1.1. Wie geht es los? (3/2020)
Was ist Krankheit eigentlich? Natürlich können wir jetzt zur WHO gehen und uns dort allgemeine Definitionen holen. Nein, uns interessieren nicht die allgemeingültigen Prinzipien, sondern was Krankheit in Bezug auf uns und unsere Mitmenschen bedeutet. Da stellen wir fest, dass der Begriff „Krankheit“ sehr unterschiedlich gefüllt wird, je nach Kultur, je nach Alter, je nach Geschlecht, je nach Interessenslage, je nach bildlicher Darstellbarkeit oder Messbarkeit der Beschwerden im Gegensatz zu Gefühl im Körper bei fehlender Messbarkeit und anderem.
English
Infektionskrankheiten sind Kampfzustände. Der menschliche Organismus kämpft gegen ein Heer kleinster Gegner. Sucht, Übergewicht, Diabetes mellitus Typ II, Burnout, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), sind zu grossen Teilen Ausdruck von Dummheit, von unangepasster (unmenschlicher) Lebensweise, aber vielleicht doch nicht immer? Depression ist oft eine Fehlbeurteilung geistiger Kampfzustände. Echte Krankheiten? Asthma? Chronische Bronchitis? Rheuma? Bipolare psychotische Störungen? Allergien? Herzinfarkt? Zerstörte Nierenfunktion, Demenz? Teilweise sind sie echt. Es hat den Anschein, dass auch Krankheit diesen doppeldeutigen oder sogar mehrdeutigen Charakter hat, der uns Menschen so eigen ist und der daher alle uns betreffenden Dinge und Prozesse quasi infiziert. Wenn ein Arzt nicht auch Philosoph ist, also nachdenkender Mensch, werden Sie als Patient wahrscheinlich kaum mehr Nutzen als Schaden von ihm haben.
Beginnen wir vorne, zeitlich vorne. Den Beginn festlegen zu wollen, scheint mir vermessen. Dann müssten wir den Anfang wohl an den Anfang des Lebens stellen, an den Übergang von leblosen Strukturen zu lebenden Zellen als kleinsten Einheiten von Leben. Allerdings ist auch dieser Übergang diskussionsfähig, da es Zwitter gibt, wie z.B. die Viren. Denken wir wieder daran, wenn wir bei Lebewesen, insbesondere dem Menschen, Eindeutigkeit wollen, wenn wir Grenzen setzen wollen zwischen „ist“ oder „ist nicht“, richtig oder falsch, dazugehörig oder nicht dazugehörig durch klare Definitionen, dann liegen wir in der Regel im Bereich von Theorie und nicht im Bereich von Realität. Wir führen Luftkämpfe, was die Wahrheit anbetrifft, leider meistens nicht, was uns Menschen anbetrifft. Da befinden wir uns dann mitten in der Realität mit zumindest Verletzten, fast immer aber auch Toten (manchmal sogar Millionen Toten). Die Widersprüchlichkeit des Menschen ist eine biologische Naturregel, gegen die schon so viele selbstbewusste Männer gekämpft haben. Keiner hat diese Regel bisher bezwungen. Denken wir an die Gaussche Kurve für Beschreibung von Leben, nicht das Säulendiagramm. (Ich bitte um Entschuldigung! Die unterschiedliche Sichtweise menschlichen Lebens an Hand dieser beiden mathematischen Bilder beschreibe ich in Kapitel 9, „Menschliches Zusammenleben“ meines lebenden Buches.) Zurück …
Nein, es scheint einen langen Evolutions- und/oder Schöpfungsprozess gegeben zu haben, in dessen Verlauf sich immer mehr, immer komplexere und immer festere genetische Strukturen gebildet haben, die Menschsein in seiner Einheit und in seiner Vielfalt bestimmen. So bilden diese genetischen Strukturen eine Art von Tier heraus, die wir „Mensch“ nennen und die sich miteinander fortpflanzen und daher immer wieder neue Nachkommen zeugen und ins Leben bringen kann. Zum Anderen schaffen aber eben diese Strukturen durch ihre Vielfalt von Mutationen, verschiedenen Ausführungen ein und desselben Gens (Allele) und die Gene umgebenden Strukturen (Epigene) eine Variationsbreite, die wahrscheinlich ebenso viele verschiedene Typen wie Menschen ermöglicht. Keiner gleicht dem Anderen ganz. Wo aber wollen wir in dieser Bandbreite eine Grenze zwischen „gesund“ und „krank“ definieren? Ähnlich wie bei „gut und böse“ in uns Menschen müssen wir wohl viel eher von einem breiten Graubereich ausgehen, der je nach Gen, je nach Prozess oder Zustand wieder anders zu beurteilen ist. (Wieder bitte ich um Entschuldigung! Die Besonderheit von „gut und böse“ finden Sie wieder hinten im lebenden Buch „Wie leben“. Aber das durchzieht das ganze Buch. Da gibt es viel zu lesen.) Gesundheit an sich gibt es nicht und Krankheit an sich auch nicht. Die Grenze definieren wir doch recht eigenwillig, recht willkürlich je nach unserem eigenen Gefühl, unserem eigenen Nutzen, unserer eigenen Interessenslage, je nach dem, ob wir es für uns selbst tun oder ob wir es für andere tun. Diese Grenze kann auch von Tag zu Tag variieren.
Dann kommen unsere überkommenen kulturellen Einflüsse aus Kultur, Volk, Religion, Familie, Erziehung, Schule, Bildung und vielem mehr dazu. Wieder definieren wir jeder „Gesundheit“ und „Krankheit“ je nach diesen erhaltenen Prägungen unterschiedlich. (Auch dazu hinten in „Wie leben“ mehr)
Nicht zuletzt kommen dann die gegenwärtigen Einflüsse von Klima, Wetter, Nahrung, körperlicher Bewegung, Arbeits- und Lebensweise, gesellschaftlichen Einflüssen und vielem mehr dazu.
Der Mensch mag zwar eine Wurzel in Afrika gehabt haben, aber er ist offenbar in Wellen über die Hunderttausende von Jahren immer wieder nach Eurasien ausgewandert und hat irgendwann und irgendwie sogar die Sprünge auf den amerikanischen und australischen Kontinent geschafft. Überall hat er sich den Lebensräumen angepasst. Das hat nicht nur in den täglichen individuellen Lernprozessen Platz gefunden, auch nicht nur in den von den jeweiligen Elterngenerationen in Form von Prägung weitergegeben Lebens- und Gewohnheitsstrukturen, sondern auch in Form biologisch (im weiteren Sinne: genetisch) fixierter Strukturinformationen. So haben sich Hautfarbe, Körperformen und vieles mehr entwickelt. Dazu gehört auch, dass sich genetisch eine Vielzahl von Konstitutionen entwickelt hat, die sehr unterschiedlich auf die äussere Umwelt reagieren.
Vieles spricht dafür, dass die obstruktiven Erkrankungen der Lunge zu wesentlichen Teilen vererbt werden. Bei einigen Asthmaformen ist das sehr deutlich. Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma werden als eine Einheit aufgefasst und „Atopie“ genannt. Hier ist die familiäre Häufung so deutlich, dass die Erblichkeit kaum bezweifelt wird.
Auch die Kombination von Allergien und Asthma im weiteren Sinne wird oft vererbt. Es kommen auch einzelne Asthmatiker vor, bei denen wir in der Familie keine weiteren Erkrankten finden, aber sie sind zahlenmässig in der Minderheit.
Schwieriger ist die Herstellung des Zusammenhanges bei den an chronischer Bronchitis Erkrankten. Aber auch hier lassen sich oft Verwandte mit ähnlichen Beschwerden finden. Früher wurde dem natürlich weniger Beachtung geschenkt. Die Tuberkulose stand noch im Vordergrund. Wenn man sich etwas Geduld nimmt und seine Patienten wiederholt sieht, kommt es nicht selten vor, dass plötzlich doch noch von erkrankten Vorfahren oder Familienmitgliedern berichtet wird. Indirekte Hinweise wie „chronischer Husten“ oder auch „verminderte Belastbarkeit wegen Kurzatmigkeit“ geben Hinweise. Die Dunkelziffer für das Vorliegen solcher Erkrankungen bei unseren Vorfahren wird vermutlich hoch liegen.
Unsere Wissenschaftler gehen heute beispielsweise davon aus, dass die Neigung zu Allergien und zu Asthma in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen habe. Wenn ich aber meine Patienten fragte, ob sie Familienmitglieder kennen, die lange oder immer gehustet haben oder die unter eingeschränkter Belastbarkeit litten (beispielsweise wegen Kurzatmigkeit oder sogar Atemnot), dann war die Zahl ungefähr doppelt so hoch, als wenn ich fragte, ob jemand in der Familie an Asthma oder chronischer Bronchitis (sprich: COPD) litt. Natürlich werden da auch noch einige herzkrank als Ursache gewesen sein. Aber die Herzerkrankungen sind eher die Erkrankungen der älteren Leute (also derer, die damals im Erkrankungsalter schon tot waren). Das Asthma aber ist die Erkrankung der jungen Leute, also derer, die noch eine Chance zum Leben hatten.
Einen „freien“ Willen haben manche Menschen ja auch noch. Also auch unser selbstbestimmter Umgang mit Gesundheit und Krankheit bestimmt, was „gesund“ und was „krank“ für uns ist.
Dagegen muten Definitionen der WHO, der Wissenschaft, der Politik und Wirtschaft geradezu theoretisch, abgehoben, allgemein und unwirklich an. Was für alle gilt, gilt meistens eher für niemanden. Was für „den Menschen an sich“ gelten soll, ist für den einzelnen betroffenen Menschen allzu häufig unmenschlich, unpersönlich, unzutreffend. Wo immer möglich, sollten wir solche Festlegungen meiden. Sie gehören nicht zum allgemeinen Wissen oder zum speziellen wissenschaftlichen Wissen, sondern sie gehören in den grossen Kreis willkürlicher Festlegungen, also theoretischer Annahmen. Herrscher, Regierungen, Administrationen, Partner in Dreiecksstrukturen (wie z.B. Versicherungen, siehe in „Wie leben“) sollten sich dieser Tatsache immer bewusst sein, wenn sie diese Festlegungen Menschen gegenüber anwenden. Eigentlich möchte man nur allzu dringend vor der Nutzung dieser Festlegungen warnen. Wir nutzen diese Festlegungen jedoch jeden Tag in vielfältigster Weise und so selbstverständlich, dass einem nur Angst und Bange werden kann. Es kann doch kaum einem Verantwortlichen auch nur annäherungsweise klar sein, was er da tut und fast immer über die Köpfe der Betroffenen hinweg für diese rechtsgültig tut?
So lebten unsere Vorfahren in einem Zustand von „gesund“ und „krank“, der oft gar nicht sicher zu bestimmen war. Die ganz offensichtlichen und sprachlich ausdrückbaren Zustände waren relativ klar. Dahinter spielte sich vieles ab, was die Betroffenen zwar fühlen konnten (Schmerz, Atemnot, Schwäche etc.), vielleicht auch beschreiben konnten, aber von denen oft nicht klar zu bestimmen war, ob das jetzt „gesund“ oder „krank“ war oder als solches empfunden wurde oder von anderen so angesehen wurde. Zeitliche Zusammenhänge wurden sicher eben so schnell wie wir es heute bei uns erleben, zu kausalen Zusammenhängen gedeutet. So ist es nicht verwunderlich, das die allermeisten Urteile eigentlich Vorurteile waren oder schlichte Falschannahmen. Das hat sich bis heute kaum geändert. Wenn unsere Wissenschaftler dann heute Studien machen und Vergleiche anstellen zwischen früher und heute, ist es egal, was für Zahlenresultate sie uns nennen. Sie können fast sicher nur falsch sein. Vielleicht ist die Wahrscheinlichkeit, dass qualitative Ergebnisse etwas häufiger stimmen, höher? Quantitätsangaben sollten wir wohl besser gar nicht erst versuchen, geschweige denn glauben? Bis heute hat sich in unserer Gesellschaft und Wirtschaft ja das Misstrauen von Gesunden gegenüber Kranken erhalten, dass diese ja gar nicht krank seien, sondern es nur vortäuschten, um irgendwelche Hilfen oder Vergünstigungen zu bekommen. („Beweise mir Deine Krankheit, sonst bezahle ich Dir keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder IV-Rente.“)
Viele Asthmatiker leiden in der Kindheit an einer Infektanfälligkeit, die sich ungefähr mit dem Eintritt ins Schulalter verliert. Im Nachhinein, wenn als Erwachsener schon das halbe Leben vorliegt und aufgerollt werden kann, ist die Anfälligkeit relativ leicht als Asthma auszumachen. Wenn ein Kinderarzt nur das Kind vor sich hat, ist die Unterscheidung von etwas gehäuften Infekten, aber noch normal und asthmabedingter Infektanfälligkeit kaum machbar. Die Grenze zwischen beiden ist ein breiter Graubereich, erst Recht, wenn in diesem Alter noch keine Atemnot, keine Obstruktion bemerkbar ist, sondern nur der entzündliche Anteil mit Husten, Schleim und gehäuften Infekten.
Früher, zu Zeiten hoher Kindersterblichkeit, werden die Asthmatiker sehr wahrscheinlich häufiger an Infekten gestorben sein als andere Kinder. So wurde man ihrer Anzahl gar nicht gewahr. Von denen, die das Kindesalter überlebt haben, haben viele selbstverständlich mit ihrer kurzatmigkeitsbedingten Einschränkung der Belastbarkeit gelebt, haben diese versteckt, so gut sie konnten, um ja nicht aufzufallen als unnormal. Ärzte gab es nicht und so gab es gar keinen Grund, über die Einschränkungen der Atmung oder den Husten nachzudenken. Wer hat damals nicht alles gehustet? Wer nicht konnte, war doch nicht krank, sondern faul. Also haben viele Asthmatiker ihre Atemnot versteckt, so gut sie konnten. Später gab es Ärzte, aber sie waren teuer. Erst seit den 1980iger Jahren setzte eine breite Versorgung der Bevölkerung und damit auch der Asthmatiker mit Ärzten ein. Klar, dass wir heute viel mehr Asthmadiagnosen stellen. So ist es schwer, heute einen einigermassen zutreffenden Vergleich zwischen damals und heute anzustellen. Man kann fast nur falsch liegen. Dann sollten wir solche Aussagen in wissenschaftsnahen Publikationen oder den Medien aber auch gar nicht erst glauben. Wir wissen es nicht und werden es auch nur sehr ungenau wissen können. Das ist eher eine Frage für Geisteswissenschaftler als für Naturwissenschaftler.
Schwieriger ist diese Betrachtung für Menschen mit chronischer Bronchitis oder wie man heute oft sagt, mit COPD, zu führen. Es gibt deutliche Hinweise dafür, dass sich hinsichtlich der Erblichkeit, des Umgangs mit der Erkrankung und dem subjektiven Empfinden Asthma und COPD recht ähnlich verhalten. Da die chronische Bronchitis (COPD) eine Erkrankung eher der zweiten Lebenshälfte ist, ist ein Zusammenhang zur Frage Erblichkeit mit Vorgenerationen schwerer herzustellen. Dann interferieren noch Einflüsse wie das Rauchen. Auch die Entwicklung einer COPD wird wesentlich bestimmt sein durch die ererbte Kondition der Lunge, später modifiziert durch äussere Einflüsse, unter anderem an dieser Stelle durch das Rauchen. Eine Konsequenz aus der Annahme der Erblichkeit wäre, dass der Start einer chronischen Bronchitis zunächst mit dem Rauchen gar nichts zu tun hat. Früher werden viele Menschen eher gestorben sein als sie ihre chronische Bronchitis überhaupt erleben konnten.
Häufig werden diese Erkrankungen bzw. Beschwerden auch als psychisch verursacht abgetan. Vererbung ist somatisch (körperlich). Ursächlich wären Asthma und chronische Bronchitis damit nicht psychisch bedingt. Diese Tatsache muss man sehr betonen, weil sie die heute gängigen Auffassungen in der Bevölkerung und breiten Arztkollektiven stark in Frage stellt.
Eine beliebte Fehleinschätzung ist auch, solche Beschwerden als durch Übergewicht oder Trainingsmangel oder das Alter oder eben das Rauchen verursacht anzusehen. Eine Einschränkung der Belastbarkeit durch Atemnot kann zwar teilweise durch Übergewicht im Sinne eines Co-Faktors verursacht sein. Beides lässt sich aber nicht selten mit ein bisschen Mühe und Gespür doch differenzieren.
1.2. Was verstehen wir unter Asthma und COPD? (3/2020)
COPD“ heisst zu gut englisch „chronic obstruktive lung disease“, also deutsch „chronisch obstruktive Lungenerkrankung“. Früher wurde dieser Begriff undifferenziert benutzt. Eigentlich hätte man die Buchstaben „en“ hinten anhängen müssen, denn eigentlich verwendete man den Begriff wie eine Gruppenbezeichnung für chronisch verlaufende mit Verengung der Bronchien einhergehende, entzündliche Lungenerkrankungen (Plural). Ende der 1980iger Jahre wurde die Bedeutung jedoch umgewidmet und fortan verstand die wissenschaftliche Medizin darunter in der Einzahl „COPD“ im Gegensatz zum „Asthma“. Benutzt wurde dieser Begriff dann auch nicht mehr wie die Gruppenbezeichnung, sondern wie der Name einer Erkrankung.
Diese Nutzung des Begriffes war dem Umstand geschuldet, dass man die einzelnen Komponenten oder die einzelnen Erkrankungen im Rahmen der chronischen Bronchitis nicht ausreichend beschreiben und damit unterscheiden konnte. So fasste man sie zusammen und begriff sie als Einheit. Daran ist natürlich Wahrheit, nämlich die, dass es um verwandte Zustände geht und dass sie sich vom Asthma zumindest teilweise trennen lassen.
Ausser Acht gelassen wurde aber, dass diese Zustände jedoch auch ganz eigene Eigenschaften besitzen, damit ganz unterschiedliche Beschwerden und Krankheitsverläufe hervorrufen und damit getrennt werden müssten. Mehr und mehr setzt sich inzwischen unter den Experten wieder die Erkenntnis durch, dass wir die Unterschiede nicht einfach ausser Acht lassen können. In der Fachsprache hat sich dafür jetzt der Begriff „Phänotypisierung“ eingebürgert. Ich halte auch diesen Begriff für unzutreffend, weil zu kurz greifend. Es handelt sich nicht nur um nach aussen sichtbare unterschiedliche Verläufe und Beschwerden. Aber wie das so ist in der Wissenschaft, einer oder eine kleine Gruppe schafft einen Begriff, oft noch nicht einmal realitätsnah, und alle anderen laufen mehr oder weniger gedankenlos hinterher.
Die Wissenschaft verstand seit Ende der 1980iger Jahre unter Asthma eine Erkrankung mit Verengung der Bronchien. Mit der Lungenfunktionsmessung musste man das messen können. Wer keine Lungenfunktionsstörung aufweist, konnte eigentlich kein Asthma haben. Man sah, dass das sehr wechselhaft war und bestimmte das Asthma als die Erkrankung mit medikamentös leicht zu öffnender Verengung der Bronchien. Natürlich fand die Wissenschaft dafür auch Zahlen und legte damit Grenzen fest. Was ein bisschen vergessen ging, war die Tatsache, dass bei Asthmatikern damit auch zeitweise eine normale Lungenfunktion bestehen kann. Dann kann der Mensch doch eigentlich kein Asthma haben? Dann muss er doch gesund sein! Meines Erachtens eine blanke Fehldeutung, die uns aber in der Medizin seitdem immer wieder in die Irre führt, auch viele Pneumologen, also Lungenfachärzte und Experten.
Die COPD legte man als eine Erkrankung fest, die auch eine Verengung der Bronchien aufweist, also messbar ist. Aber deren Verengung der Bronchien ist medikamentös kaum zu beeinflussen, also irreversibel. Man legte wieder Zahlen, also Grenzen fest, wie das in der Wissenschaft so ist und hatte eine einfache Unterscheidung zwischen Asthma und COPD. COPD war für fast vierzig Jahre eine eigentlich ganz und gar wissenschaftliche Vereinfachung und doch zugleich eine ganz und gar unwissenschaftliche Vereinfachung. Erst seit Mitte der 2010er Jahre setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass Wissenschaft so einfach doch nicht funktioniert und dass diese beiden Erkrankungsgruppen doch ein sehr viel spannenderes und interessanteres Innenleben haben. Wissenschaft ist eben doch ganz menschlich.
In den nächsten Jahren wird sich eine Aufteilung der heute unter „COPD“ zusammengefassten Erkrankungen entwickeln. Der Begriff der chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen wird dann sehr wahrscheinlich wieder als Oberbegriff (Plural) benutzt werden und wird dann auch das Asthma wieder mit einschliessen.
Inzwischen zeigen weitere Forschungen, dass auch unter dem Begriff „Asthma“ eine Reihe unterschiedlicher Erkrankungen zusammengefasst sind. Zunehmend können wir sie differenzieren. Es ist zu erwarten, dass wir immer genauer in der Lage sind, sowohl die verschiedenen unter „COPD“ zusammengefassten Erkrankungen als auch die unter „Asthma“ gemeinten Krankheiten (oder vielleicht nicht einmal Krankheiten, sondern besser verschiedenen „Konstitutionstypen“) zu erkennen und zu unterscheiden sowie medikamentös entsprechend differenziert zu behandeln.
Auch „COPD“ und „Asthma“ sind nicht strikt von einander zu trennen, denn auch diese Erkrankten haben oft Beschwerden aus beiden Teilbereichen. Wenn Sie also im Internet von seriösen und unseriösen Verfassern Texte zu diesen Erkrankungen lesen, dann machen Sie sich bitte immer klar, dass Sie nicht alles, was dort steht, einfach 1:1 auf Ihre Person übertragen können. Manches wird stimmen und manches auch nicht. In jedem Einzelfall muss geklärt werden, was für Sie stimmt und was nicht.
Wenn ich jetzt den Begriff „COPD“ verwende, dann ist die alte, von mir als falsch begriffene Bedeutung von chronisch obstruktiver Lungenerkrankung gemeint. Sonst schreibe ich von „Chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen“ im Plural und ohne Abkürzung.
Asthmatiker erleben vielfältige Lebenseinschränkungen, die wir messtechnisch mit der Lungenfunktion gar nicht wahrnehmen. Es gibt noch einige andere Messmethoden, die uns einiges klarer werden lassen, aber die Empfindungen und Körpererlebnisse des Asthmatikers sind so nicht vollständig nachvollziehbar und schon gar nicht „objektivierbar“ im theoretischen und medizinisch gewollten Sinne. Wir erleben zunehmend, dass die medizinische Wissenschaft mit ihrer Methode der Erkenntnissuche keine realitätsnahen Ergebnisse liefert. Grosse Studien mit vielen Patienten und Probanden, die nach klar definierten Messmethoden ausgewählt werden, mit klar definierten Untersuchungs- oder Therapiemethoden bearbeitet werden und dann nach komplizierten statistischen Methoden ausgewertet werden, um Zufallsabweichungen herauszurechnen, sind nur scheinbar erfolgreich. Diese Ergebnisse werden dann im grossen Stile verallgemeinert, vor allem auch auf Menschen oder Patienten, die den Studiendefinitionen gar nicht genau entsprechen. Mit dieser Methode haben wir viele Erkenntnisse und medizinische Erklärungssysteme und Krankheitsdefinitionen bekommen. Ihr Problem ist jedoch, dass sie zu einem Teil mit der menschlichen Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Wir haben heute viele Asthmatiker, die mit ihren Problemen völlig alleingelassen werden, weil sie durch die Maschen der medizinisch wissenschaftlichen Definitionen und Messmethoden fallen. Die wissenschaftliche Medizin wird denen nicht gerecht und deshalb gibt es auch so viele paramedizinische Erklärungs- und Therapieversuche. Die medizinische Wissenschaft hat sich ein (Erklärungs-)System geschaffen teilweise neben und ohne Zusammenhang mit dem Menschen resp. Patienten. Und für das Gutachtenwesen für Versicherungen (Invaliditätsversicherung, Taggeldversicherung und andere) gilt das Gleiche. Die Scalierung zur Einteilung der Schweregrade stimmt nur teilweise mit der Realität überein. Das wird die Medizin teilweise ändern können, aber die Lücke zwischen Theorie und Praxis oder Theorie und Realität wird sie nie füllen können. Das ist eine strukturelle Lücke, eine biologische Naturregel. Darauf müssen wir achten!
Forschung an obstruktiven Lungenerkrankungen geschieht vor allem beim schweren Asthma und bei COPD an ganz bestimmten Stellen. Es ist auffallend, dass sehr intensiv geforscht wird dort, wo Medikamente oder Materialien angewendet werden können (die gekauft und bezahlt werden). Forschung kostet Geld. Da führt kein Weg dran vorbei. So ist heute auffallend, dass vor allem dort geforscht wird, wo Anwendungen denkbar sind, die Geld bringen. Um wirkliches Verständnis geht es nur im Hintergrund. Jeder muss sein Produkt verkaufen, der Pharmaproduzent seine Medikamente, der Ingenieur seine medizinischen Hilfsmittel, Prothesen etc., der Informatiker seine Gesundheits-Apps und was man nicht noch alles für Maschinen am Körper anwenden kann und nicht zuletzt muss der Forscher seine Ergebnisse möglichst gewinnbringend verkaufen. Am gewinnbringendsten ist Forschung dort, wo Not und Geld einander treffen? Also wird dort geforscht. Viel mehr Leute sind von leichtem Asthma betroffen, aber dort ist die Not nicht so ersichtlich, Geld fehlt und Versicherungen und Regierung blockieren eher noch durch ihre Sparpolitik. Geld regiert die Wissenschaft. Da helfen auch die diffizilsten Gesetzgebungen zur Korruptionsbekämpfung in der Medizin nicht. Die vielen kleinen Fische werden gequält und die grossen hingenommen, weil es gar nicht anders geht. Sollte man dann nicht auch das Quälen der kleinen Fische beenden?
Unsere Gefühle bestimmen die Welt: In jüngeren Jahren spannend, interessant, neu, bedingungslos annehmend; in älteren Jahren angenehm, bequem, sicher, nicht in Frage stellend, … Dafür geben wir Geld aus, unser eigenes oder auch das der Anderen (des Staates, der Versicherungen, der Leistungserbringer). Dem Schein nach regiert das Geld die Welt, real ist es aber doch wohl eher unser Gefühl, unser Körper, der regiert und Geld ist nur das Mittel zum Zweck.
1.3. Co-Faktoren von aussen und innen. (3/2020)
Wir haben eine Lunge mit einer gewissen Konstitution in unsere Wiege gelegt bekommen. Sie wächst und gedeiht über die Jahre und sie leistet einen grossen Teil an Austausch verschiedener Stoffe mit der Umgebung. Dabei ist sie vielen Faktoren wie Gasgemischen, Stäuben, Luftfeuchtigkeit, Temperaturschwankungen, Krankheitserregern etc. ausgesetzt.
Manche Lungen vertragen dabei Stäube und Gase besonders schlecht, andere besser. Sie haben offenbar gewisse Abwehrsysteme nicht oder nur in schwächer wirksamem Ausmass, so dass sie schon bei geringeren Konzentrationen Schaden nehmen. Dagegen haben manche Menschen das Glück, sehr widerstandsfähige Lungen bekommen zu haben.
Andere Lungen reagieren wieder eher mit einer Entzündung der Atemwegsschleimhäute, die die Bronchien leichter reizbar macht. Dann werden Änderungen von Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur und Luftzusammensetzung mit Husten, Schleimbildung oder/und Verengung der Bronchien quittiert.
Bei anderen Lungen führt der Aufbau der Schleimhäute bzw. deren Entzündung zu einer verringerten Abwehrkraft gegenüber Viren, Bakterien oder letztlich sogar Schimmelpilzen.
Der derzeit am weitesten verbreitete und stark wirksame Co-Faktor ist das Aktiv-Rauchen (in geringen Massen auch das Passiv-Rauchen). Arbeiten mit Asbest für einige Zeit, Bergarbeiten unter Tage für lange Zeit, häufige bis dauernde und intensive Einatmung von Dieselabgasen an viel befahrenen Strassen und einige seltene Staubexpositionen sind ebenfalls in absteigender Reihenfolge bedeutsam.
Das Rauchen kann uns einige Beobachtungen liefern:
Jeder weiss, dass Rauchen häufig Lungenkrebs verursacht. Das stimmt, soll uns hier aber nicht beschäftigen. Viel häufiger und in stärkerem Ausmass führt das Rauchen zu anderen Schäden in der Lunge. Und dieses Ausmass kann sehr unterschiedlich sein. Es gibt Menschen, die trotz intensiven Rauchens sehr alt werden und die wenig von Lungenschäden merken. Wir Ärzte finden bei ihnen auch wenig Schäden. Deren Lunge ist also gegenüber dem Rauchen offenbar sehr widerstandsfähig. Andere rauchen nur wenige Jahre und haben schon erhebliche Schäden in der Lunge. Sie vertragen das Rauchen also sehr schlecht und leiden unter den Schäden stark. Dazwischen gibt es viele Zwischenstufen. Den meisten Menschen können wir nicht vorhersagen, wie gut ihre Lunge das Rauchen verträgt. Wir sehen es erst später an den eingetretenen Schäden, die dann oft nicht wieder reversibel sind.
Selbst bei Asthmatikern ist die Verträglichkeit des Rauchens höchst unterschiedlich. Es gibt einige, die obwohl sie Asthmatiker sind, 40 Jahre lang intensiv geraucht haben und dann erstaunlicherweise keine wesentliche Schädigung an der Lunge im Sinne einer rauchbedingten COPD aufweisen. Offenbar gibt es einen Anteil von vielleicht einem Drittel Asthmatiker, denen das Rauchen die Verschlimmerung des Asthmas verhindert und bei denen das Rauchen Beschwerden lindert. Vor hundert und mehr Jahren hat so mancher Asthmatiker geraucht, weil das einem Teil von ihnen Linderung verschaffte und andere Medikamente noch nicht entdeckt worden waren. Andere Asthmatiker vertragen das Rauchen sehr schlecht und haben schnell einen zusätzlichen rauchbedingten Schaden an der Lunge. Sie haben dann sozusagen zwei Schäden, einen durch das Asthma, den anderen durch das Rauchen. Und wieder gibt es alle Abstufungen dazwischen. Generell wird das Rauchen aber von Asthmatikern eher schlechter vertragen als von Gesunden. All die anderen Schäden durch das Rauchen sollen uns hier nicht beschäftigen.
In der Landwirtschaft gibt es ungünstige Einflüsse auf die Lunge. Der eine Weg führt über den Mechanismus „Allergie“ zu asthmatischen Beschwerden. Das können verschieden Arten von Tieren direkt sein wie Pferde, Rinder, Ziegen, Katzen, Hunde und andere. In Ställen gibt es oft eine hohe Dichte an Schimmelpilzsporen. Auch dagegen kann man allergisch werden. Pollen können eine Rolle spielen.
Der zweite Mechanismus, über den solche Beschwerden ausgelöst werden können, ist der Mechanismus „Reiz“. Die chronisch entzündeten Atemwegsschleimhäute bei Asthmatikern sind viel sensibler als gesunde. Sie reagieren daher viel intensiver auf Ammoniak in der Luft, verschiedene Düfte in der Stallluft z.B. beim Misten oder Stäube beim Heuen oder trocken Füttern und Ähnlichem.
Ein sehr wichtiger, weil weit verbreiteter und in unseren Breiten sehr wirksamer Faktor ist schlichtweg Wasser in gasförmigem Zustand oder am Übergang zum flüssigen Zustand (Schwüle, Nebel, feuchtkalte Luft unter der Nebeldecke). Je höher die Luftfeuchtigkeit, desto stärker in der Regel die Atemwegsbeschwerden wie Husten, Schleimbildung und/oder Kurzatmigkeit. Ist die Luft trocken, sind die Beschwerden geringer oder fehlen ganz. Wer aus einer trockenen in eine feuchte Wohnung umzieht (oder umgekehrt), wer aus einer trockenen Gegend dieser Welt in eine feuchte (oder umgekehrt) reist oder umzieht, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechend spüren. Der Faktor Temperatur spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle.
Generell können wir sagen, dass sich diese Faktoren bei Asthmatikern viel dramatischer auswirken als bei Patienten mit chronischer Bronchitis. Allergien spielen nur beim Asthma eine Rolle, bei den Formen von chronischer Bronchitis nicht. In geringerer Ausprägung können diese Faktoren aber alle auch bei chronischer Bronchitis Beschwerden verschlimmern oder umgekehrt verbessern.
Es gibt kein „Belastungsasthma“. Es gibt nur Menschen, die unter Asthma leiden und die Beschwerden belastungsabhängig merken. Belastung verursacht kein Asthma. Daher ist die Bezeichnung „Belastungsasthma“ oder „Exercise induced asthma“ schlichtweg falsch. Dazu kommt noch, dass die Belastung gar nicht der entscheidende Faktor ist. Viel wichtiger ist, was Asthmatiker unter Belastung einatmen. Joggen sie im Herbst, Winter oder Frühjahr draussen, werden nicht wenige schnell kurzatmig und müssen langsamer laufen, Pausen einlegen oder den Lauf ganz beenden. Laufen die gleichen Personen im Fitness-Center auf dem Laufband und stellen es sich steiler als draussen die Laufstrecke war, so merken viele nichts. Sie laufen und laufen und laufen. Draussen war die Luft feucht und kalt, drinnen ist sie warm und trocken. Das macht offenbar den Unterschied. Laufen aber zehn Menschen in einem engen Fitnessraum nebeneinander, so dass der Schweissgeruch und die Körperfeuchtigkeit die Luft vernebeln, kann die Reaktion wieder wie draussen sein.
Sie haben so viel Stress im Leben? Seien Sie froh. Sie leben, statt sich zu langweilen. Immer wenn Sie Stress haben, schnürt es Ihnen die Luft ab? Das ist keine Seltenheit. Trotzdem, wieder wie beim „Belastungsasthma“. Stress verursacht kein Asthma. Stress kann aber vorhandenes Asthma verschlimmern. Gute Asthmatherapie macht sie heute deutlich stressresistenter.
„Ich mache doch Leistungssport und das ohne Probleme. Also kann ich doch gar kein Asthma haben!“ Weit gefehlt. Asthma heisst nicht Atemnot. Es gibt Asthmatiker, die in ihrem Leben nie Atemnot gemerkt haben. Das Hauptproblem ist Entzündung, Entzündung der Atemwegsschleimhäute. Je nach Ausprägung der Entzündung und Ausprägung der Verengung der Bronchien ist es möglich, dass sie ungehindert Leistungssport betreiben können. (Siehe auch unter Asthma und Sport.)
1.4. Asthma und COPD in bestimmten Lebensumständen: (3/2020)
Nehmen wir an, jemand hat bereits eine kranke Lunge mit Asthma oder chronischer Bronchitis. Leidet er immer darunter? Unter welchen Einflüssen hat er mehr oder weniger Beschwerden?
Für das Asthma gilt in besonderer Weise, dass es eine wechselhafte Erkrankung ist. Es gibt bestimmte Verläufe der Erkrankung und abhängig von äusseren Einflüssen können die Beschwerden stark variieren, von beschwerdefrei bis zu starken Beschwerden. Oft stellen sich dann folgende Fragen: Habe ich Asthma? Oder: Kann man bei mir ein Asthma ausschliessen? Oder: Bin ich gesund oder krank? Diese Fragen kann ich beantworten, je nach dem, welche Anschauung ich zu Grunde lege. Rede ich von „gesund“, wenn ich keine Beschwerden habe, dann gibt es zwischenzeitlich „gesunde“ Zeiträume. Wenn ich daran denke, dass ich meine Erbanlagen vom ersten bis zum letzten Tag habe und dass die Beschwerden sehr abhängig von äusseren Einflüssen etc. sind, dann rede ich nicht von „gesund“, sondern von „beschwerdefrei“. Für den jetzigen Zustand hat das ja wenig Bedeutung, aber für langfristig ändert sich zum Beispiel eventuell meine Einstellung zur Therapie.
Beispiel: Wenn jemand eine Katzenallergie hat und nur auf Grund dieser Allergie asthmatische Beschwerden hat, dann kann es sein, dass er ohne Katzenkontakt völlig beschwerdefrei ist. Er braucht keine Therapie, muss nur darauf achten, dass er Katzenkontakt meidet. Mit viel Glück hält dieser Zustand lebenslang an. Andere haben Pech und bekommen wieder Beschwerden, entweder, weil sie doch wieder unbemerkt irgendwo Katzenkontakt haben oder weil sie beispielsweise neu eine Milbenallergie entwickelt haben. Wiederum die Frage: Waren diese Menschen zwischenzeitlich „gesund“ oder haben sie nur „nichts gemerkt“?
Beispielsweise führt diese Abhängigkeit von äusseren Reizen dazu, dass vor allem Asthmatiker (in geringerem Ausmass auch an chronischer Bronchitis Erkrankte) mehr oder weniger Beschwerden haben, wenn sie die Wohnung wechseln. Wohnen in einer feuchten Wohnung macht oft deutlich mehr Beschwerden als in einer trockenen Wohnung und umgekehrt. Dazu bedarf es keiner Schimmelpilzentwicklung. Die ist noch einmal ein Problem ganz anderer Art zusätzlich, aber sehr viel seltener. Das Ausmass der Feuchtigkeit und geringer der Temperatur in der umgebenden Luft macht sich deutlich bemerkbar. In seltenen Fällen (unter 5%) können die Auswirkungen auch mal gegenteilig sein.
Ein bedeutendes „Gift“ für Asthmatiker ist Wasser in der Luft, Wasser, das wir nicht sehen. Aber das Frauenhoferinstitut erforscht die optimale Luftfeuchte für angenehmes Wohnen und findet, dass eine höhere Luftfeuchtigkeit besser wäre. Das führt zu mehr Beschwerden bei Asthmatikern, mehr als die „Umweltgifte“. Das Frauenhoferinstitut muss also mehr differenzieren, z.B. zwischen „Gesunden“ und Asthmatikern (COPD-lern). Das Optimum an Luftfeuchte wird nicht für alle gleich sein.
Das Leben unter „raumlufttechnischen Anlagen“ (z.B. Klimaanlagen, Lüftungen, Langstreckenflüge, manchmal sogar Minergiehäuser) führt relativ oft (über 50 % der Erkrankten) und schnell zu einer Zunahme der Beschwerden. Bei Menschen mit chronischer Bronchitis wirkt sich das viel weniger intensiv aus.
Sehr geehrter Herr Dr. Flade
Danke für die sehr differenzierte und doch gut verständliche Darlegung der Problematik, die Asthma und chronische Bronchitis mit sich bringen. Trägt viel zum Verstehen und zur Beurteilung des Zustandes „krank“ oder „beschwerdefrei“ bei. Mir ist nun klar, dass mein Asthma nur ungenügend behandelt ist. Am meisten reagiere ich übrigens auf Salicylsäure und ähnliche Entzündungshemmer und auf feuchte Luft sowie starkes Lachen.
Mit freundlichen Grüssen
S.G.
Sehr geehrter Herr Göldlin
Zunächst wünsche ich Ihnen noch ein fröhliches Weihnachtsfest. Wichtiger, ich wünsche Ihnen ein beschwerdearmes, angenehmes und interessantes Jahr 2019.
Die Problematik Asthma – Chronische Bronchitis (COPD) versteht die Medizin auch heute noch nur sehr unzureichend. Daher finden Sie so viel widersprüchliches und ungenaues dazu. Ich habe da eine sehr eigene Ansicht über die letzten zwei Jahrzehnte entwickelt, die aber doch in allen Leitlinien auch von der offiziellen Medizin immer wieder vertreten wird, in der Praxis aber kaum ankommt. Bei Patienten wie Ihnen, mit einem Salizylat-Asthma (wenn man das weiss, sind wir ja schon mal eine Menge weiter!), gibt es im Wesentlichen zwei wichtige Optionen: Die erste: Viel Cortison anwenden, aber möglichst immer nur örtlich. Das bedeutet: Cortison inhalieren für die Bronchien eher in höherer Dosis und vom 1. Januar bis zum 31. Dezember des Jahres, ohne Pause. Und das Gleiche für die Nase!!! Ein Jahr konsequent durchhalten und dann neu beurteilen.
Die zweite Option ist die Aspirin-Hyposensibilisierung bei jemandem, der es gut versteht, also meist an einer Uniklinik (Haut oder Allergologie oder Immunologie, vielleicht auch HNO (ORL). Auch das ein Jahr komplett durchziehen und dann neu beurteilen. Alle kürzeren Zeiten sind sinnlos, bei Beiden.
In den meisten Fällen wird man beides kombinieren müssen (und können!!!). Dann ist die Aussicht auf Erfolg sicher bei 80 %, die Aussicht auf Heilung aber weiter nahe 0 %. Aber wegen der Lebensqualität lohnt es sich, am Ball zu bleiben. Nicht aufgeben!!!
Wie gesagt, ich wünsche Ihnen ein beschwerdearmes und interessantes Jahr 2019.
Freundliche Grüsse
W. Flade