaubens führt, dann ist Einer der Gewinner (vielleicht auch ein paar mehr) und die meisten Anderen sind um das „Luftgeld“ geprellt und die Wahrscheinlichkeit, dass die Summe des noch geretteten Geldes geringer ist als der vormalige Einsatz, ist hoch. Durch Verkauf und Kauf von Aktien und Derivaten oder anderen Papieren lässt sich dieses „Luftgeld“ sogar veräussern, verschieben, Anderen unterjubeln. Haben Sie, weil die Kurse hoch waren und alle nach den Aktien riefen, auch welche gekauft und später liess das Interesse nach und die Kurse fielen, dann verflüchtigt sich das Luftgeld bei Ihnen plötzlich. Da Aktiengewinne, wenn Sie Glück haben, auch Aktienverluste (manche Länder schliessen das aus guten Gründen allerdings aus, damit Sie den Schwarzen Peter behalten) inzwischen auch versteuert werden, kann sogar „Luftgeld“ zu Steuern werden. Und in die Bilanzen von Firmen, Banken und Selbstständigen werden die Kurse einschliesslich des Luftgeldes mit eingerechnet. Mancher Finanzhäuptling hat sich da schon gewundert, was das für Auswirkungen haben kann.

Der nominale Wert einer Aktie, also die Zahl des Wertes, die der Aktienkurs gerade zeigt, ist nicht der reale Wert der Aktie.

Wenn Sie Aktien mit hohen Kursen besitzen und diese verkaufen, dann können Sie unter Umständen eine Menge Geld flüssig und den Wert real machen. Das gelingt aber erst beim Verkauf. Mit diesem Akt haben Sie alle Risiken und alles „Luftgeld“ (und Inflation spielt da wahrscheinlich auch noch eine Rolle) an die Käufer Ihrer Aktien mit verkauft. Sie haben nun real das Geld, aber keine Chance mehr auf Gewinn oder Verlust an der Börse. Je nach Inflation sinkt der Wert Ihrer Summe ab jetzt. Die Börse aber lebt vom „Luftgeld“ und von der Inflation, denn nominal müssen die Kurse steigen. Sonst werden die Anleger enttäuscht und mürrisch. Weggehen werden viele Anleger trotzdem nicht, denn was sollen die vielen Anleger denn sonst mit ihrem vielen Geld tun? Woanders wieder anlegen? Die Gewinne von Unternehmungen ohne Ausbeutung werden meist in der Höhe eines freiwilligen Trinkgeldes liegen.

Der Clou ist, dass Sie als erster vor dem Crash verkaufen müssen zum hohen Kurs. Sie müssen also Ihrer Zeit voraus sein. Das ähnelt dem Sicherheitsabstand im Strassenverkehr. Deshalb sind ja Insider-Geschäfte verboten (und werden möglichst unbemerkt doch getan, denn ausser Pech und Glück haben Sie sonst keinen Einfluss auf Ihre Gewinne oder Verluste). Damit die Teilnehmer schneller sind, wurde fast alles digitalisiert und maschinell gesteuert. Ich wünsche Ihnen, dass im Ernstfall Sie schneller sind als die Maschinen oder dass Ihre Maschinen schneller sind als die Maschinen der Anderen.

Sie müssen also mindestens 10 Minuten vor der Gegenwart sein mit Ihren Kenntnissen der Situation. Wir können, besser, ich kann aber nicht eine Minute in die Zukunft schauen. Sonst bräuchten wir beim Autofahren keinen Sicherheitsabstand einzuhalten. Eine Vorausschau um nur eine Minute würde uns in vielen Fällen ermöglichen, einen Unfall zu verhindern. Es geht eben nicht. Unsere Gegenwart an der Börse ist in den letzten hundert Jahren von wenigen Stunden inzwischen auf hundertstel Sekunden geschrumpft, nämlich die Reaktionszeit der Maschinen.

Was, wenn Sie verkaufen wollen, aber es will aus der Situation heraus gar keiner kaufen? Sie können hier selbst noch etwas weiter spinnen. ...

Nun haben Sie Ihre Rente an die Börse gekoppelt. Die Aktien-Rente ist doch eine gute Idee, oder? Solange alles in Ihrem Sinne läuft, klappt das, aber wenn … „Luftgeld“ in Renten? Keiner weiss, wie viel das sein wird. In „guten“ Zeiten wird das gelingen, aber nach dem Crash? Nun ahnen Sie, was von einer Aktien-Rente zu halten ist, oder? Sonst wurde mir immer geraten, beim Rentensparen grössere Risiken zu vermeiden.

Noch eine Überlegung kommt dazu: Wenn des Einen Gewinn des Anderen Verlust ist, dann gilt das auch an der Börse. Ziehen wir mal das „Luftgeld“, die Mitnahmegewinne durch hohes Interesse an den Aktien ab, dann dürfte das weitgehend ein 0-Summen-Spiel zwischen den Börsenteilnehmern sein. Geringe Gewinne mögen drin sein. Höhere Renditen als normale Zinsen in der Höhe eines freiwilligen Trinkgeldes werden es kaum sein. Sonst müsste ja ein Teil der Teilnehmer ausgebeutet, übervorteilt oder ähnliches werden, weil Sie ja den Gewinn haben wollen und er damit den Verlust untergejubelt bekommen muss. Achten Sie darauf, dass Sie immer Teilnehmer um sich haben, die Sie ausbeuten können und das muss natürlich unbemerkt geschehen. Sonst lohnt sich die Börse für Sie nicht. Deshalb sind ja die Kleinanleger an der Börse so wichtig. Und umgekehrt: Seien Sie immer sehr wachsam, dass nicht plötzlich und sicher unbemerkt Sie ausgebeutet werden. Sonst ist das Glücksspiel für Sie ein Pechspiel.

Kürzlich las ich, dass die Börse durch die Digitalisierung demokratisiert worden ist. Jetzt kann Jeder auch mit kleinen Beträgen digital dran teilnehmen. Da ist natürlich etwas dran. Aber dann achten Sie bitte darauf, dass die Gebühren nicht gestaffelt nach Anzahl der gekauften Aktien oder nach Umsatzmenge erhoben werden, denn sonst zahlen Sie als Kleinanleger die höchsten Gebühren. Die Reicheren zahlen weniger. Dann lesen Sie ein paar Börsenzeitungen und -Ratgeber. Wie viele Kleinanleger haben wohl Verluste eingefahren, wenn einer der Grossen auch nur einen Teil seiner Aktien zu hohem Kurs hat veräussern können? Nun haben viele Kleinanleger den Schwarzen Peter, den realen Preis plus das „Luftgeld“ und vielleicht auch noch Inflation. Vielleicht ist damit ein Teil des „Luftgeldes“ schon heraus? Dann sind aber auch die Kurse niedriger. Haben Sie dann Geld verloren oder sind die Kurse nur dem realen Wert näher gekommen oder Beides?

Börsenkurse setzen sich zusammen aus einem Sockel an realem Geld (vielleicht bekannter Menge), einem Teil „Luftgeld“ (unbekannter Menge) und sehr wahrscheinlich auch einem Anteil Inflation (unbekannter Menge), den meines Erachtens noch gar niemand misst und wahrscheinlich auch gar keiner messen kann.

Viel Spass und Erfolg an der Börse und wenn es doch so enden sollte, wie bei Jaroslav Hasek in „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“, dann … Ja, was dann? Das Gesetz hätte dem Bankführer ein Drittel des realen Geldes und der Darlehen und des Luftgeldes versprochen. Können Sie sich vorstellen, wie viel mehr er tatsächlich bekommen hat als das Drittel des realen Geldes in der Bank? Vielleicht haben die Gerichte noch einen Teil der Darlehen eintreiben können und von diesem eingetriebenen Geld ein Drittel an den Bankführer auszahlen können. Das Geld aber hätten die übrigen Teilnehmer des Glücksspiels erst noch erarbeiten müssen, denn sonst hätten sie es ja nicht als Darlehen aufnehmen müssen. Entspricht das nicht den Auswirkungen von Ausbeutung? Sie nehmen als Spieler am Glücksspiel oder der Börse teil und kommen als Ausgebeuteter wieder heraus? Da ist doch etwas schief gelaufen, oder? Oder hatten Sie nur falsche Vorstellungen, falsche Vorurteile vom Glücksspiel, das auch Börse genannt wird?

Wir haben heute alte Börsengurus, Milliardäre, die jahrzehntelang erfolgreich waren an der Börse und den Wert ihrer Unternehmen durch Handel und Halten an der Börse vermehrt haben. In Zeiten des Wirtschaftswachstums, der zunehmenden Geldmenge durch Inverkehrbringen von Geld durch die National- und Internationalbanken sind Gewinne auch überdurchschnittlich wahrscheinlich. In Zeiten des Rückganges ist es aber umgekehrt. Im Falle eines Crashes kann danach für die Überlebenden wieder eine neue Wachstumsphase kommen. Wenn aber die Rezession langsam geht und lange anhält, dann verflüchtigt sich das „Luftgeld“ langsam und stetig.

Was können wir tun?

Wenn Sie weiter machen an der Börse, haben Sie eine kleine Chance, den grossen realen Gewinn zu machen. Die Chance wird immer schmaler, je höher Sie steigen. Wenn Sie aber zu spät aussteigen, dann war alles nur heisse Luft und Inflation, mit viel Glück mit einem kleinen Teil Restwert. Mit Pech landen Sie im Gefängnis und sind zahlungsunfähig.
Steigen Sie aus, können Sie zumindest den derzeitigen Gewinn oder Verlust „realisieren“, also in realen Wert oder Nichtwert umwandeln. Dann haben Sie aber auch keine Chance mehr auf den grossen Gewinn, so schmal die Chance auch war oder ist.
Steigen Viele aus, so bricht das System zusammen und die Luft verpufft. Der Teil, der Inflation war, wird sich in die Wirtschaft, die Produktion und den Konsum ergiessen und wird dort seine Wirkung entfalten und unsere Notenbanken werden kaum Einfluss darauf haben, egal, was sie tun.
Ohne Börse werden wir bescheiden mit Gewinnen und Verlusten miteinander wirtschaften und konsumieren, die im freiwilligen Trinkgeldbereich liegen. Höhere Gewinne sind ohne Börse selten und verursachen an anderen Stellen entsprechende Verluste, wenn Sie Pech haben, im Wirtschafts- und Finanzkreislauf sogar wieder bei Ihnen. Denn auch unser „normales“ Leben, Wirtschaften und Konsumieren ist solch ein Glücksspiel.


21 May 2024
wf