Fake-Begriffe 11/2019

Nachtrag zum Pneumo-Update 2019


Führende deutschsprachige Pneumologen informierten über die neuesten Entwicklungen in unserem Fachgebiet. Die Veranstaltungen waren sehr informativ, hoch interessant und praxisrelevant.


Einige Dinge am Rande, die mir auffielen:

Vorgestellt wurde uns ein Roboter, der neuerdings bei Operationen an der Lunge eingesetzt wird. Es wurden Bilder gezeigt und die Funktionsweise erklärt. Da gibt es also eine Art von kleinstem Bagger mit vielen kleinen, sehr fein und in viele Richtungen erstaunlich gut beweglichen Armen, die nach dem Anlegen der kleinen Hautschnitte in den Brustkorb eingeführt werden und dort die erforderlichen Handlungen sehr sauber und detailliert ausführen. Doch dann kam der Hit: Der Chirurg sitzt nicht etwa nebenan in der Cafeteria und trinkt Kaffee während sein Roboter selbstgesteuert die Operation ausführt und hinterher schlägt ihm der Chirurg auf die Schulter «Hast Du gut gemacht!». Nein, der Chirurg setzt sich an den kleinen Bagger und führt mit seinen Händen und Fingern die kleinen Hebel wie einen Joystick und muss sich hoch konzentrieren, alle Bewegungen über die Bowdenzüge oder über die drahtlose Übertragung aus dem Nebenraum (was auch möglich ist), präzise zu führen. Also ein Roboter mit menschlichem Kopf? Keinerlei Selbstständigkeit der Maschine, eigentlich nur hoch präzises Werkzeug. Das Können und die Geschicklichkeit des Operateurs entscheiden alles.

Auch das andere Operationssystem, Da Vinci für die Urologie oder andere Fächer, das gerne als Roboter verkauft wird, ist kein Roboter, sondern nur ein sehr hoch spezialisiertes Werkzeug ähnlicher Bauart, dass der Operateur zu 100 % bedienen muss.

Wenn wir heute Bauarbeitern zuschauen, die ihren Bagger, der über viel Hydraulik und Hebel seine Arme bewegt, steuern, dann ist das etwas einfacher, aber das gleiche Prinzip und kein Mensch kommt auf die Idee, an einen Roboter zu denken.

Roboter? Wer übertreibt, redet anschaulich, aber wissenschaftlich ist das nicht. Werden und bleiben wir kritisch!

Neuerdings bekommen wir neue Medizin, Injektionslösungen oder Tabletten, die uns als „personalisierte Medizin“ verkauft werden. Die Medikamente sind auf spezielle chemisch-physikalische Strukturen im Körper gerichtet und damit oft nur noch für relativ wenige Patienten einsetzbar. Persönlich auf Sie als Patienten zugeschnitten ist diese Medizin jedoch nicht. Sie wird an einer Gruppe von Patienten getestet. Sonst würde keine Zulassungsbehörde heute solche Medikamente zulassen. Sie werden an einer kleinen Gruppe von Patienten mit gleichem Krankheitsmechanismus angewendet, aber immer noch möglichst in grossen Gruppen, denn sonst würde solch ein Medikament gar nicht seine Entwicklungs- und Vertriebskosten wieder hereinbringen. Irgendjemand muss ja immer bezahlen, entweder die Versicherten oder die Hersteller oder der Steuerzahler oder ein Spender.

Es stimmt, die Therapie ist oft sehr gut wirksam, sehr wertvoll, hoch spezialisiert, aber keinesfalls personalisiert. Wer übertreibt, redet anschaulich, aber wissenschaftlich korrekt? Nicht jede Männerfantasie ist auch schon gleich Realität!

Immer wieder möchten unsere Patienten die Ursache der Erkrankung behoben haben, in der Erwartung, dann die Krankheit vollständig eliminiert zu haben. Wenn wir ein bisschen nachdenken und uns mit der Materie beschäftigen, dann fällt auf, dass wer glaubt, Krankheiten ursächlich zu behandeln, fast immer nur zu früh aufgehört hat, «Warum» zu fragen. Wir denken sehr, sehr oberflächlich. Schon seit Jahren wird die Hyposensibilisierung gegen Atemwegsallergien und einige andere Allergien angeboten mit dem Hinweis, das sei eine kausale Therapie. Sie führt aber nur zu einer Toleranzentwicklung durch Veränderung der Immunantwort im Körper. Ursache behandelt? Man muss schon sehr oberflächlich denken, wenn man das glauben will.

Wer übertreibt redet anschaulich, aber wissenschaftlich …? Nur wer nachdenkt und kritisch fragt, findet Fake-Behauptungen, auch wenn sie aus berufenem Munde oder berufener Hand stammen.

Heute reden viele Menschen von «künstlicher Intelligenz«. Es gibt Maschinen, die auf Grund der Tatsache, dass sie viele Sensoren haben, einen programmierten Computer und mehr oder weniger einfache Werkzeuge, gewisse Handlungen selbstgesteuert durchführen können und im Stande sind, durch Lernen, ihre vom Menschen vorprogrammierten Programme der Realität besser anzupassen. Wenn wir über Intelligenz nachdenken, stellen wir recht schnell fest, dass die Definition schwierig wird. Schon bei menschlicher Intelligenz ist es schwierig. Heisst «Zum Lernen fähig sein» schon «Intelligenz»? Dann wäre jeder Schüler intelligent, der von seiner Umwelt gelernt hat, dass er sich gegen alle Menschen und Dinge, die nicht seinem Wohlbefinden dienen, durchsetzen muss, sie bekämpfen oder eliminieren muss. Wenn wir solche Menschen beobachten, kann man die gleichen Eigenschaften oder Handlungsmöglichkeiten einerseits als intelligent bezeichnen, von der anderen Seite betrachtet, nicht selten als (selbst-)mörderisch oder dumm.

Es wäre ja nicht schlecht, wenn diese Informatiker, Wissenschaftler und Techniker erst einmal das menschliche Hirn zur Intelligenz führen würden. Ob Maschinen wirklich intelligent werden können, ist doch sehr fragwürdig. Zweifelslos werden aber die Informationsverarbeitungssysteme zunehmend dazu führen, dass die menschliche Intelligenz immer weiter verkümmert und schliesslich unauffindbar wird. Sind das denn noch Menschen? Schon heute ist ein grosser Teil der jüngeren Generation weit fortgeschritten auf diesem Weg. Zum Lernen fähig sein heisst noch lange nicht, intelligent sein. Aber eine Voraussetzung für Intelligenz wird Lernfähigkeit sicher sein.

Wann ist denn ein Mensch intelligent? Wann denkt ein Mensch wirklich nach (und nicht nur einfach in seinen Ego-Nervenbahnen vor sich hin)?

Nun könnten wir uns natürlich aufregen und fragen „Welcher Wissenschaftler, welcher Arzt, welcher sich selbst für schlau haltende Mensch führt uns denn so hinter das Licht? Das ist bewusste Irreführung, Falschdarstellung usw. Aufregen können wir uns ja immer schnell. Aber nutzen wir nicht alle diese Methode und jeden Tag immer wieder: „Wer übertreibt, redet anschaulich!“? Müssen wir das nicht bei unserer Kommunikation immer in Rechnung stellen: Wir sagen nicht genau das, was wir meinen, sondern reden mit gewissen Absichten, haben Gefühle, die unsere Ausdrucksweise verändern und können ironisch manchmal sogar genau das Gegenteil vom Gemeinten sagen? Der oder die Andere, mein Gegenüber, tut es sehr wahrscheinlich gar nicht anders? Wenn wir also miteinander kommunizieren und das gesagte oder geschriebene Wort, so wie wir es hören oder lesen intuitiv einfach übernehmen, dann können wir fast nur falsch liegen. Wir müssen also sehr viel aufmerksamer für einander werden und auch die nonverbale Kommunikation und die Nebeninformationen in den Informationen (auch die fehlenden) mit bedenken. Intuitiv wurde aber schon zu Beginn geurteilt (Nützt mir oder nicht, gefällt mir oder nicht, passt in meine Logik oder nicht). Das schnelle, intuitive Urteil ist aber in den allermeisten Fällen ein Vorurteil. Vorurteile sind in uns aber fester verankert als lange geprüfte Urteile.

Warum heute die ganze mediale Aufregung um Roboter in der Medizin? Es gibt sie (noch) gar nicht. Künstliche Intelligenz? Lassen Sie uns doch erst einmal darüber klar werden, was das ist, ehe wir uns darüber aufregen. Vielleicht wollen ja die Wissenschaftler, Techniker und Informatiker, die da wie besessen arbeiten, auch erst einmal (mit uns) darüber nachdenken, was sie da eigentlich tun? Viele Generationen vor uns haben schnell gehandelt und erst hinterher nachgedacht, wenn die Kriege vom Zaun gebrochen waren und nicht wieder eingedämmt werden konnten. Wir könnten doch heute aus der Geschichte lernen? Oder ist das womöglich gar nicht möglich?

21 November 2019