Allen Menschen Recht...

Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann


Warum kann das eigentlich niemand? Können Sie mir das einmal verraten?

Heute gibt es doch so Viele, die gerade davon ausgehen, dass wir das können, dass wir alles „gut“ machen können, vor Allem sie selbst und dass dann auch alles gut wird. Wenn alles gut werden soll, dann wird und muss es doch auch allen Recht sein, oder nicht? So erleben wir es heute weitverbreitet in der Politik, im Feminismus, in den Medien, in manchen Parteienspektren mehr als in anderen.

Was passiert uns da?

Am 23. Oktober 2023 lese ich da in der Neuen Zürcher Zeitung auf Seite 19 über und von dem Chef der weltgrössten Investmentgesellschaft „Blackrock“, dass er glaube, dass der Kapitalismus nicht „woke“ zu sein brauche, dass er es also nicht Allen Recht machen müsse. Er hätte es nicht nötig. Im Verlaufe des Artikels gibt er zu Protokoll, dass er „sich als Vertreter des Stakeholder-Kapitalismus nicht nur den Aktionären verpflichtet fühle, sondern auch allen anderen Anspruchsgruppen, die von den Aktivitäten eines Unternehmens betroffen sind“. Er zählt auf: Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, aber auch die Umwelt und die Gesellschaft als ganzer.

Ich fürchte, da unterliegen wir einem sehr allgemeinen Irrtum in unserer Gesellschaft, nämlich der Ansicht, wir könnten irgendwo etwas „gut“ machen, ohne an anderer Stelle etwas „schlecht“ zu machen. Oder anders gesagt, es gäbe Gewinne ohne Verluste, wir könnten 2 irgendwo dazulegen, ohne die 2 irgendwo vorher weggenommen zu haben oder später an anderer Stelle entsprechende Verluste zu verursachen. Das ist zwar unser aller Traum, unsere Theorie, unsere Vorstellung, aber entspricht das der Realität?

Wenn Herr Larry Fink mit Blackrock Gewinne machen will, dann muss er an anderer Stelle Verluste verursachen. Gewinne verursachen an anderer Stelle Verluste. Nun ist uns in den letzten dreissig Jahren der Blick sehr eingeengt worden. Wir sehen nur noch scheuklappenartig auf die Gewinne, die wir einfahren und die natürlich für die ganze Gesellschaft und die Umwelt nützlich sein sollen. Dass aber an anderer Stelle Verluste, Nachteile oder Ausbeutung entstehen, dass fand ausserhalb unseres engen Gesichtskreises unserer Scheuklappen statt. So haben wir das nicht mitbekommen. Das ist zum Beispiel auch ein blinder Punkt im Feminismus, bei „Black-lives-matter“, den Grünen und Anderen. Wohl gemerkt, ich habe gegen alle diese Gesellschaftsströmungen keine Vorbehalte. Im Gegenteil, ich wünschte ihnen, sie hätten alle eine reelle Chance, ihre Träume zu verwirklichen. Allein unsere seit Jahrhunderten als realistisch eingestufte Überschrift spricht dagegen. Hatten die Alten doch nicht Recht? Haben wir Recht? Hat sich in der Zeit zwischen den Alten und uns etwas so grundlegend geändert, dass die damals Recht hatten und wir mit dem Gegenteil heute Recht haben?

In unserer Wirtschaft merken wir zunehmend das Problem, dass der Energieerhaltungssatz offenbar nicht nur in der Physik, sondern auch in der Wirtschaft und Gesellschaft gilt. Um etwas zu verändern, zu verbessern, zu erreichen, müssen wir etwas mehr Energie einsetzen, als wir hinterher Nutzen herausbekommen. Wir aber wollen alle Gewinne machen. Gestern las ich von einer grossen Firma, dass sie anstrebe 14 % Marge zu erreichen. Wo kommen die 14 % her? Sie muss die Kunden entsprechend bei den Preisen und die Mitarbeiter bei den Löhnen schröpfen. Sonst funktioniert das nicht. Unsere Exportunternehmen wie Rieter, Meyer Burger und andere spüren das zunehmend. Sie können bei den Preisen diese Margen nicht mehr durchsetzen. Die Gründe sind vielfältig. Wenn die Firma 14 % Marge erreichen will, dann muss sie bei den Mitarbeitern und Kunden diese 14 % einziehen. Die Differenz zwischen der Firma und den Mitarbeitern bzw. Kunden betragen dann schon 28 %.

Eigentlich ist das eine sehr einfache buchhalterische Tatsache, dass ein Plus an anderer Stelle als Minus auftauchen muss. Wenn der Kunde vielleicht ein weiteres Unternehmen ist, dann kann es den Verlust vielleicht an seine Kunden weiter geben und entsprechende Gewinne einfahren. Das geht aber nicht endlos so weiter. Die Anzahl der möglichen noch gewinnmachenden Partner in der Wertschöpfungskette ist ziemlich klein. Deshalb sind ja die Subunternehmen zunehmend geknebelt und können meist nur überleben, wenn sie ihre Mitarbeiter billig auf dem Schwarzmarkt holen.

Allen Menschen recht getan, ist im Kapitalismus nun wirklich nicht möglich. Nötig wäre es und wir wünschen uns das, aber es wird gar nicht gehen. Daran sind ja bisher der Kommunismus und Sozialismus gescheitert, dass auch sie das nicht konnten oder können. Dann müssen die Bewohner mit Gewalt gehalten werden, weil unter Gleichen kein Gewinn mehr zu machen ist, denn unter Gleichen kann es ja auch keinen Verlust geben. Das ist eigentlich ein Vorteil, aber der Nachteil ist, dass es dann auch keine Entwicklung mehr gibt. Entwicklung geht offenbar nur mit Gewinnen, die an anderer Stelle Verluste sind, also mit Ausbeutern (Antreibern oder/und Unternehmern) und Ausgebeuteten (also Arbeitnehmern und zahlungskräftigen Kunden, die ihre Gewinne wieder von anderen Ausgebeuteten haben).

Könnte das nicht auch anders möglich sein? Einfach nur mit Zusammenarbeit z.B.? Wir arbeiten alle gut zusammen, geben und nehmen. So entwickeln wir uns immer weiter, nur Positives, allen Recht gemacht?

In den Klöstern und Kirchen im Mittelalter funktionierte das teilweise so. Es wurden auch tatsächlich Reichtümer geschaffen und angesammelt. Auch in den Kibbuzim in Israel nach 1948 und wie gesagt, in den kommunistischen und sozialistischen Staaten funktionierte das so. Aber warum funktionieren wir dann nicht heute alle nur noch so, wenn das damals schon so effektiv war? Dann hätten wir uns doch immer in diese Richtung entwickeln können. Warum kam es so ganz anders?

Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten. Offenbar stimmen unsere Vorstellungen von uns selbst nicht mit der Realität überein? Wir haben ein zu positives Menschenbild, natürlich von uns selbst, aber interessanterweise auch von den Anderen.

Nach dem Ende des kalten Krieges waren die ehemaligen kalten Krieger ganz optimistisch, jetzt ein Europa schaffen zu können wie ein grosses Wohnhaus und jedes Volk würde bildlich gesprochen eine Wohnung oder ein Zimmer bewohnen. Oh, hätte das schön werden können und sollen. Friede, Freude, Eierkuchen, unbegrenzte Kooperation, wirtschaftlicher Wohlstand für Alle. Heute 30 Jahre später erleben wir, dass in dem Europa der EU sehr unterschiedliche Charaktere und Interessen zu erheblichen Spannungen führen und dass man sogar innerhalb dieses so schönen Hauses EU sich gegenseitig verklagt und vor Gericht sein Recht vom Anderen erstreiten will. Jeder geht davon aus, dass er selbst doch Recht hat, oder? Inzwischen ist sogar heisser Krieg innerhalb Europas. Es wurde also schlimmer als der kalte Krieg zuvor.

Wäre es denkbar, dass wir eine Gesellschaftsform erdenken und dann auch leben, die diesen Tatsachen in uns selbst Rechnung trägt? Die Tatsache, dass wir uns in der Regel für besser halten als wir sind (ohne es selbst wahrzunehmen) und dass wir auf dieser Erde als Menschen vermutlich kaum etwas besser machen können, weil die Buchhaltung der Evolution bzw. Natur gnadenlos mit uns ist (oder ist es doch ein Gott, der nicht nur lieb ist, sondern auch konsequent, wie Eltern es ihren Kindern gegenüber ja auch sein müss(t)en)?

Wenn heute unsere Frauen in die politischen und wirtschaftlichen Leitungspositionen drängen „Wir können das auch!“, dann werden sie auf diese Realitäten stossen. Es ist zweifelhaft, dass sie da erfolgreicher als die Männer sein werden und zugleich auch noch mehr Gewinne einfahren können als die Männer. Das schliesst sich gegenseitig eher aus. Ich kann Beides, es Allen Recht machen und auch noch mehr Gewinne einfahren, ist schlichtweg ein Märchen, ein Wunschtraum. Die hoffnungsvoll angetretene ehemalige neuseeländische Premierministerin, Frau Jacinda Ardern, dürfte wohl daran gescheitert sein. Schade eigentlich. Erfolg wäre ihr zu wünschen gewesen. Ich hätte ihn ihr gewünscht, aber ich fürchte, wir haben es mit Realität zu tun und die entspricht nicht unseren Wünschen, ja, sie lässt sich nicht einmal von uns so einfach nach unseren Wünschen ändern.

20 November 2023
wf