Teuerung und/oder Inflation

(09/2022)

Kein Tag, an dem wir nicht in vielen verschiedenen Medien und von verschiedenen Ökonomen, Wissenschaftlern, Politikern und Einflussreichen über die derzeit bestehende Inflation und Teuerungsrate lesen oder hören. Dabei fällt mir schon länger auf, dass diese Begriffe von den meisten Akteuren synonym oder durcheinander gebraucht werden, selbst von denen, die es aus wissenschaftlichen Gründen besser wissen müssten, von denen, die uns wahrheitsgetreue Informationen liefern wollen und von denen, die mit dem „Wissen“ Staaten, Staatengemeinschaften und Notenbanken angeblich zum Wohle der Bevölkerung steuern.

Sind die Begriffe „Teuerung“ oder „Teuerungsrate“ und „Inflation“ oder „Inflationsrate“ gleichzusetzen? Kann man sie ohne Verlust an Bezug zur Realität oder ohne Verlust an Information oder sogar Falschinformation einfach austauschen? Was beeinflusst die Preise, also die Teuerung oder auch die Verbilligung und was beeinflusst die Inflation (oder wovor so Viele auch Angst haben, die Deflation)?

Der Preis einer Ware ist die Menge Geld, die ein Käufer dem Käufer dafür bezahlt. Das ist übrigens nicht der Preis, den der Verkäufer vom Käufer fordert! Das ist wichtig, dass wir den Unterschied wahrnehmen. Der geforderte Preis ist Theorie. Der bezahlte Preis ist Realität.

Die Preise für Waren ändern sich täglich, je nach Bedarf und Angebot von Ware und auch je nach Bedarf und Angebot von Geld. Mindestens zwei Faktoren mit jeweils konträren Richtungen. Der Preis ist auch spezifisch für jeden Menschen oder für jedes Paar von Verkäufer und Käufer.

Wenn also der Preis steigt, weil mehr Geld vorhanden ist oder weil weniger Ware vorhanden ist, ist das dann Inflation? Der Preis ist gestiegen. So können wir eine Teuerungsrate berechnen. In der nächsten Woche brauchen die Kunden das Geld für irgendetwas Anderes. Für unsere Ware ist weniger Geld da und die angebotene Ware ist vielleicht sogar mehr geworden? Dann sinkt der bezahlte Preis wieder. Die Teuerungsrate in der ersten Woche werden wir also wohl nicht als Inflation bezeichnen dürfen?! Plötzlich hat die Anzahl der Kunden zugenommen. Dann steigt der Preis womöglich auch wieder? Es gibt noch viele Faktoren, die den aktuellen Preis beeinflussen. Alle diese Faktoren haben mit Inflation gar nichts zu tun. Dass wir im Supermarkt so lange feste Preise erlebt haben, liegt ja oft daran, dass Hersteller und Verkäufer lange Verträge geschlossen haben und die Veränderungen einfach vom Hersteller und/oder Verkäufer abgefangen wurden und zu seinen Gunsten oder zu seinem Nachteil ausgeglichen wurden (Das Ergebnis erleben wir gerade bei den Stromproduzenten und -händlern, 2022). Wir Kunden und Bürger wurden wie kleine Kinder aus bestimmten Gründen von den Risiken und Wechseln des täglichen Lebens verschont. „Du Kunde kannst Dich auf den Preis (oder sogar Dauertiefpreis) verlassen. Wir regeln das für Dich.“ Das ist für uns bequem, also angenehm und so nehmen wir das gerne an. Leider werden wir damit auch realitätsfremder und dümmer. Heute sind die Chefs der Elektrizitätsfirmen die Dummen. Sie haben Garantien übernommen, solange sie eher daran verdienten, die sie aber gar nicht unter allen Umständen einhalten können. Unsere Schlauen sind seit 2008 nicht schlauer geworden.


Das ist dann die Betrachtung der Kosten nur aus der Blickrichtung des geldlichen Preises. Kosten und Nutzen gibt es bei den meisten Transaktionen auch in Form anderer Faktoren. Das wird eifrig genutzt und die Dummen merken es gar nicht und verlieren. Faktoren sind z. B. Vertragsfreiheit, Datensicherheit, Transparenz, Individualität, Einflüsse auf meine direkte und die ferne Umwelt, Abhängigkeit, Wartung, Rückbau und vieles mehr. Bei den meisten Käufen machen wir uns das gar nicht klar. Wir konsumieren und lassen es uns gut gehen. So können sich grosse Mengen an Kosten nicht in Form von Geldbeträgen ansammeln, die später zu bezahlen sind. Die Realität kennt da keine Gnade. Wir haben sie nicht ernst genommen. Die gleichen Verkäufer, übrigens Frauen wie Männer, die uns Dinge zu einem niedrigen Preis und hohen nicht finanziellen und unerkannten Nebenkosten verkaufen, merken oft nicht, wenn sie selbst Betroffene sind. Sonst hätten wir weder die Krise der digitalen Technik, noch die Bankenkrise oder jetzt die Stromerzeuger resp. -verteilerkrise gehabt oder bekommen.


Inflation entsteht, wenn von der Geld ausgebenden oder den Geldumlauf steuernden Stelle viel mehr Geld ausgegeben oder in Umlauf gebracht wird als Ware aller Art allgemein auf dem Markt tatsächlich vorhanden ist. Wenn die Differenz zwischen in Umlauf befindlicher Geldmenge und im Angebot befindlicher Ware allgemein nach oben grösser wird, entsteht Inflation, bei weniger Geld pro Ware entsteht Deflation.

Dann könnte man die Begriffe also doch einfach austauschen?!

Ist denn jede Teuerung gleich Inflation? Da werden wir wohl unterscheiden müssen. Die Teuerung ist eine schnellen Änderungen unterliegende Angelegenheit. Inflation kann zwar schnell beginnen, wird aber in der Regel keine Angelegenheit von Tagen oder Wochen sein, sondern ist eine Frage von längerer Dauer. Ich vermag nicht anzugeben, wo wir die Grenze sinnvollerweise festlegen könnten oder sollten und wahrscheinlich ist es auch eher ein breiterer Graubereich. Die Angabe einer exakten Zahl wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nahe an der Realität. Einen Graubereich können wir nicht mit einer Zahl angeben.

Wie kommen denn der Wert der Waren allgemein und der Wert des Geldes allgemein in einem Land in ein sinnvolles Gleichgewicht, sodass stabile Marktverhältnisse entstehen? Ich bin Arzt und nicht Ökonom. Ich gestehe Ihnen, ich weiss es nicht. Dazu kommt ja noch, dass sich die Menge der Ware bei fleissigen Völkern täglich ändert. In der Regel wird die Menge mehr, aber unter Bedingungen einer Rezession oder eines Krieges oder anderer Katastrophen oder plötzlicher Faulheit der Bürger auch wieder weniger. Wenn also der Preis für die Ware gleich bleiben soll, dann wird die Geld in Umlauf bringende Stelle etwa einen gleichen Gegenwert von Geld in Umlauf bringen müssen. Natürlich haben unsere Wissenschaftler und Ökonomen und Politiker heute eine Vielzahl von Messungen und Berechnungen, um diese Verhältnisse in Zahlen ausdrücken zu können und aus der Relation der Zahlen zueinander ableiten zu können, wie die Geldmenge zu steuern sei.

Wohlwollende oder gutmütige Nationalbanker denken sich oder drucken es sogar dann vielleicht auch etwas mehr Geld, als als Gegenwert für Waren sinnvoll wäre. Geld wird immer gebraucht. Die Armen sind sowieso immer klamm, eigenartigerweise sogar meist auch die Reichen. Ein bisschen mehr Geld (oder vielleicht auch noch ein bisschen mehr als mehr Geld) wird immer gerne genommen, lindert Nöte, hilft dem Staat und den Bürgern. Alles nur guter Zweck. Dann kann doch an noch ein bisschen mehr Geld gar nichts Schlechtes sein, oder? Das Dumme: Alles dieses gute Geld fördert die Inflation. Das ist die Rückseite des guten Geldes. Die Realität duldet keine Goldesel, auch keine guten Goldesel.

Dann stellt sich noch die Frage, wie das Geld in Umlauf gebracht werden soll und im erforderlichen Falle auch wieder herausgenommen werden soll. In Umlauf bringen ist einfach, wenn auch wahrscheinlich nicht gerecht. Die Notenbank gibt es dem Staat oder den Banken. Die verteilen das Geld nach ihrem Belieben (nach aussen sind natürlich Regeln festgelegt worden oder sogar Gesetze erlassen worden). Das Geld zurücknehmen? Plötzlich kann der Staat seine Verpflichtungen nicht mehr bezahlen (wenn die Nationalbank Geld zurückfordert) oder die Banken haben nur noch wenig oder sogar gar kein Geld. Deshalb versucht die Notenbank es mit Zinssenkungen und Zinssteigerungen. So wird indirekt Geld aus dem Umlauf entfernt. Aber aus dem Markt ist es damit eigentlich noch nicht. Die Notenbank hat es nur gebunden. Unter anderen Umständen fliesst das Geld plötzlich wieder in den Markt (und? Führt zu Inflation!). Das fehlende Geld vom Staat und damit fehlende Leistungen von ihm an seine Bürger oder die höheren Zinsen schmerzen die Bürger plötzlich. Welcher Demokrat kann da ungerührt zuschauen? Wieder gewählt werden möchten sie oder er auch. Da muss doch etwas getan werden. „Gute“ Politiker sind doch schliesslich Macher, Frauen und Männer, die alles wieder „gut“ machen, die uns unsere Wünsche erfüllen. Wozu haben wir sie denn gewählt?

Seit den 1960iger Jahren haben die Staaten und Notenbanken auch Geld in Form von Staatsschulden in den Markt gebracht. Dieses Geld wirkte sich wie Geld in Umlauf bringen durch die Notenbank aus. Einerseits war es Geld, dass wir später oder gar unsere Kinder später erst noch verdienen müssen, andererseits war es wohl einfach Geld, dass die erforderliche Geldmenge für stabile Verhältnisse zwischen Warenwert und Geldwert hielt. Zu bestimmen, welcher Teil jetzt Darlehen und welcher Teil jetzt erforderliche Geldmenge für die Parität war, wird schwer zu beziffern sein, wird nicht selten auch wieder einem Graubereich entsprechen. Exakt angegebene Zahlen werden höchstwahrscheinlich mehr oder weniger ungenau sein? Keine Zahlen helfen uns nicht. Die Akteure steuern also wie in dichtem Nebel, erzählen uns Bürgern jedoch, dass sie besten Sonnenschein und gute Sicht dank wissenschaftlich begründeter Zahlen hätten (für Graubereiche). Selbst glauben sie das auch und wir ihnen sowieso. Wahrscheinlich wäre auch hier die Gauss-Kurve eine gute Beschreibung der Verhältnisse (ohne Zahlen)? Zur einen Seite der Gausskurve handelt es sich um Teuerung, zur anderen Seite des Hochplateaus der Gausskurve um Inflation (respektive jeweils des Gegenteils).

Dann kam da noch der Satz von Notenbankchef, Herrn Mario Draghi dazu in Bezug auf die Stabilität des Euro: Wir stützen den Euro, „koste es, was es wolle“. Das ist die typische Reaktion von Firmen- oder Staatenlenkern, die pleite sind, aber die Zahlungsunfähigkeit verhindern wollen. Nur mit sehr viel Glück gelingt es dann noch, die Zahlungsunfähigkeit tatsächlich abzuwenden. Firmenlenker landen dann wegen Insolvenzverschleppung und ähnlicher Delikte hinter Gittern. Staatenlenker oder Notenbankchefs werden aus bestimmten Gründen dann gefeiert und gelobt. Sie sind ja Wunscherfüller, also gut.

Wahrscheinlich müssen wir sagen: Inflation wird mit einer langfristigen Teuerung einhergehen, aber nicht jede Teuerung ist zugleich auch Inflation.

Wer diese Begriffe synonym benutzt oder unbedacht vermixt, wird also wohl doch nur ungefähr die halbe Wahrheit sagen und ungefähr zur Hälfte falsch liegen. Gemeint ist nicht „In der Hälfte der Fälle richtig und in der anderen Hälfte der Fälle falsch“, sondern „In jedem einzelnen Fall halb richtig und halb falsch“. Da sollten wir uns doch auch als einfache Bürger und noch viel mehr als Nachrichtenübermittler und erst Recht als Ökonomen und Wissenschaftler mehr Klarheit verschaffen (auch wenn das bedeutet, dass uns damit unsere begriffliche Unklarheit und die Unmöglichkeit, die zu ändern, bewusst wird).

Dann stellt sich da noch die Frage, warum es Inflation überhaupt gibt. Können wir sie überhaupt verhindern? Wenn ja, wie?

Zwischen Warenwert und Geldwert besteht ein Gleichgewicht. Das ist offenbar eine Naturregel, von der wir hoffen, dass sie in unserem Falle nicht zutrifft, von der wir aber wohl zu unserem Schmerz vermuten müssen, dass sie uns gnadenlos treffen wird (Genauso gnadenlos wie die Schwerkraft uns den Stein auf den Kopf fallen lässt). Die Inflation bewirkt einfach nur, dass wir jetzt weniger für unser Geld bekommen, wo wir uns vorher durch viele Kniffe und Tricks mehr Ware genommen haben als unser Geld wert gewesen war. Das Gleichgewicht der Naturregel ist stärker als unser Egoismus, weiter nichts.

Wenn Demokraten uns aus Mitleid oder anderen Gründen heute unsere Wünsche erfüllen, müssen wir diese Wünsche später in irgendeiner Form bezahlen. Ich fürchte, die Märchen vom Goldesel und von den erfüllten Wünschen und andere sind wirklich Märchen, auch im 21. Jahrhundert. Natürlich träumen wir wie Milliarden von Menschen vor uns, dass die Märchen in unserem Falle Wirklichkeit werden. Aber lesen Sie die Märchen erst, ehe Sie sich dazu ein Urteil, eine Meinung bilden. Selbst Märchen sind Wahrheit und Märchen zugleich. Das Märchen vom Goldesel ist so geschrieben, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gilt, also Märchen ist. Das Märchen von den drei Wünschen ist so geschrieben, dass es sicher gilt. Selbst Märchen sind Märchen und Wahrheit (vielleicht besser „Realität“?) zugleich. Träumen wir weiter und gehen wir träumend unter. Das ist immer noch schöner, als in vollem Bewusstsein, den Untergang selbst verursacht zu haben, als Tierart von der nach uns sich schnell erholenden Erde zu verschwinden. Das ist dann Renaturierung.


















9 September 2022
wf