Die Corona-Pandemie konfrontiert uns mit vielen interessanten Situationen. Allerdings handelt es sich oft nur um langfristige Entwicklungen, die jetzt nur schärfer sichtbar werden. Wirksam ist das jetzt zu bedenkende Spannungsverhältnis vermutlich mindestens schon so lange, wie es Buchdruck gibt:
Wir leben in einer materiellen Welt und in einer menschlichen Gesellschaft. In den diktatorischen oder autokratischen Gesellschaftsstrukturen liegt die Situation ein wenig anders als in den mehr oder weniger demokratischen Strukturen, aber es betrifft doch alle gleichermassen. Wir haben es uns mehr oder weniger bequem eingerichtet seit dem 2. Weltkrieg, haben uns so einrichten können. Wir sind Bürger und haben eine Regierung. Ob wir sie wählen dürfen oder nicht, spielt da gar keine so entscheidende Rolle. Wir als Volk fühlen uns als die Hauptpersonen und die Konsumenten. Und das Recht ist sowieso auf unserer Seite.
Jetzt kommt da so eine Gefahr wie der Corona-Virus auf uns zu. Wer ist sofort dran? Natürlich, die Regierung. Sie hat sich verpflichtet, allen Schaden vom Land und seinen Bürgern abzuwehren. Dazu haben wir sie ja. Sie muss nun den Virus sofort abwehren, damit er unsere Bequemlichkeit und unseren Reichtum und unsere Freiheit gar nicht erst einschränken kann.
Am besten, das tut die Regierung ohne Einsatz finanzieller Mittel, denn die sind immer knapp und im Haushalt gar nicht vorgesehen. An unsere Freiheit, Bequemlichkeit und unseren Geldbeutel darf es natürlich auch nicht gehen. Aber es ist schon nicht schlecht, wenn es Spannung, Gemetzel, Auf und Nieder, schliesslich Niederlage für die Anderen oder in diesem Falle den Virus und den Sieg für uns gibt. Erfochten wurde der Sieg von der Regierung, aber feiern wollen wir ihn natürlich selbst und natürlich auch als unsere Leistung reklamieren. Wir sind schliesslich die Hauptpersonen, der Souverän im Land.
Das Dumme an der Geschichte ist, dass das dann eine Show ist und wir stehen immer wieder vor der sehr einfachen Tatsache, dass die Wirklichkeit keine Show ist. Die Realität sieht völlig anders aus. Da gibt es Unwissen auf unserer Seite, nicht die richtigen Hilfs- und Kampfmittel, nicht genügend prophetisch vorhergesehene Vorsorge, nicht genügend Geld, wenig Hilfe von Seiten der Bevölkerung (knapp die Hälfte boykottiert oder bekämpft die Regierungsmassnahmen und Gesetze sogar). Die Regierung strampelt sich ab und hat gar keine Chance, die Realität mal eben so zu ändern. Mit dem Finger schnippen, ja selbst mal schnell die entsprechenden Gesetze in Kraft setzen, hilft da nichts. Papiertiger, Theorie, aber keine Realität. Was nun? Da ist guter Rat teuer!
Wir Bürger wollen die Lösung schnell, am besten sofort, aber spätestens, wenn es an uns und unsere Rechte oder Besitztümer geht. Eine Änderung der Verhältnisse braucht aber meistens mindestens zehnmal soviel Zeit und Kraft, wie wir Bürger zu geben bereit sind. Wahrscheinlich ist diese Schätzung noch viel zu klein. Da wird die Regierung in die Enge getrieben. Sie muss sich wehren, muss Druck ausüben, muss sich Helfer suchen (Armee und Justiz, Verwaltung, IT-Technik etc.). Und es müssen Schuldige gefunden werden (Hexen, Juden, Fremde, Sozialschmarotzer, Andersextreme, politische Gegner, CEOs, fast alle Anderen ausser uns ... ). Demokratische Regierungen sind da leidvoll begrenzt. Da rollen dann eher mal Köpfe oder dergleichen. Also werden die Köpfe ausgewechselt. Diktatoren haben es da leichter und zugleich auch schwerer.
Ändern diese Massnahmen etwas an der Realität? Jetzt darf eine Neue oder ein Neuer seine menschliche Begrenztheit zeigen. In seltenen Fällen ist der Wechsel auch mal etwas glücklicher.
Regierung und Volk stehen in einem Zweierverhältnis. Nun kommt ein Dritter ins Spiel. In der anderen Ecke des Dreiecks stehen die Medien. Was schlecht ist, muss angeprangert werden. Es ist schliesslich schlecht. Die Missstände sind schliesslich Realität. Sie tun uns weh. Sie zeigen das Unvermögen der Regierung. Manchmal werden auch Teile des Volkes aufs Korn genommen. Je demokratischer das Land, desto weniger, je diktatorischer, desto mehr. Schliesslich kann man sich so als Medienschaffender bei der Regierung einschmeicheln. Nun können die Medien und wir genüsslich auf die Verantwortlichen zeigen. Wir sind ja nicht selbst verantwortlich, sind nicht schuldig, werden statt dessen noch durch Freiheitseinschränkung, Aderlass und Kampfhandlungen in Mitleidenschaft gezogen. „Nun ist aber die Grenze wirklich überschritten“. Wir müssen endlich aufstehen, unsere Faust recken, Revolution machen, ... Die sollten uns mal da ran lassen, dann ...
Das muss nun wirklich Konsequenzen haben. ...
Glauben Sie wirklich, dass das Konsequenzen hat? Ich fürchte, leider ja, nur nicht die, die Sie und wir uns wünschen. Lassen Sie uns lange und weit ausholend nachdenken, bevor wir die Sicherungen irgendwo durchbrennen lassen. Natürlich liegen jetzt die Nerven blank, auf allen Seiten. Natürlich kommen die Tage der Wahrheit immer näher. Das ist dann übrigens der Tag der Realität, der Tag, an dem wir uns vor der Realität nicht mehr selbst betrügen können. Vielleicht haben wir eine Chance, ganz behutsam, wohlbedacht, rücksichtsvoll, mit unserem ganzen Einsatz für und nicht gegen ... ? Da ist jeder willkommen, sich zu beteiligen!